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Wo Klimaaktivist*innen von Rechten bedroht werden

Foto: Tim Lueddemann

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Wenn Jakob Springfeld durch das enge Zentrum der sächsischen Stadt Zwickau läuft, muss er oft anhalten. Ein Handschlag hier, ein Pläuschchen da – er trifft unterwegs in seiner Heimatstadt viele Freund*innen. Er trifft aber auch Menschen, die ihm feindlich gesonnen sind. Anders als in Großstädten ist es schwer, sich in der 90 000-Einwohner*innen-Stadt aus dem Weg zu gehen. „Ich versuche diese Situationen zu ignorieren und einfach weiterzulaufen“, sagt der 17-Jährige. Gerade an diesem Freitag Ende November muss er viele solcher Situationen ignorieren. Die Ortsgruppe von „Fridays for Future“ hat im Rahmen des weltweiten Klimastreiks Kinder und Jugendliche in Zwickau aufgerufen zu demonstrieren. Die rechte Kleinstpartei „Aufbruch deutscher Patrioten Mitteldeutschland“ (ADPM) hat eine offizielle Gegendemonstration angemeldet. Aus ihrer Sicht unterliegen die Aktivist*innen von „Fridays for Future“ einem „Klimawahn“. Jakob glaubt nicht, dass sich viele Teilnehmende bei der Gegendemo blicken lassen. Aber die Aktion ist ein Symbol für den Widerstand, den es aus einem Teil der Bevölkerung in Zwickau gegen die Klimabewegung gibt.

Am Nachmittag kommen auf dem Schumannplatz in Zwickau mehr als 200 Jugendliche von „Fridays for Future“ zusammen. Alles junge Schüler*innen mit selbstgemalten Plakaten und Transparenten. Darauf haben sie „Advent, Advent, die Erde brennt“ geschrieben oder „Make the earth great again“. Sie kritisieren in ihren Reden das Klimapaket der Bundesregierung, das in ihren Augen völlig unzureichend ist. Einer hat sich in ein Dinosaurier-Kostüm geworfen und tanzt mit besonders ausschweifenden Bewegungen für den Klimaschutz.

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Ein Tanz gegen den Klimawandel: Der als Dinosaurier verkleidete Demonstrierende ist motiviert.

Foto: Tim Lueddemann

„Ich hoffe, du atmest nicht mehr lang“

Jakob befindet sich unter ihnen. Während der Demo berichtet er von den

Übergriffen aus der vergangenen Zeit. „Es kam immer wieder vor, dass Teilnehmende unserer Demos abgefilmt wurden“, erzählt er. Diese Aufnahmen landeten in sozialen Netzwerken, versehen mit beleidigenden Kommentaren. Bei der vorigen Demonstration in Zwickau stürmte ein bekannter Neonazi auf die Bühne und schaltete das Mikrofon ab. Jakob erzählt, in sozialen Netzwerken würden ihn Drohungen erreichen, wie „Ich hoffe, du atmest nicht mehr lang“ oder „Ich hoffe, man schlägt dir mal in die Fresse“. Einschränken lassen möchte er sich davon nicht. „Aber man hat schon Angst, dass irgendwann noch mehr passieren könnte“, sagt er. Die besonders krassen Vorkommnisse zeigt er bei der Polizei an. „Ich bin mir aber nicht sicher, ob das wirklich was bringt“, sagt er.

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Jakob bekommt in sozialen Netzwerken Morddrohungen wegen seines Engagements gegen den Klimawandel.

Foto: Tim Lueddemann

„Ich gehe gar nicht mehr allein in die Stadt“

Eine, die diesen Hass ebenfalls abbekommt, ist Julia Spöhnmann. Die 18-Jährige war von Anfang an bei den Klimaprotesten in Zwickau dabei und engagiert sich bei „Fridays for Future“. Auf der heutigen Demonstration ist sie eine der Ordnerinnen, wie ihre weiße Armbinde verrät. „Ich passe auf, dass nichts Unvorhergesehenes passiert“, erklärt sie. Mit Beginn der Proteste habe sich auch ihr Leben verändert. „Ich gehe gar nicht mehr allein in die Stadt“, erzählt sie. „Man wird angepöbelt, bespuckt – die Polizei unternimmt da nichts oder zu wenig.“ Sie findet es demütigend, wenn Menschen so mit ihr umgehen. Aber vor allem tun ihr die Pöbler*innen und Angreifer*innen leid. „Ich finde es traurig, dass sie nicht versuchen, Konflikte anders zu klären“, sagt Julia.

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„Man wird angepöbelt, bespuckt – die Polizei unternimmt da nichts oder zu wenig“, sagt Julia Spöhnmann.

Foto: Tim Lueddemann

Der Polizei in Zwickau sind die Konflikte bekannt. Bisher sind bei ihr drei Anzeigen zu Straftaten eingegangen, die im Umfeld von „Fridays for Future“-Demonstrationen geschehen sein sollen. Eine davon wegen des Verdachts der Beleidigung, nachdem sich im Netz unter einem Foto von einem Aktivisten von „Fridays for Future“ Hasskommentare angesammelt hatten. Bei den anderen beiden Anzeigen geht es um den Verdacht auf Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz. Sie richten sich gegen Benjamin Przybylla, Lokalpolitiker und Anmelder der rechten Gegendemonstration.

Die Klimaschutzgegner*innen verteilen Kekse mit der Aufschrift „NSU“

Diese findet auf der anderen Seite des Schumannplatzes statt. Abgetrennt durch einen Brunnen und Büsche, haben sich etwa zehn Personen eingefunden, alle sehr viel älter als die Klimaschützer*innen. Sie versammeln sich um einen „Roster“. Das ist Sächsisch und meint einen Kohlegrill für Würstchen. Deshalb haben sie ihre Demonstration „Roster for Reality“ getauft. Sie lassen auch einen riesigen alten Dieselgenerator laufen, der nichts antreibt und mit seinem Motorenkrach den Platz beschallt. Auf diese Weise wollen sie zum Ausdruck bringen, dass sie nichts von der Kritik von „Fridays for Future“ an Kohlestrom und Dieselautos halten. Außerdem haben die Klimaschutzgegner*innen einen Pavillon aufgebaut, an dem sie selbstgebackene Kekse verteilen. Auf denen sind dick und fett die Buchstaben „NSU“ zu lesen. Zur Erklärung liegt ein Zettel daneben: Man wolle damit an die Motorenfabrik NSU erinnern. Man kann aber auch eine Verbindung zu dem Terrornetzwerk NSU ziehen, das zehn Menschen in Deutschland ermordete.

Benjamin Przybylla, der die Gegendemonstration angemeldet hat, sieht kein Problem in dieser Provokation. Der 39-Jährige ist ein großer und stämmiger Mann, der zuerst bei der AfD und jetzt bei der Partei ADPM („Aufbruch deutscher Patrioten“) sein Glück versucht. Bisher ohne ein Mandat für ein Parlament errungen zu haben. Przybylla versucht gar nicht zu verschleiern, dass mit den NSU-Keksen eigentlich das Terrornetzwerk gemeint ist. Bei den Keksen handele es sich um eine „Lächerlichmachung der ganzen NSU-Geschichte“, sagt er. In einer Rede auf der Gegendemonstration ruft er in Richtung der Klimaschutzdemonstration „Ökofaschisten“ und findet das auf Nachfrage als „Kampfbegriff“ für Minderjährige okay. Sie seien von ihren Eltern indoktriniert, deshalb müsse man ihnen etwas zum Nachdenken mitgeben, erklärt er.

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Benjamin Przybylla hat die Gegendemonstration angemeldet.

Foto: Tim Lueddemann

Neonazis fühlen sich doppelt von den „Fridays for Future“-Gruppen provoziert

Przybylla und die Gegendemonstration verkörpern den Teil der Bevölkerung, der sich in Zwickau gegen „Fridays for Future“ richtet. Die Klimaaktivist*innen werden als verblendet bezeichnet, sie würden der Ordnung und dem Wirtschaftswachstum in Deutschland schaden. Jakob erzählt, es seien rechtsextreme Personen und Gruppen, die so denken. Ein kleiner, aber sehr lauter Teil. In Zwickau sei der Widerstand gegen „Fridays for Future“ größer als in anderen Städten, weil die rechten Strukturen hier vorher schon sehr gewachsen waren, wie Wolfgang Wetzel ausführt, Ortsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Zwickau. „Die rechten Gruppen haben als Hauptthema natürlich Fremdenfeindlichkeit“, sagt er weiter. „Fridays for Future“ habe in der rechten Szene allerdings eine hohe Symbolwirkung. „Wer sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellt, behauptet oft auch, es gebe keinen menschengemachten Klimawandel.“ Da sich die „Fridays for Future“-Gruppen meist auch gegen Rassismus positionieren, fühlten sich Neonazis doppelt von ihnen provoziert.

Besondere Aufmerksamkeit erregten vor einigen Wochen Videoclips in sozialen Netzwerken, in denen die Demonstration in Zwickau aus einem Auto heraus gefilmt und von zwei Personen kommentiert wurde. Die beiden überlegten laut, ob es vom Grundgesetz gedeckt sei, wenn sie mit dem Auto Demonstrationsteilnehmende umfahren würden. Außerdem beleidigten sie die minderjährigen Teilnehmenden und drückten die Hoffnung aus, die „natürliche Selektion“ würde bald für das Verschwinden der Aktivist*innen sorgen. Eine der Personen: der Anmelder der „Roster for Reality“-Demonstration, Benjamin Przybylla. Auf diese Aufnahmen angesprochen, gibt sich der Lokalpolitiker friedlich. „Gewalt lehne ich grundsätzlich ab“, sagt er. Und wenn es zu Wortgefechten am Rande von Demonstrationen kommt, habe man „mal einen flapsigen Spruch auf den Lippen“.

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Am Nachmittag kommen auf dem Schumannplatz in Zwickau über 200 Jugendliche von Fridays for Future zusammen.

Foto: Tim Lueddemann

Die „flapsigen Sprüche“ können aber als Aufruf zum Mord verstanden werden. Jakob hält diese Provokationen für gefährlich. Er erinnert an den Terrorakt in Halle und weist darauf hin, dass es auch in der Region Zwickau eine große rechtsextreme Szene gebe. Angesichts des Gewaltpotentials, das von Rechtsextremen ausgehe, dürfe man solche Bedrohungen nicht verharmlosen. Auch Jörg Banitz, Sozialarbeiter in Zwickau, betrachtet die Äußerungen kritisch: „Natürlich versucht Benjamin Przybylla in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck zu erwecken, er sei rechtsextrem.“ Banitz beobachtet seit den Neunzigerjahren die rechte Szene in der Stadt. „Wenn man aber auf seine Äußerungen in sozialen Netzwerken und seine anderen Aktivitäten schaut, ist Benjamin Przybylla klar dem rechtsextremen Lager zuzuordnen“, sagt er. Die rechte Szene habe sich gefestigt, führt Banitz aus. Er sehe zwar keine konkreten Hinweise darauf, dass es aktuell zu direkten Anschlägen kommt, aber „die Rechten bauen eine Drohkulisse auf und je nach Situation halte ich es für möglich, dass da irgendwann etwas passiert“. „Fridays for Future“ sei für Neonazis ein besonders attraktives Ziel, weil „die Bewegung alles verkörpert, was sie ablehnen“, wie er sagt.

Die Polizei in Zwickau möchte von den Täter*innen nicht als Rechtsextremisten sprechen. Christian Schünemann, Pressesprecher der Polizeidirektion Zwickau, antwortet auf die Frage, ob die Täter*innen aus dem rechten Umfeld stammen, nüchtern: „Sofern der Polizei eine Motivation bekannt wurde, entsprang diese in der Regel einer grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber den Zielen der ‚Fridays for Future‘-Bewegung.“ Eine politische Einordnung wird nicht vorgenommen. Schünemann gibt an, dass es zu weiteren Straftaten gekommen sein könnte, die nicht angezeigt wurden. Das Problem: Geschädigte haben oft Angst zur Polizei zu gehen. Sie befürchten, dann erst recht ins Visier der Täter*innen zu geraten. Dazu kommt, dass bei einer Anzeige die Adresse des Opfers dem Angezeigten übermittelt wird. Das möchten viele vermeiden. Dass die Opfer unzureichend geschützt würden, sieht Schünemann nicht. Die Polizei würde auch „weiterhin vor Ort sein, um das Recht der Versammlungsteilnehmer auf Versammlungsfreiheit zu gewährleisten und Straftaten dagegen zu ahnden“, sagt er.

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Die Polizei in Zwickau möchte die Klimagegener nicht politisch einordnen.

Foto: Tim Lueddemann

Nicht nur Jakob und Julia sind vom Shitstorm der Klimagegener*innen betroffen

Übergriffe, Beleidigungen und Provokationen auf „Fridays for Future“-Aktivist*innen und Demonstrationen gibt es immer wieder. Prominentestes Beispiel ist Luisa Neubauer. Das Aushängeschild der Bewegung in Deutschland wird in sozialen Netzwerken regelmäßig angefeindet. Die „Fridays for Future“-Aktivistin Clara Mayer

musste einen Shitstorm aushalten, nachdem ihre Aktivität bei einer

antirassistischen Initiative bekannt worden war. Und in Kiel wurde bei einem Camp von „Fridays for Future“ eine Fahne angezündet. Vielen Ortsgruppen ist es unangenehm, über die Angriffe und Provokationen zu sprechen, weil man diesen nicht zu viel Raum geben wolle. Deshalb, und weil die vorhandenen Zahlen nicht zentral gesammelt werden, ist unklar, wie viele Ortsgruppen und Aktivist*innen von „Fridays for Future“ von Anfeindungen und Angriffen betroffen sind.

Jakob lässt sich von diesen Anfeindungen nicht einschüchtern. Im Gegenteil: „Es gibt mir so ein super Gefühl, dass ich seit den Ereignissen so einen Zuspruch und so eine Solidarität bekomme“, sagt er. Seitdem er die Übergriffe öffentlich gemacht hat, hätten sich noch mehr Menschen entschieden, bei „Fridays for Future“ und anderen Initiativen aktiv zu werden. Auch Julia lässt sich nicht entmutigen. „Ich weiß, dass ich viel Unterstützung hinter mir habe und ich weiß, wofür ich es tue“, sagt sie. Und in Richtung ihrer Gegner*innen hat sie eine klare Botschaft: „Regelt alles friedlicher.“

Friedlich gehen sowohl die „Fridays for Future“-Demo als auch die Gegendemo zu Ende. Auf dem Zwickauer Georgenplatz, auf dem die Klimaschützer*innen ihren Abschluss abhalten, wird getanzt. Auf dem Schumannplatz, bei der Gegendemo, werden die letzten Würstchen verteilt. „Wir setzen heute so ein starkes Zeichen“, sagt Jakob mit einem breiten Lächeln zum Abschied. „Wir haben heute klargemacht, dass die Nazis nicht die Oberhand in dieser Stadt haben.“ Noch während er das sagt, bespuckt ihn jemand aus einem Fenster weit über ihm.

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