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Moria: „Files from Moria“ zeigt Alltag im Flüchtlingslager auf Lesbos
„Bitte, evakuiert unsere Eltern und Großeltern. Es ist eine wirklich harte Vorstellung, unsere Liebsten hier in diesem Lager wegen des Coronavirus zu verlieren. Bitte, helft ihnen“, sagt eine junge Frau in die Kamera. Die Videobotschaft ist kurz, ihre Stimme bricht. Der Clip ist Teil des Projekts „Files from Moria“. Das Projekt zeigt Videos der knapp 20 000 Menschen, die gerade im völlig überfüllten Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos leben. Geflüchtete sprechen über ihre Angst, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, sie teilen den Alltag aus dem Lager, zeigen Kinder, die versuchen, ihre Hände zu waschen, Müllberge im Regen, aber auch Schnipsel von volleyballspielenden Männern, unterlegt mit klassischer Musik. Die Initiatorin des Projekts ist die Filmemacherin und Autorin Juno Meinecke aus Berlin. Sie sieht „Files from Moria“ als eine Möglichkeit, das greifbarer zu machen, was für viele Menschen im sicheren Europa nur abstrakte Zahlen sind.
Die Idee zum Projekt kam spontan. „Ich denke, es ist wichtig, dass die Schutzsuchenden für sich selber sprechen, sie können am Besten über ihre Situation berichten. Gerade jetzt, zu Zeiten der Grenzschließungen, sind sie die einzigen Zeugen der Situation, in der sie sich befinden“, sagt Juno am Telefon gegenüber jetzt. Als Ende Februar der EU-Türkei-Deal ausgesetzt wurde, als in Griechenland rechte Gruppen aufmarschierten, um gegen die Geflüchteten zu demonstrieren, wurde darüber in Europa nicht genug debattiert, findet die Künstlerin: „Das alles ist untergegangen, die Medien waren da schon sehr mit der sich den deutschen Grenzen nähernden Corona-Pandemie beschäftigt. Das war erschreckend zu sehen.“ Sie wollte mit eigenen Mitteln etwas auf die Beine stellen. Gemeinsam mit Dennis Zyche, der Programmierer und Künstler ist, entwickelte sie „Files from Moria“: Eine Seite, die als Archiv fungiert und den Menschen, die in Moria leben, eine Stimme gibt.
Moria steht stellvertretend für die anderen Lager
Das Material wird von den Mitgliedern des „Moria Awareness Team“ geliefert, mit dem Juno über verschiedene Bekannte in Kontakt kam. In diesem Team haben sich Geflüchtete verschiedener Nationen mit Unterstützung freiwilliger Helfer*innen und örtlicher Hilfsorganisationen selbst organisiert. Die Gruppe betreibt Aufklärung rund um die Corona-Pandemie in vier Sprachen. „Das Team und wir haben schnell einen Nenner gefunden. Auch sie möchten selbst sprechen und ihre Situation vor Ort zeigen. Sie schicken uns regelmäßig neue Videos, die sie mit ihren Handys drehen“, sagt Juno.
Die Videos zeigen, wie Frauen im Lager Schutzmasken nähen und dabei Musik hören, einen Mann, der ein Plakat in die Kamera hält: „Don’t leave me behind“. Moria steht stellvertretend für die anderen Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln, die genauso überfüllt sind, in denen die Zustände nicht besser sind.
Juno beschreibt „Files from Moria“ als einen „Beleg dafür, dass die Situation dort real ist“. Und wünscht sich von der Politik mehr Verantwortung: „Wenn man sieht, welche Hebel sich im Rahmen dieser Krise bewegen können, wenn man sieht, was sich ganz schnell ändern kann, wenn die Politik es nur will, dann sind alle bisherigen Argumente in der Asylpolitik außer Kraft gesetzt. Wenn 80 000 Erntehelfer*innen eingeflogen werden, damit die Deutschen Spargel und Erdbeeren essen können, dann ist der Umgang mit den Geflüchteten in Moria und all den anderen Lagern nicht zu entschuldigen. Es ist eine ganz klare politische Entscheidung, nicht zu evakuieren, und nicht zu helfen.“
Menschenrechtsorganisationen fordern schon lange die Schließung des Lagers
Die Lage der Geflüchteten auf den griechischen Inseln ist prekär. Im Lager Moria, das eigentlich nur für etwa 2700 Menschen gebaut ist, halten sich derzeit etwa 18 300 Menschen auf. Humanitäre Organisationen fordern schon lange die Schließung des Lagers. Doch es passiert wenig: Deutschland plant, insgesamt 350 bis 500 unbegleitete Minderjährige aus den Lagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen – bevorzugt Kinder im Alter unter 14 Jahren, kranke Kinder und Mädchen.
Absurd wenig, finden Menschenrechtsorganisationen und Aktivist*innen, auch Juno wünscht sich, dass Deutschland sich stärker für die Geflüchteten einsetzt: „Das sind Menschen, die Gründe haben, dass sie ihr Leben riskiert haben, und das Land ihrer Herkunft verlassen haben, sei es wegen Hunger oder Krieg, die auf ein besseres Leben hoffen. Es müssen alle Menschen aus den Camps evakuiert werden, es dürfen keine Familien getrennt werden. Alle Menschen haben die gleichen Rechte. Menschenleben werden von der Politik bewusst als Warnung gebraucht, damit andere Menschen nicht nachkommen.“
Mit ihrem Projekt möchte sie zumindest den Menschen, die in Moria leben, eine Stimme geben. Auch auf Instagram teilt sie einige der Videos, viele Menschen schreiben ihr. Sie sagt: „Die Reaktionen, die wir bisher mitbekommen haben, zeigen, dass es einen großen Unterschied macht, ob man von Geflüchteten in Statistiken oder Zahlen liest, oder ob man die einzelnen Menschen sieht, sie auf die Art und Weise, wie sie das möchten von sich und ihrer Situation erzählen.“