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Ein offener Brief an die Youtuber, die Merkel interviewen

Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa / privat; Screenshot: Youtube, AlexiBexi / MrWissen2go; Bearbeitung: jetzt

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Lieber MrWissen2go, liebe Ischtar Isik, liebe ItsColeslaw, lieber AlexiBexi,

Ihr werdet die Kanzlerin interviewen. Nächste Woche. In einem Livestream auf Youtube. Ziemlich große Nummer für euch, als Youtuber. Glückwunsch. Aber ich muss auch sagen: Ihr tut mir ein bisschen leid.

Viele Leute werden jetzt wahrscheinlich erst mal auf euch einprügeln. Euch mit hämischen Kommentaren überschütten. Der Tonfall wird beleidigend und herablassend sein, man wird euch nicht zutrauen, der Aufgabe gerecht zu werden, die vor euch liegt. „Was will die Schminktipp-Tante bei der Kanzlerin? Nach ihrem Lippenstift fragen?“ „Warum soll eine, die sonst Videos wie ‚Ich kriege ein BOLLYWOOD-UMSTYLING’ macht, mit Angela Merkel über Politik reden?“ „Dieser hyperaktive AlexiBexi – macht der dann bei Merkel auch seine dämlichen Grimassen?“ Solche Fragen werden kommen, und ganz bestimmt wird irgendjemand auch „Armes Deutschland“ schreiben.

Um ehrlich zu sein: Ich habe mir selbst ähnliche Fragen gestellt. Ich kannte drei von euch nicht, bis ich heute Mittag die Meldung über euer Interview las. Und nachdem ich mich durch ein paar Videos geklickt hatte, wünschte ich mir, es wäre bei meinem Unwissen geblieben. Die schleimige Referendar-Art von MrWissen2Go kann ich nicht ausstehen, bei Ischtar werde ich das Gefühl nicht los, das Relevanteste an ihrem Youtube-Kanal sind ihre Augenbrauen. Und Alexis Taktik, Mangel an Witz mit Grimassen und Geschrei zu kaschieren, finde ich wahnsinnig anstrengend. Bei der Vorstellung, dass ihr der Kanzlerin in einem Interview gegenübersitzt, hatte ich also auch gewisse Zweifel, ob das funktionieren wird.

Das waren meine Reflexe. Aber nachdem ich kurz nachgedacht habe, habe ich gemerkt: Ich will euch trotzdem nicht bashen. Nein, ich stehe in eurer Ecke. Ich freue mich drauf und finde es gut, dass ihr die Kanzlerin interviewt. Ich will euch Mut zusprechen. Euch anfeuern. Ich hoffe auf euch.

Es wäre zwar sehr leicht, auf euch einzuprügeln. Denn die Fakten sprechen – zunächst mal – gegen euch: Angela Merkel hat schon eine Million Mal Interviews gegeben, ihr zweiter Vorname könnte „Ausweichende Antwort“ sein. Talkshow-Profis wie Anne Will oder Günther Jauch scheitern regelmäßig daran, ihr einen konkreten Satz zu ihrer Politik zu entlocken. Warum solltet ihr das also schaffen? Okay, Mr. Wissen2Go hat schon mal Videos über die Union und die Kanzlerin gemacht. Aber trotzdem bleibt die Frage nach eurer Kompetenz eine logische Schlussfolgerung aus der Grundkonstellation dieses Interviews.

Aber ich fände es falsch, euch eure Unerfahrenheit zum Vorwurf zu machen. Im Gegenteil: Sie kann eine Riesenchance sein. Wenn ihr sie richtig nutzt.

Ein Beispiel: Uli Köppe stellte vor ein paar Wochen auf einer Podiumsdiskussion der Brigitte Angela Merkel eine persönliche Frage: Er wollte wissen, wann er seinen Freund heiraten darf. Er rechnete, sagte er später, nicht damit, dass sie sagen würde, was sie sagte – und das führte dazu, dass ein paar Tage später die Ehe für alle im Bundestag beschlossen wurde. Was ich damit sagen will: Unbedarftheit, das Einfach-mal-frech-und-ganz-direkt-fragen, das kann eine gute Taktik sein. Vor allem dann, wenn es keine Taktik ist, sondern aus persönlichem Interesse, aus echter Betroffenheit oder Anteilnahme passiert.

 

Persönliches Interesse ist vermutlich euer Spezialgebiet. Ihr wisst genau, was eure Zielgruppe bewegt. Ihr seht es jeden Tag an euren Klickzahlen, Likes und Kommentaren. Vor dem Merkel-Interview sind eure Follower dazu aufgerufen, euch Fragen an die Kanzlerin zu schicken. Wenn ihr euch die gut durchlest, genau hinseht und -hört, werdet ihr merken, was ihnen wichtig ist. Und daraus gute Fragen ableiten können.

Aber bitte: Bleibt auf dem Teppich (oder was auch immer ihr in euren Youtuber-Zimmern auf dem Boden liegen habt). Versucht nicht, jetzt plötzlich die neuen Ulrich Deppendorfs und Caren Miosgas zu werden und einen auf Politik-Profi zu machen und die ultraklugen Fragen zu stellen. Wer sagt überhaupt, dass es ultrakluge Fragen sein müssen?

 

Ich glaube, dass auch Follower und Macher von Schmink-Tutorials relevante Sorgen und Zukunftsängste haben. Diese Sorgen mögen andere sein als die, die in den Kommentarspalten der großen Zeitungen oder in TV-Polit-Shows zu sehen sind. Aber so what?! Ist es nicht genau das, was Demokratie ausmacht? Dass jeder auf seine Art versuchen kann und soll, Politiker dazu zu bewegen, ihm mit seinen Sorgen und Nöten zu helfen? Und ist es nicht ein Riesenproblem, dass viele Wähler zu Nichtwählern werden?Weil die Politikvermittlung so, wie sie in der über lange Zeit gewachsenen Symbiose von Politikern und Politikjournalisten geworden ist, nicht mehr funktioniert? Hört man nicht ständig, es sei so schwer, junge Leute für Politik zu begeistern? Aber wie soll man das je schaffen, wenn man es nicht mal auf eine andere Art und Weise versucht?

 

Also bitte macht es anders als die Profis. Und geht dabei weiter als LeFloid, der 2015 als erster Youtuber ein Merkel-Interview führen durfte und dabei vor Nervosität und Ehrfurcht ob seiner ungewohnten Rolle als Politiker-Befrager erstarrte und vergaß, er selbst zu sein.

 

Es ist nicht wichtig, dass euch nach dem Interview die Leitartikler der Nation gut finden. Ihr habt zusammen 2,9 Millionen Follower. Die meisten von denen, so vermute ich mal, werden die Zeitungen der Leitartikler höchstens mal bei ihren Eltern oder Großeltern in die Hand nehmen. Um diese 2,9 Millionen geht es also. Die müsst ihr für Politik interessieren, weil ihr vielleicht die einzigen seid, denen das überhaupt gelingen kann. Die müssen sich für das interessieren, was ihr mit der Kanzlerin macht. Deren Stimme müsst ihr sein. Die müsst ihr beeindrucken.

 

Apropos beeindrucken: Der Kanzlerin müsst ihr nicht imponieren. In euren Videos sagt ihr oft sinngemäß zu euren Zuschauern: „Das Video über Dingsbums kam megagut bei euch an, also mache ich jetzt noch mal was zu Dingsbums.“ In eurem Job entwickelt man wahrscheinlich eine gewisse Sucht nach Aufmerksamkeit. Ihr braucht sie wie Luft zum Atmen. Aber bitte vergesst das in den zehn Minuten, in denen ihr Angela Merkel gegenüber sitzt. Diese Frau muss euch nach dem Interview hassen.

Ihr werdet live mit ihr sprechen. Das heißt, sie kann euch nicht ausweichen. Sie wird, so heißt es im Ankündigungs-Video von Mr. Wissen2Go, eure Fragen vorher nicht vorgelegt bekommen. Niemand wird nachher etwas rausschneiden können. Nutzt das.

 

2,9 Millionen sind sehr viele Menschen – und das sind ja nur die Follower, euer Interview werden wahrscheinlich noch sehr viel mehr Menschen sehen. Das ist eine große Verantwortung. Das kann total in die Hose gehen. Wenn das passiert, wird die Häme groß sein. Vielleicht dann ja auch zu Recht. Wenn ihr es verbockt, werde ich wahrscheinlich auch auf euch schimpfen. Aber erst dann und nur dann. Bis dahin sage ich noch mal: Glückwunsch. Und viel Erfolg.

 

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