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Nahostkonflikt: Alena Jabarine teilt auf Instagram Eindrücke aus palästinensischer Perspektive
Seit mehr als einer Woche eskaliert der immer schwelende Nahostkonflikt erneut: Am 7. Mai kam es in Jerusalem zu Zusammenstößen zwischen israelischer Polizei und Palästinenser*innen, die gegen die Räumungen von Häusern im arabischen Viertel Scheich Dscharrah protestierten. Anschließend weitete sich die Eskalation auf ganz Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete aus: Die Hamas schießt Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel, Israel bombardiert Gaza, und in vielen Städten kommt es zu gewaltsamen Übergriffen jüdischer Radikaler auf Palästinenser*innen sowie von Palästinenser*innen auf jüdische Menschen (mehr Infos zu den aktuellen Entwicklungen im Nahostkonflikt findest du im Newsblog der SZ).
Es ist schwierig, in diesem komplexen Konflikt den Überblick zu behalten. Neben den etablierten Medien nutzen viele Menschen auch Social Media, um sich über die Lage vor Ort zu informieren. Ein Instagram-Profil, dem viele vertrauen, ist das von Alena Jabarine. Die 35-Jährige ist Journalistin und hat unter anderem für den NDR gearbeitet und als Reporterin am Spotify-Podcast über den Anschlag in Hanau mitgearbeitet. Sie ist als Tochter einer Deutschen und eines Palästinensers in Hamburg aufgewachsen, hat einen deutschen und einen israelischen Pass und Familie in Israel. Seit Januar 2020 lebt sie in Ramallah im Westjordanland. Dort arbeitet sie nicht als Journalistin, sondern für eine politische Stiftung. Aber auf ihrem privaten Instagram-Account postet und teilt sie seit Beginn des aktuellen Konflikts Videos, Fotos und Eindrücke aus Israel, Gaza und der Westbank und hat dadurch innerhalb kurzer Zeit mehr als 10 000 Follower*innen hinzugewonnen.
Im Interview hat sie uns erzählt, warum sie sich dafür entschieden hat, vor allem aus der Perspektive der Palästinenser*innen zu berichten, wie sie mit Antisemitismus-Vorwürfen umgeht und ob sie auch einen spezifisch „deutschen“ Blick auf den Konflikt hat.
jetzt: Alena, wo bist du gerade?
Alena Jabarine: Ich bin in Hebron und wollte eigentlich nach Hause nach Ramallah fahren, das sind etwa 60 Kilometer. Aber dann kam die Meldung, dass bewaffnete jüdische Siedler auf der Straße unterwegs sind, die ich dafür nehmen müsste. Ich kann also erstmal nicht zurück.
Wie nimmst du die aktuelle Situation wahr? Hast du Angst?
Es ist ambivalent. Wenn ich irgendwo bin, wo es knallt, laufe ich panisch weg, da bin ich sehr deutsch. Die Menschen hier sind solche Situationen gewöhnt und gleichzeitig findet immer noch überall Alltag statt. Wobei schon ein neues Eskalationslevel herrscht. In Tel Aviv und Haifa, wo meine israelische Familie lebt, gibt es seit Tagen Ausschreitungen. Mein Onkel sagte am Telefon, dass sie nicht mehr auf die Straße gehen. Gleichzeitig feuert die Hamas weiterhin Raketen aus Gaza, die zum Glück fast alle vom Iron Dome abgefangen werden. Ich habe auf jeden Fall Angst vor einem Bürgerkrieg.
„Was anfing mit Familien, die friedlich ihr Fasten brechen, endete im kompletten Chaos“
Vor der aktuellen Eskalation hast du dich auf deinem Instagram-Account nie zum Nahost-Konflikt geäußert. Wieso nun doch?
Ich hatte lange keine Lust dazu, denn man kommt, gerade als Deutsche, schnell in eine Rechtfertigungsposition, wenn man etwa jüdische Siedlungen in der Westbank kritisiert. Ich habe mich darum darauf konzentriert, die Leute in meinen Storys einfach mit in meine Welt hier zu nehmen: „Schau mal, da macht gerade einer syrisches Eis“ – das war eher mein Ding.
Und dann?
Dann war ich an dem Tag, als es später zu den Ausschreitungen rund um die Al-Aksa-Moschee kam, in Jerusalem, habe mich durch die Stadt treiben lassen und gefilmt. Was anfing mit Familien, die friedlich ihr Fasten brechen, endete im kompletten Chaos. Die Story wurde sehr oft geteilt. Ich hatte bis dahin ungefähr 1500 Follower – und innerhalb von drei Tagen über 10 000. Vor allem junge Menschen aus Deutschland, die ein großes Interesse daran haben, Bilder von vor Ort zu sehen.
Damit hast du aber plötzlich auch eine ziemlich große Verantwortung, oder?
Ja. Ich habe darum extra einen Post geschrieben und klargestellt, dass das mein privater Account ist und ich nicht dafür da bin, den Nahost-Konflikt zu erklären. Ich teile meine persönlichen Eindrücke und authentisches Material, etwa von meiner Familie aus Haifa und Jaffa. Aber damit zeige ich nur ein Puzzleteil des Konflikts. Die anderen Teile müssen die Menschen sich selbst zusammensuchen. Die meisten checken das zum Glück auch. Mein Profil wird mit verschiedenen anderen empfohlen, die zum Teil eine ganz andere Perspektive haben.
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Welche Reaktionen bekommst du?
Ich habe vor allem Zuspruch bekommen. Viele Leute bedanken sich, diese Perspektive zu sehen, weil man sie in Deutschland oft nicht sieht. Ich bin aber auch offen für Kritik, denn natürlich passieren Fehler, wenn alles so schnell geht.
Zum Beispiel?
Ich hatte ein Video geteilt, auf dem man sieht, wie ein jüdischer Siedler mit dem Auto in eine palästinensische Menge fährt. Daraufhin hat mir jemand geschrieben, dass das Video eigentlich länger ist und das Auto vorher aus der Menge mit Steinen beworfen wurde. Ich habe mich bedankt und die längere Version geteilt.
Kannst du alle Videos und Bilder, die du teilst, verifizieren?
Ich versuche es und teile nichts, bei dem ich mir persönlich nicht sicher sein kann, dass es die Realität zeigt. Ich habe mir noch ein paar weitere Standards auferlegt: Ich teile nur Informationen, die ich für relevant und moralisch vertretbar halte, und ich zeige keine Bilder von Toten. Ein anderes Beispiel: Ich habe ein Video von einem jüdischen Siedler gesehen, der in seinem Auto sitzt und gegen Araber hetzt. Ich fand das sehr schlimm, aber habe es nicht geteilt, weil vieles daran meiner Meinung nach einem antisemitischen Klischee entsprochen hätte und ich dadurch etwas schüren würde, was ich nicht schüren will. Außerdem ist das nur eine einzelne, verrückte Person und die gibt es überall. Mir geht es darum, den Fokus auf strukturelle Probleme zu legen. Zum Beispiel darauf, dass radikale, rassistische Gruppen durch die Städte patrouillieren, zum Beispiel durch Lod und Jaffa, und von der israelischen Polizei und der Armee nicht gestoppt werden.
„Viele jüdische Menschen finden es genauso falsch, dass bewaffnete Siedler patrouillieren und die Polizei sie nicht aufhält“
Trotzdem wurde dir auf Twitter vorgeworfen, Antisemitismus zu verbreiten.
Ich lasse mir das nicht vorwerfen und zu mir persönlich hat das auch noch niemand so gesagt. Im Gegenteil. Mir haben in den vergangenen Tagen auch viele jüdische Menschen geschrieben und wir sind ins Gespräch gekommen. Viele von ihnen finden es genauso falsch, dass bewaffnete Siedler patrouillieren und die Polizei sie nicht aufhält. Denn wenn es eine Lösung für den Konflikt hätte geben können, wird diese Chance durch das, was in den Städten gerade passiert und von den Behörden zugelassen wird, kaputt gemacht. Das ist sehr traurig.
Die Videos, die du teilst, zeigen teils sehr drastische Gewalt. Ist das nicht kontraproduktiv?
Ich wurde mehrfach gefragt, ob das nicht noch mehr Hass schüren würden. Ob ich nicht lieber zeigen will, wie Juden und Jüdinnen gemeinsam mit Palästinensern und Palästinenserinnen bei einer Demo gesungen haben. Klar, wenn man sich anschaut, wer hier gemeinsam auf die Straße geht, dann sind das zum Beispiel liberale Palästinenser und Palästinenserinnen mit ihren jüdisch-amerikanischen Freunden und Freundinnen und Leuten aus der LGBTQ-Community, die gegen strukturellen Rassismus und Polizeigewalt demonstrieren. Aber ich will trotzdem zeigen, welche Gewalt hier gerade passiert. Denn wenn die Bild-Zeitung jeden Tag mit den Terrorattacken der Hamas auf Israel titelt, ist dieses Puzzleteil vorhanden – und ich liefere eben einen anderen Teil.
Du definierst dich selbst hauptsächlich als Deutsche, aber auch als Palästinenserin. Kannst du aus dieser Perspektive neutral berichten? Oder ist das gar nicht dein Anspruch?
Ich glaube, alle Menschen, die zu diesem Thema berichten, sind befangen. Jeder Mensch kommt doch irgendwoher und hat einen Hintergrund. Mir ist dabei vor allem wichtig, transparent zu sein. Ich sage ganz klar: Ich bin Deutsche und Palästinenserin. Die Menschen wissen also, aus welcher Perspektive ich die Situation betrachte, und können das einordnen. Mir ist außerdem wichtig, immer wieder zu betonen, dass das mein privater Account ist. Ich bin nicht mit einem journalistischen Auftrag hier.
Wie nimmst du die aktuelle Berichterstattung deutscher Medien zum Nahostkonflikt wahr?
Ich verfolge sie nicht kontinuierlich, sondern eher die lokalen Medien. Aber ich kriege immer wieder Sachen zugeschickt, die ich kritisch finde.
Hast du ein Beispiel?
Die israelische Armee hat am Samstag ein Hochhaus in Gaza bombardiert, in dem unter anderem die Büros der Medienorganisationen AP und Al-Jazeera untergebracht waren. Es wurde live gefilmt, wie der Besitzer des Gebäudes am Telefon die israelische Armee anfleht, den Journalisten zehn Minuten mehr zu geben, damit sie ihr Equipment retten können (das Bombardement wurde angekündigt, darum war das Gebäude zu diesem Zeitpunkt schon evakuiert; Anm. d. Red.). Aber darauf sind sind die Israelis nicht eingegangen. Medien anzugreifen ist laut internationalem Recht ein Kriegsverbrechen (u.a. die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ und die UN haben den Angriff mittlerweile verurteilt, Anm. d. Red.). Im Bericht von Spiegel Online wurde die israelische Armee zitiert, die den Angriff damit begründet hat, dass Hamas angeblich Büros in diesem Gebäude hatte. Aber die Gegenseite wurde nicht erwähnt, also etwa das Statement von AP, in dem die israelische Armee dazu aufgefordert wurde, für diese Behauptung Beweise zu liefern, die es bisher nicht gibt.
„Allein der Gedanke, es gäbe ,zwei Seiten‘, ist schon falsch“
Du kritisierst, dass diese Gegenseite in den deutschen Medien zu oft fehlen würde.
Ich finde zumindest, dass oft die palästinensische Perspektive oder wichtiger Kontext fehlen und dass deutsche Journalisten und Journalistinnen viel zu selten in Gaza oder der Westbank unterwegs sind. Allein, dass die Annexion Ostjerusalems völkerrechtswidrig ist und unter anderem darum der Konflikt immer wieder hochkocht, wird meistens gar nicht mehr erzählt. Genauso werden Palästinenser sehr oft mit der Hamas gleichgesetzt, obwohl es auch die Palästinenser und Palästinenserinnen in der Westbank und in Israel gibt, die nicht von der Hamas reagiert werden und in einer ganz anderen Situation leben. Aber vielleicht besteht jetzt die Chance, diese Dinge nochmal zu erklären.
Hast du als Deutsche auch einen spezifisch „deutschen Blick“ auf den Konflikt?
Ich bin geprägt vom deutschen Schulunterricht und mein Learning aus der deutschen Vergangenheit und dem Holocaust war immer, dass man aufsteht, wenn Rassismus und Menschenrechtsverletzungen passieren, egal wann, wo und durch wen. Der Schluss vieler Deutscher ist allerdings: Weil wir damals den Mund gehalten haben, dürfen wir ihn jetzt nicht aufmachen, wenn in Gaza Zivilisten durch israelische Bomben sterben. Das war für mich noch nie logisch, denn Menschenleben müssen geschützt und politische Probleme anders gelöst werden. Ich habe aber das Gefühl, dass viele junge Menschen, sowohl in Deutschland als auch in Israel, das heute ähnlich sehen: Sie positionieren sich gegen Rassismus und Antisemitismus und dagegen, dass Palästinenser und Palästinenserinnen in den besetzen Gebieten aus ihren Häusern vertrieben werden.
Auf Social Media wirkt es auf mich eher so, als habe gerade jede*r Deutsche das Bedürfnis, sich für eine der beiden Seiten zu positionieren.
Ja, bei Israel und Palästina denken immer noch viele Deutsche, dass sie die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Aber allein der Gedanke, es gäbe „zwei Seiten“, ist schon falsch. Wer repräsentiert denn dann wen? Die Hamas repräsentiert nicht alle Palästinenser, die radikalen jüdischen Siedler nicht alle Israelis. Es gibt ganz viele verschiedene Perspektiven. Wenn ich Videos geteilt habe, die Angriffe von jüdischen Gruppen auf Palästinenser zeigen, habe ich darum immer wieder dazu geschrieben: „Be aware: They do not represent all the Israeli people, they are a minority.“
Wie geht es jetzt für dich weiter? Wenn die Lage noch weiter eskaliert, willst du dann zurück nach Deutschland gehen?
Ich glaube, dass es wichtig ist, zu bleiben und einen kleinen Beitrag zum Gesamtbild zu leisten. Hier ist gerade der richtige Ort für mich.
Wirst du also auch mit deinen Instagram-Inhalten weitermachen?
Ja, vor allem, weil so viele Leute mich dazu auffordern. Ich habe allerdings seit Tagen kaum geschlafen, weil alles Schlag auf Schlag geht. Wenn sich die Lage etwas beruhigen würde, könnte ich vielleicht rumfahren, meine jüdisch-israelisch Freunde und Freundinnen interviewen, tiefer gehen, mehr Sachen erklären, die Instagram-User einbinden und fragen: Was interessiert euch? Langfristig könnte ich mir das gut vorstellen. Aber aktuell habe ich dafür keine Kapazitäten.