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Polizisten sprechen über Rassismus, Racial Profiling und Fehlerkultur
Anlässlich des 30. Jubiläums von SZ Jetzt holen wir einige Texte, die uns besonders im Gedächtnis geblieben sind, noch einmal aus dem Archiv hervor. Dieser ist einer davon.
Vor einiger Zeit veröffentlichten wir bei jetzt das Protokoll eines Polizisten, der uns von Rassismus und Korpsgeist unter seinen Kollegen berichtet hat. Weil er das Gefühl hatte, aus dem Inneren heraus nichts am System ändern zu können, wollte „Robert“, der eigentlich anders heißt, durch seine Offenheit eine Debatte anstoßen. Das ist ihm gelungen: Mittlerweile hat er mit verschiedenen anderen Medien gesprochen, und auf unsere Aufforderung, sich bei ähnlichen oder vielleicht auch ganz anderen Erfahrungen bei uns zu melden, haben weitere Beamte reagiert. Einige davon waren bereit, uns Interviews zu geben. Aus diesen Gesprächen haben wir eine Stimmensammlung zusammengestellt, die einen seltenen und zum Teil erschreckenden Einblick ins Innere der deutschen Polizei bietet.
Allerdings stehen wir bei dieser Berichterstattung ständig vor einem Dilemma: Um unserer journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen, müssten wir die Vorwürfe unserer Gesprächspartner überprüfen, indem wir die entsprechenden Dienststellen konfrontieren. Ein weiterer journalistischer Grundsatz verpflichtet uns aber zum Quellenschutz. Alle Gesprächspartner haben sich uns gegenüber mit ihrem Dienst- und Personalausweis identifiziert, aber darum gebeten, anonym zu bleiben, weil sie ansonsten mit Konsequenzen rechnen müssten – etwa dem Ausschluss aus der Kollegenschaft oder sogar einem dienstrechtlichen Verfahren bis hin zum Jobverlust. Der Schutz der Person wiegt in diesem Fall schwerer als die eigentlich nötige Konfrontation.
Um dennoch eine offizielle Einordnung von Seiten der Polizei zu bekommen, haben wir mit dem Münchner Polizeipräsidenten Hubertus Andrä über die Themen gesprochen, die unsere Gesprächspartner beschäftigen (hier geht es zum Interview).
(alle Namen geändert)
Maximilian,
26, Kommissaranwärter im BA-Studium in Süddeutschland, hat zuvor bereits die Grundausbildung bei der Polizei gemacht. Er findet, dass die deutsche Polizei im Vergleich zu anderen Ländern gut funktioniert. Aber „um als Polizei im 21. Jahrhundert anzukommen“, sei noch viel zu tun. Vor allem, was die Fehlerkultur und den Umgang mit rechten und rassistischen Tendenzen angeht.
Dirk,
30, Polizeikommissar in Norddeutschland ist seit zehn Jahren bei der Polizei, aber sagt, dass er seit drei Jahren mit dem Job „innerlich abgeschlossen“ habe. Er fühlt sich dort als „grüner, pazifistischer, vegetarischer Idealist“ fehl am Platz und beklagt den latenten Alltagsrassismus.
Gunnar,
45, Polizeiseelsorger, unterrichtet Polizeischüler im Fach „Berufsethik“. Mit seinen Schülern behandelt er Fallbeispiele und spricht unter anderem über Verhältnismäßigkeit bei polizeilichen Maßnahmen, interkulturelle und interreligiöse Kompetenz und Konfliktbewältigung.
Andreas,
26, Oberkommissar in Westdeutschland bezeichnet sich selbst als „Gutmensch in Uniform“. Mit dieser sozialen Grundhaltung, sagt er, sei man „schnell sehr einsam im Polizeibetrieb“. Das größte Problem der Polizei sieht er darin, dass sich einige wenige Kollegen danebenbenehmen – und die Mehrheit der anderen dazu einfach schweigt.
Christoph,
Anfang 40, Dienstgruppenleiter in Süddeutschland ist seit 21 Jahren Polizist. Er sagt, auf seiner ländlichen Dienststelle sei er kaum mit Rassismus in Berührung gekommen – sieht sich dafür aber häufiger „mit Rassismus-Vorwürfen von Migranten“ konfrontiert.
Dirk
Ausländer werden „Ali“, „Ölauge“, „Schmutzfüße“ genannt. Das Wort „Neger“ wird verwendet. Ein Kollege hat eine Schwarze Frau mal als „Dachpappe“ bezeichnet. So etwas ist total gängig und da guckt auch keiner schief. Einer meiner Gruppenführer hat mal gesagt: „Wenn ich hier von jemandem so ein Wort höre, dann schmeiße ich ihn sofort aus dem Auto.“ Aber das war der Einzige, der mal was gesagt hat.
Maximilian
Wenn ich manche Kollegen frage, ob es sie nicht stört, wenn jemand von „Negern“ spricht, dann sagen sie: „Was hängst du dich an dem Wort auf? Das ist ja nicht beleidigend gemeint.“ Sie gehen gar nicht den Schritt mit, anzunehmen, dass hinter so einem Wort eventuell auch eine bestimmte Ideologie steckt. Ich würde sagen: Da herrscht oft eine Art leichtfertige Ignoranz.
Gunnar
Rassismus wird bei der Polizei nicht geduldet. Aber man kann schlecht eine echte Gewissensprüfung machen. Und die Kollegen machen Erfahrungen mit Migranten, was Kriminalitätshäufung oder bestimmte Verhaltensweisen angeht, die etwas mit ihnen machen. Ich würde das nicht als „rassistische Haltung“ brandmarken wollen – aber sie äußern ihre Probleme mit dem, was sie Tag für Tag erleben.
Dirk
Ich habe Kollegen, die sagen: „Wenn ich mir morgens die Berichte aus der Nacht durchlese, dann ist da kein deutscher Name dabei.“ Das ist natürlich Blödsinn und alles eine Sache der Wahrnehmung. Wenn von fünf Namen drei ausländisch klingen, dann heißt es: „Nur noch ausländische Täter! Die kommen her und begehen Straftaten! Das ist die Realität, da muss ich nicht politisch korrekt sein.“
Andreas
Ich habe es mehrmals erlebt, dass einzelne Kollegen in einer größeren Gruppe einen blöden Spruch oder rassistischen Witz gemacht haben und keiner hat was gesagt – aber in dem Moment, in dem ich was gesagt habe, haben mir sieben, acht, neun andere Leute zugestimmt. Es fehlte also oft nur die „aktive Minorität“: der eine, der den Mund aufmacht und die anderen aktiviert.
Christoph
Es gab bei uns mal einen Kollegen, der rechtsradikale Ansichten hatte. Aber der war die Ausnahme. Komischerweise war er der Leiter der Inspektion Staatsschutz, darüber war ich ziemlich schockiert. Der hat auch mal „Scheißtürke“ gesagt, immer wieder antisemitische Witze gemacht und hatte die Lacher auf seiner Seite.
Maximilian
In der Ausbildung hatte ich einen Lehrer, den ich dem Reichsbürger-Spektrum zuordnen würde. Der gab sehr fragwürdige Dinge von sich, von wegen Illegimität der BRD, Fortbestehen des Deutschen Reichs, Einwanderungswelle, mit der man versuche, unsere Kultur zu untergraben. Der war nicht repräsentativ für die Schule, aber es war erschreckend, dass solche Leute teilweise mitgetragen werden. Der war ja nicht erst seit zwei Jahren dabei. Mittlerweile wurde er suspendiert. Das wurde auf kleiner Flamme gemacht, weil das sonst natürlich riesige Wellen geschlagen hätte.
Dirk
Führungspersonen, teils auch sehr hochrangige, die als „nicht mehr tragbar“ gelten, landen häufig an der Akademie und unterrichten dann die Polizeischüler.
Andreas
Es gibt meiner Meinung nach nur eine geringe Zahl wirklich problematisch rechts eingestellter Polizisten. Aber diese paar Kollegen sind dann eben auch die lautesten und haben keine Probleme, sich vor der Gruppe zu äußern und ihre Einstellung auszuleben. Das wird hingenommen – und damit auch, dass ein solcher Kollege dem Ruf der ganzen Dienststelle schaden kann. Die Bevölkerung nimmt die Polizei für so was sofort in Sippenhaft. Das ist wohl einer der Gründe, warum man versucht, vieles nicht nach außen dringen zu lassen.
Dirk
Die Polizei soll ein Spiegelbild der Gesellschaft sein. Genau das ist das Problem: Laut Wahlergebnis sind mehr als zwölf Prozent unserer Gesellschaft rechts. Bei der Polizei sollte man ein Vorbild an Toleranz und Empathie sein. Das ist mit theoretisch zwölf Prozent AfD-Wählern aber knifflig.
Maximilian
Wer wirklich links steht, der geht nicht zur Polizei. Aber wer rechts außen ist, kann trotzdem Polizist werden. Während der Grundausbildung kommt man aufs Revier und muss sich in Praktika beweisen. Da werden die wirklich faulen Äpfel aussortiert: Die echten Rechtsradikalen fliegen hier genauso raus wie alle anderen, die charakterlich nicht geeignet sind. Wer da allerdings durchgekommen ist, weil er die Füße stillgehalten hat, den wird man so schnell nicht mehr los. Da können dann wie in jedem anderen Job auch problematische Leute dabei sein – nur sind die dann eben verbeamtet.
Maximilian
Racial Profiling darf nicht sein, ist aber in der Erfahrung vieler Kollegen wahnsinnig effektiv. Wenn man alle Schwarzen am Bahnhof kontrolliert, ist die Chance halt groß, dass einer dabei ist, der was verkauft – und dann habe ich einen einfach verdienten Fall. Vorurteile haben immer einen wahren Kern, aber mit Pauschalisierungen müssen wir vorsichtiger sein, wenn wir professionell arbeiten wollen.
Gunnar
Wie erkenne ich jemanden, der möglicherweise unerlaubt in unser Land eingereist ist? Und kann ich dieses Urteil völlig freimachen von einem äußeren Anschein? Da geht es um eine ganz enge Abwägung von dem, was ein Polizist nicht darf, und dem, was beruflich unbedingt erforderlich ist. Es darf nicht dazu kommen, dass Kollegen jemanden nur aufgrund seiner Hautfarbe kontrollieren, sondern sie müssen bewusst nach anderen Kriterien suchen.
Andreas
Der Paragraph 22 1a im Bundespolizeigesetz ist eine sehr umstrittene Rechtsnorm, die dazu einlädt, Kontrollen durchzuführen, die sich nach der Hautfarbe richten. Eigentlich erlaubt der Paragraph nur, Leute zu befragen, die sich regelmäßig in Zugverbindungen bewegen und vielleicht Auskunft darüber geben können, ob dort verdächtige Personengruppen auftauchen oder Ähnliches. Die Kollegen von der Bundespolizei steigen also in Züge, und nutzen – nicht mal in der Nähe einer Grenze! – die Befragung als Einstieg in eine Kontrolle von Ausländern oder ausländisch aussehenden Personen
Christoph
Ich habe nie Racial Profiling erlebt. Was heißt das auch schon? Wenn ich täterorientiert arbeite, gehört kriminalistische Erfahrung dazu – und da schaue ich bei einer Fahndung zu Eigentumsdelikten nachts eben schwerpunktmäßig nach Autos aus Osteuropa. Und wenn ich am Bahnhof Schwarzafrikaner kontrolliere, dann will ich einfach wissen, ob es sich um registrierte oder nicht registrierte Personen handelt, denn 2015 sind nun mal sehr viele Asylbewerber nach Deutschland gekommen, die bis heute nicht erfasst sind. Einmal habe ich einen Mann aus Nigeria kontrolliert, bei dem ich den Verdacht hatte, dass er mit Betäubungsmitteln zu tun hat. Er ist sofort sehr laut und aggressiv geworden und hat mir Rassismus vorgeworfen. Da denke ich mir: Er wird ganz normal kontrolliert, es gibt eine Rechtsgrundlage – und jetzt muss ich mich rechtfertigen. So was kommt immer wieder vor, meist mit Schwarzafrikanern. Ich weiß nicht, wie die Polizei in Nigeria mit den Menschen umgeht, aber ich glaube, dass es ihnen hier eigentlich recht gut geht. Wenn ich in ein Land flüchte, sollte ich schon versuchen, mich an die Normen dort anzupassen.
Andreas
In einigen Dienststellen wird man ausdrücklich dann befördert, wenn man am meisten Anzeigen schreibt oder am meisten Fahndungstreffer vorzuweisen hat. Oder die Dienststellenführung gibt vor, wie viele Anzeigen reinkommen müssen. Die Kollegen sind dann gezwungen, loszulaufen und Leute zu kriminalisieren, so blöd das klingt.
Maximilian
Bei der Polizei wird zu schnell gesagt: Das darf nicht sein, also ist es auch nicht passiert. Die Hürden, ein Fehlverhalten intern zu melden, sind durch einerseits drastische Strafen und andererseits wenig Rückendeckung leider immer noch zu hoch. Das mal etwas schiefgeht, ist ja eigentlich normal, dass es nicht zugegeben werden kann, ohne das Gesicht zu verlieren, nicht!
Andreas
Die meisten Polizisten empören sich viel schneller darüber, dass die Polizei angegriffen oder kritisiert wird, anstatt sich Gedanken über das zu machen, was da kritisiert wird. Eines der Kernprobleme ist, dass die Kollegen keine Lust haben, sich zu verbessern. Es gibt kein Interesse an Selbstreflexion und Weiterentwicklung. Im Gegenteil: Nach der Ausbildung vergessen die meisten schnell, was sie gelernt haben. Übrig bleibt die Handhabung, die sich in einer Dienststelle eingeschliffen hat. Der Mechanismus ist dort meistens falsch herum: Die Kollegen haben nicht im Kopf, was sie dürfen, und machen nur das. Sondern sie machen, was sie für richtig halten, und gucken hinterher nach, was sie nicht durften, suchen Rechtfertigungen für Maßnahmen und schreiben Sachverhalte im Bericht gerade.
Dirk
Das „Geradeschreiben“ ist ein völlig normaler Terminus. Kriegst du sofort beigebracht.
Andreas
Ein Kollege hat seinen Praktikanten mal mit den Worten begrüßt: „Keine Sorge, wenn mal was schiefläuft, dann schreiben wir es rund.“
Dirk
Im Praktikum habe ich erlebt, wie einer einem Mann, der auf die Wache gebracht wurde, in einem Gerangel zwei Mal fest mit der Faust ins Gesicht geschlagen hat. Ich war total geschockt. Unser Schichtleiter fand das auch nicht in Ordnung und wir haben einen Bericht geschrieben. Danach wurde ich zum Streifendienstleiter zitiert – und dann wurden „Korrekturen“ am Bericht vorgenommen. Er sagte: „Hier steht: Er hat ihm zwei Mal heftig mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Kann man da nicht auch schreiben: Er hat ihm zwei Mal gegen den Kopf geschlagen?“ Das war natürlich keine Frage.
Andreas
Einmal hat mein Streifenkollege einen Drogenabhängigen am Bahnhof meiner Meinung nach zu Unrecht kontrolliert. Im Bericht habe ich später geschrieben, dass der Mann „lageabhängig kontrolliert“ wurde. Das ist einer von diesen Textbausteinen, die wir immer wieder verwenden, um uns gegen Kritik zu immunisieren. Wenn wir jemanden kontrollieren, bei dem wir denken, er könnte was in der Tasche haben, dann hatte der laut Bericht eben Schweiß auf der Stirn, geweitete Pupillen, wirkte nervös. Unter Umständen ist nichts davon wahr, aber es liest sich für jeden Staatsanwalt schlüssig und für jeden Verteidiger ist es nicht mehr überprüfbar.
Christoph
Die Polizei ist nicht kritikunfähig. Wir machen nach jedem Einsatz eine Nachbesprechung – und wenn du bei einem Einsatz zum Beispiel 5000 gewalttätige Demonstranten vor dir hast, ist es doch menschlich, dass du auch mal einen Fehler begehst. Bei uns wird es sachlich angesprochen, wenn einer Scheiße gebaut hat. Im schlimmsten Fall wird es nach oben weitergeleitet und dann muss der Kollege dafür geradestehen.
Gunnar
Es ist nicht leicht, zum Chef zu laufen und einen Kollegen anzuzeigen. Wenn wir im Unterricht Situationen durchspielen, geht es darum, den Konflikt ernst zu nehmen und darzustellen. Zu verstehen, dass der Kollege eventuell ein Problem mit dem hat, was der Andere macht, aber auch kollegial sein will. Und am Ende vielleicht eine Entscheidung fällen muss, die der Kollegialität entgegensteht.
Christoph
Polizisten sind die Deppen der Nation. Man wird ständig angegiftet, wenn man kontrolliert. Nicht nur von Ausländern. Jeder weiß es heute besser und bringt sein Google-Halbwissen mit. So zieht sich jede Kontrolle unnötig in die Länge. Und wenn man repressiv tätig werden muss, kommen so Sprüche wie: „Habt ihr nix Besseres zu tun, ist euch langweilig, müsst ihr in Zeiten von Terrorismus …“ Es ist mittlerweile extrem, wie sehr man sich rechtfertigen muss, wenn man normal seine Arbeit macht. Die Menschen provozieren teilweise bis aufs Blut. Das geht an die Substanz.
Maximilian
Man wird heute sehr schnell zum Gewaltpolizisten erklärt. Zum einen wird man von der Öffentlichkeit verurteilt, die ein 30-sekündiges, verwackeltes Video gesehen hat. Zum anderen von Richtern und Staatsanwälten, die sich in der behüteten Welt des Gerichtssaals manchmal einfach nicht das Aggressionspotenzial vorstellen können, das einem auf der Straße begegnet, und auch die Dynamik einer Anwendung von körperlicher Gewalt nicht nachvollziehen können. Das führt dazu, dass wir sagen: Wie soll ich denn noch meinen Job machen, mich nötigenfalls durchsetzen, wenn alles gleich Körperverletzung im Amt ist? Wenn wir unter Generalverdacht gestellt werden, hilft das auch keinem. Wenn man alle meine Festnahmen aufgenommen und online gestellt hätte, dann wäre ich auch ein „Knüppelbulle“, denn so etwas sieht eigentlich nie schön aus. Wenn ich meinem Gegenüber zum Beispiel ins Gesicht greife, wirkt das vielleicht brutal – wer sich allerdings mit den Methoden auseinandergesetzt hat, weiß, dass es das mildeste Mittel ist. Denn so verhindere ich, dass der andere mich schlagen kann, und muss ihn auch selbst nicht schlagen. Aber auf der Straße ist permanent ein Handy auf dich gerichtet und wenn die Clips dann aus dem Kontext gerissen im Internet stehen, ist ein Urteil meist schnell gefällt.
Andreas
In letzter Zeit ist es auf Streife öfter passiert, dass jemand sich bedankt hat, dass wir da sind. Das macht hundert ekelhafte Momente wieder wett, in denen man bespuckt oder als „rassistisches Bullenschwein“ beschimpft wurde.
Andreas
Ich habe das Idealbild vom Polizisten, der dahin rennt, von wo alle anderen wegrennen. Der da ist, um zu helfen, wenn man sich selbst nicht helfen kann. Aber der Aspekt, der eine Dauermotivation sein könnte, kommt in der Ausbildung zu kurz: das Streben danach, ein guter Polizist zu sein, und nicht nur einer, der befördert wird.
Dirk
Zynismus war an der Polizeiakademie quasi Studienfach. In der zweiten Stunde Beamtenrecht hat der Dozent gesagt: „Das Beurteilungssystem ist Mist und total ungerecht. Eine gute Beurteilung kriegen am Ende nur die, die Glück und Vitamin B haben, also findet euch besser frühzeitig damit ab.“ Ich hatte auch nie das Gefühl, dass die „Freund und Helfer“-Haltung mitschwingt. Es hieß nie: „Wir gehen raus und helfen Menschen, die Hilfe brauchen.“ Sondern eher: „Die Welt ist schlecht und je mehr Ausländer, desto schlimmer wird es.“ Wenn wir Situationen nachgespielt haben, ging es immer nur darum, sie zu beseitigen, anstatt zu helfen.
Gunnar
In den Werbevideos der Polizei auf Youtube wird das Bilderbuch rausgeholt: Alles ist positiv, nur sehr am Rande kommt vor, dass man auch manches zu ertragen hat. Diese Diskrepanz kann später im Job eine emotionale Schieflage erzeugen, durch die dann Frustration entsteht.
Maximilian
Vor der Ausbildung habe ich ein Jahr in einem Slum in Lateinamerika gearbeitet. Dadurch habe ich zu schätzen gelernt, was wir hier haben. Klar, das System ist nicht perfekt, und ich finde es wichtig, das zu wissen – aber auch, dass es prinzipiell funktioniert und man hier im Großen und Ganzen immer noch sehr gut leben kann.
Dirk
Ich will nicht sagen, dass die Polizei elitärer werden soll. Aber wir müssen uns auf einem anderen intellektuellen Level bewegen. Wir haben viel zu viel Verantwortung in diesem Job.
Christoph
Die Kennzeichungspflicht finde ich super und wir brauchen unabhängige Kontrollinstanzen. Außerdem fühlen wir uns bisher von unserer Führung nicht unterstützt. Das operative Geschäft wird nicht wertgeschätzt und Leistung zahlt sich nicht aus. Ich kann so viel und so gut arbeiten wie ich will – wenn ich nicht nah beim Chef sitze, wird das nicht honoriert.
Andreas
Ich hätte gerne in meiner Rolle als Polizeitrainer die Möglichkeit, mit einer Streife mitzugehen, zu gucken, was die da machen, und zu sehen, wo Optimierungsbedarf ist. Das würde ich mir auch wünschen, wenn ich selbst auf Streife bin.
Maximilian
Ich finde es schade, dass manchmal der Eindruck entsteht, dass es gar nicht läuft. Denn das ist in meinen Augen nicht so. Aber ich sehe Tendenzen, bei denen wir gegensteuern müssen. Und Fehler im System, die wir korrigieren müssen, wenn wir eine professionelle Polizei sein wollen, wie zum Beispiel bei der Fehlerkultur. Da ist noch viel zu tun.
Dieser Text erschien das erste Mal am 08.09.2018 und wurde am 31.05.2020 aktualisiert.