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Nach Clausnitz und Bautzen: Was Sachsen der Welt jetzt sagen wollen
Und schon haben wir wieder ein neues Pauschalurteil: Sachsen? Struktureller Rassismus! Auf dem rechten Auge mindestens blinde, eher aber selbst schwer in Richtung Steuerbord gekippte Autoritäten auf allen Ebenen. Und darunter eine Bevölkerung, die, geschichtlich bedingt, offen ist, sich von diesen Autoritäten leiten zu lassen. Alles braune Suppe! Alles Bäh! Ungefähr so fühlt sich das gerade an.
Und weil wir das noch nicht glauben wollen, haben wir mal nachgefragt. Bei ganz normalen Sachsen, die Kinder erziehen oder Werbeagenturen leiten. Die sich in Vereinen engagieren oder studieren. Eine ganz einfache Frage: "Was willst du der Welt jetzt sagen?". Das haben sie geantwortet:
Theresa, 25, Journalistin
"Obwohl ich nichts von der DDR erlebt habe, konnte ich mir als geborene Dresdnerin in meiner Münchner Wahlheimat viele Vorurteile über "den Osten" anhören. Zu Hause in Dresden gab es im Austausch die Frage, was ich denn bei den "Besser-Wessis" und der kapitalistischen Blender-Stadt München überhaupt wolle. Bevor Pegida kam, konnte ich mit klugen Menschen diese Stereotype bedienen, darüber lachen und es alles nicht so ernst nehmen. Dumme Menschen nehmen sich und ihre Ansichten leider viel zu ernst.
Jetzt gibt es nichts mehr zu lachen. In meiner Heimat wird Menschlichkeit mit Füßen getreten und das Ganze noch bejubelt. Ich bin es leid. Ich bin es leid, zu Hause in Dresden zu sagen: Nein, so wie ihr Flüchtlinge darstellt, so sind nicht alle. Ich bin es leid, zu Hause in München zu relativieren: Nein, so wie ihr gerade alle Menschen in Sachsen darstellt, so sind nicht alle. Ich bin es leid, zu Hause Themen zu umschiffen, weil ich bei Menschen, die ich mag, nicht fragwürdige Ansichten entdecken will. Ich bin es leid, entgegen der Flüchtlingshochjubelei kritisch anzumerken, dass Integration nichts ist, was automatisch passiert und einfach sein wird.
Ich bin diese "Wir-armen-Ossis-wurden-bei-der-Wende-nur-verarscht"-Nummer leid, aus der ein Gemeinschaftsgefühl erwächst, das gegen andere hetzt. Ich bin es leid, dass braunes Gedankengut nur auf Sachsen geschoben wird. Ich bin es leid, dass vielen Ostdeutschen und ehemaligen Ostblock-Staaten hinter der Mauer ein paar Menschenrechte anscheinend nicht vermittelt wurden. Ich bin es leid, dass ich bei diesem Thema nichts mehr zu lachen habe – weder in der einen Heimat noch in der anderen.
Ich würde es mir gerne einfach machen, mich für eine Seite entscheiden und auf diese ganze Differenzierung und die Realität verzichten. Zur Zeit resigniere ich nur – und schäme mich für meine Heimat. Doch ich bin so unglaublich stolz auf die, die nicht bequem in München sitzen, sich ihre Urteile im Sessel bilden und resignieren. Sondern in Sachsen jeden Tag ein Zeichen dagegen setzen und sich nicht von der Scham unterkriegen lassen, so wie ich es tue. Ich merke, wie schwer es ist, die Zeichen dieser Menschen von München aus zu sehen. Aber weil ich dort geboren bin weiß ich, dass sie da sind."
Sarah, 24, Erzieherin
"Ich wünsche mir, dass der Hass aufhört und die Menschen endlich anfangen nachzudenken, wem oder was sie ihre Stimme geben. Sie sollten damit beginnen, sich erstmal selbst ihre Meinung zu bilden. Wir sind alle Menschen dieser Erde und nur zu Gast hier, das sollten wir nicht vergessen. Wo jeder geboren wird, ist pures Glück! Angst? Habe ich nur vor den Deutschen."
Volker Tzschucke, 41, Geschäftsführer der "Klang von Blau"-Agenturgruppe, Chemnitz
"Für mich persönlich handelt es sich seit vielen Monaten eher um eine 'Rassismuskrise' als um eine 'Flüchtlingskrise' – und irgendwann sollten alle Medien beginnen, dies auch so zu benennen. Das wird leider in Sachsen besonders deutlich. Angesichts von Bildern wie in Clausnitz, aber auch der Rechtfertigungslogik des Chemnitzer Polizeipräsidenten zum dortigen Polizeieinsatz bin ich manchmal einfach nur fassungslos. Und natürlich frage ich mich: Wo ist die bürgerliche Mitte, die hier dagegenhält?
Dann fällt es mir ein: Viele meiner Freunde und Bekannten – und zuweilen auch ich – sind einfach nur damit beschäftigt, die praktischen Auswirkungen der Fluchtbewegung abzufedern: als Freiwillige in der sächsischen Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz. Als 'Willkommensdienst', der sich die späten Abende am zugigen Bahnhof um die Ohren schlägt, weil man die ankommenden Flüchtenden nicht allein durch die nächtliche Stadt schicken will. Als Sprachlehrer. Als Paten, die Flüchtlingsfamilien deutschen Alltag und deutsche Bürokratie erklären. Es gibt sie zahlreich, auch in Sachsen. Sie sind engagiert, sie müssen sich beschimpfen und bedrohen lassen – nur für Gegendemos bleibt da nicht unbedingt viel Zeit. Und man möchte der Politik zurufen: Wir unterstützen Euch bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, bitte kümmert Ihr Euch endlich genauso engagiert um die Rassisten!"
Aya, 21 Jahre alt, kommt aus Stuttgart und studiert Sensorik und Kognitive Psychologie an der TU-Chemnitz
"Ich fühle mich im Allgemeinen ganz wohl in Chemnitz. Abgesehen davon, dass ich ständig meine Eltern davon überzeugen muss, dass es trotz der vielen Ausländerfeinde in Chemnitz genauso viele Leute hier gibt, die mich lieben und akzeptieren. Das ist die eine Seite. Aber um ehrlich zu sein: Ich habe auch Angst, dass ich jederzeit auf der Straße angegriffen werden könnte. Und dass die Wahrscheinlichkeit, dass mich jemand in diesem Moment verteidigt oder mir hilft, sehr gering ist."
Frank, 38, selbstständig in der Versandbranche
"Wir sind da! Wir, die guten Sachsen, die verstanden haben, dass wir für
die Gestaltung unseres Lebens selbst verantwortlich sind und kein Politiker, kein Amt und mit Sicherheit kein Flüchtling. Aber wir haben auch Angst. Angst vor denen, die ohne nachzudenken Gewalt ausüben. Und Angst davor, allein dazustehen, wenn wir die Stimme erheben. Angst besonders dann angeprangert zu werden, wenn nach einem Appell für mehr Menschenliebe eine weitere Silvesternacht stattfindet und man ins Kreuzfeuer gerät.
Tief drinnen wissen wir, dass Tausende wie wir denken, aber dass diese eben auch Angst haben sich an unsere Seite zu stellen. Denn die blinde Wut der Pegida Anhänger erfährt aus den Händen der Staatsgewalt keine Gegenwehr. Und wer möchte schon gern einen Molotow im eigenen Fenster sehen? Deshalb müssen wir schweigen. Und hoffen, dass der Spuk bald vorbei ist."
Bernhard, 50, Bauingenieur
"Ich fühle mich elend, wenn ich sehe, wie hier Kindern und Frauen gegenüber gehetzt wird, wie diese verängstigt und letztlich sogar von der Staatsmacht grob behandelt werden; einer Staatsmacht, die sich andererseits außerstande sieht, einen Platzverweis gegen etwa 100 aufgebracht pöbelnde Menschen konsequent durchzusetzen und das Abbrennen von Flüchtlingsunterkünften zu verhindern.
Gleichzeitig macht es mich wütend und entschlossen, solchen Menschen niemals das Feld zu überlassen. Menschen, die, offenbar vor Angst verblendet, das vergessen, was uns Menschen ausmacht: nämlich unsere Menschlichkeit.
Bitte: Fürchtet Euch nicht! Weder vor den Flüchtlingen, noch vor denen, deren ureigenstes Interesse es ist, mit der Angst der Menschen ihre finsteren Ziele zu erreichen. Ich denke, es muss nun endlich ein gesellschaftlicher Diskurs darüber beginnen, was hier seit mindestens 20 Jahren gründlich schief gelaufen ist. Denn hier ist es zu schön, hier gibt es auch zu viel Gutes, um dieses Land weiter in den Abgrund rutschen zu lassen."
Clemens Albrecht, 27, Lehrmittelberater
Warum tun sich immer wieder Sachsen hervor, wenn es um Hass gegen Flüchtlinge geht? Vor allem diese Frage bewegt mich derzeit. Ich erlebe in meinem direkten Umfeld viele Diskussionen über dieses Thema. Das Meinungsspektrum dabei ist weit, nicht immer fällt es mir leicht, meine eigene – Menschenfreundliche – Meinung laut zu sagen. Aber ich kenne niemanden, der die Gewalt gegen Flüchtlingsheime gut findet. Der Blockaden von Flüchtlingsbusen toleriert.
Und deshalb bewegt mich immer mehr die Frage, wer diese Leute sind, was sie dazu bewegt. Ich lese immer wieder Texte darüber, warum Pegida gerade in Dresden funktioniert und warum die Gewalt vor allem in Sachsen so ein Ausmaß erreicht. Aber wirklich schlüssige Erklärungen finde ich dafür nicht. Das erzeugt ein sehr ungutes Gefühl bei mir. Ich verstehe einfach nicht, was da in meinem Umfeld aus dem Ruder läuft.
Thomas Ebert, 29, Chemiker
"Die Ereignisse, die derzeit das Bild von Sachsen prägen, kamen nicht
unerwartet. Weder das Verhalten der Polizei, noch das Verhalten des wütenden Mobs. Die Probleme mit dem Rechtsextremismus werden meist nur nach Wahlerfolgen rechter Parteien medial thematisiert und dann ist oft die größte Sorge, dass internationale Firmen weniger investieren, internationale Fachkräfte fern bleiben oder der Toursimus darunter leidet. Der Alltagsrassismus, der zum Teil auch in den Reihen der Polizei anzutreffen ist, wird dabei zu oft unter den Teppich gekehrt.
Was die überalternde sächsische Gesellschaft dringend braucht, ist eine
echte Willkommenskultur, die nicht nach Herkunft, Hautfarbe oder
Religion unterscheidet. Diese muss jedoch von den Bürgern ausgehen. Von der Landesregierung ist außer Symbolpolitik und gespielter Empörung wenig zu sehen. Jeder ist daher dringend aufgefordert, Sachsen menschlicher zu gestalten – auch, damit die engagierten und offenen Menschen nicht resignieren oder frustriert das Land verlassen!"
Jacqueline Hofmann, 37, Projektleiterin im Familienverein Chemnitz
"Nach den Bildern in Clausnitz bin auch ich fassungslos. Leider nicht zum ersten Mal in den vergangenen Monaten. Ich bin ehrenamtlich in einer Erstaufnahmeeinrichtung tätig. Und ich arbeite täglich mit den Kindern dort. Ich habe dort sehr selbständige und verantwortungsbewusste Kinder kennengelernt – und in viele sehr traurige Kinderaugen geschaut. Nach den Bildern aus Clausnitz sollte jedem klar sein, wie wichtig unsere Arbeit ist, um den Kindern zu helfen in einen Alltag zu finden (soweit dies eigentlich möglich ist), ihre Fähigkeiten auszubauen und eine Chance auf eine Zukunft zu haben.
Das einzige, was ich geben kann, sind Stunden der Fröhlichkeit, der Aufmerksamkeit, des Lachens, der Nähe und ein Zeichen der Willkommenskultur. Kinder haben das Recht darauf, Kind sein zu dürfen! Diese Kinder und auch Eltern brauchen dies so sehr für ihre kleine Seele."
Sabine, 51, Verwaltungsmitarbeiterin in einem Verein
"Ich fühle mich nach den ständigen Ereignissen hier in Sachsen teils wütend, teils hilflos. Aber auch motiviert, mich weiter zu engagieren gegen Rassismus, gegen Fremdenfeindlichkeit. Es macht mir Angst, dass bei vielen Leuten immer weniger Empathie zu spüren ist, und dass die Hemmschwelle sinkt. Und es macht mir Angst, dass die sächsische Politik offenbar die Gefahr nicht erkennt, die sich daraus ergibt.
Das ist meine größte Sorge: dass die sächsische Regierung auf dem rechten Auge so blind ist. Andererseits kenne ich zahlreiche Leute, jung bis alt, die sich engagieren, die man im Zuge der ewigen rechten Demonstrationen und rassistischen Aktionen nicht bemerkt, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Ich finde es wichtig, dass all diese Leute deutlicher und lauter denn je ihre Position klar vertreten und hoffe, dass das gelingen wird."