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Mathilde Ramadier über Start-ups und was daran nicht gut ist
Die junge, französische Schriftstellerin Mathilde Ramadier arbeitete mehrere Jahre in verschiedenen Berliner Start-ups. Auf ihre anfängliche Begeisterung folgte schnell die Desillusion über die prekäre und anspruchslose Arbeit in den Unternehmen. Ihre Erlebnisse verarbeitete sie später in ihrem Buch „Bienvenue dans le nouveau monde“, in dem sie junge Berufseinsteiger warnt, sich nicht von den Versprechen der Gründerszene blenden zu lassen.
jetzt: London, Paris, Berlin. Die großen Metropolen Europas konkurrieren darum, dass sich junge Unternehmer niederlassen und gründen. Die Städte erhoffen sich dadurch einen kräftigen Innovationsschub und hochqualifizierte Arbeitsplätze. Können Start-ups das wirklich bieten?
Mathilde Ramadier: Nein! Ich habe in meinen vier Jahren, in denen ich für Start-ups gearbeitet habe, wenig gesehen was wirklich innovativ oder gar wirtschaftlich revolutionär wäre. Ein Großteil der Start-ups sind im Dienstleistungssektor angesiedelt und schaffen Angebote für Dinge, die eigentlich keiner wirklich braucht. Neuartige, noch nie dagewesene Produkte, bringen sie nicht auf den Markt. Ich weiß nicht, was daran innovativ sein soll, wenn das zigste Start-up damit wirbt, dass es Essen direkt nach Hause liefert. Auch das Versprechen von hochqualifizierten Arbeitsplätzen ist eine Mär. Viele der Jobs sind intellektuell nicht sonderlich herausfordernd und die Arbeit meist monoton.
Was hattest du damals für Aufgaben in den Start-ups?
Ich habe als „Content Manager“ oder „Country Manager“ gearbeitet und auch eine Zeit lang als „People Manager“ ausgeholfen. Ganz egal, wie die Jobbezeichnung auch lauten mag, es soll vermittelt werden, dass man Verantwortung übernimmt und persönlich für den Erfolg des Unternehmens wichtig ist. In Wahrheit ist die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Arbeitsaufgaben jedoch sehr begrenzt, die Aufstiegsmöglichkeiten gering und jeder ist austauschbar. Alle Arbeitsergebnisse werden überwacht und mit den individuell festgelegten Leistungskennzahlen abgeglichen, um den Erfüllungsgrad der Arbeitsziele zu ermitteln. In meiner Tätigkeit als „Content Manager“ musste ich beispielsweise die immer gleichen Werbeformulierungen in verschiedene Newsletter-Formate einfügen, um möglichst hohe Klickzahlen zu erzielen. Nach einigen Monaten fühlte ich mich davon unterfordert und erschöpft. Ich hatte den Eindruck, an „Bore-out“ zu leiden. Die von dem Start-up beschworene Selbständigkeit und Weiterentwicklung entpuppte sich als Illusion.
Trotz dieser Erfahrungen warst du insgesamt bei zwölf verschiedenen Start-ups beschäftigt. Warum bist du nicht einfach aus der Branche ausgestiegen?
Um ehrlich zu sein, hat es mich eher zufällig in die Start-up-Szene verschlagen. In Berlin ist ein Großteil aller Jobangebote im Dienstleistungssektor den Start-ups zuzuordnen. Da ich mich schon immer für digitale Technologien interessiert habe und sich die Stellenanzeigen klar an junge, internationale Menschen richten, war ich neugierig und bewarb mich. Außerdem ließen sich meine Jobs, die nie Vollzeit waren, am besten mit meinem Leben als Schriftstellerin verbinden. Obwohl ich oft unzufrieden war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es auch woanders genauso ist und glaubte, dass ich schon den passenden Job im Start-up-Bereich finden würde.
In deinem Buch bezeichnest du die Arbeit in einem Start-up schlicht als einen „bullshit job“. Dennoch sind Start-ups bei jungen Menschen als Arbeitgeber äußerst attraktiv. Wie erklärst du dir das?
Für viele junge Menschen stellt die Arbeit in Start-ups ein Stück Selbstverwirklichung dar. Genau wie im privaten Leben wollen viele auch in der Arbeit ungebunden sein und sich nicht in eine starre Hierarchie zwängen lassen. Für Start-ups zu arbeiten, bedeutet mehr als am Ende des Monats sein Gehalt überwiesen zu bekommen: es ist eine Lebenseinstellung. Man ist Teil eines Abenteuers und eine einzige, erfolgreiche Idee kann über Nacht zu Ruhm und Reichtum führen. Start-ups spielen mit diesem Image. In gewisser Weise, sind sie somit Ausdruck des liberalen, individualistischen Zeitgeistes, mit dem viele von uns groß geworden sind.
Inwiefern unterscheiden sich Start-ups von anderen, herkömmlichen Arbeitgebern?
Start-ups tun viel dafür, um eine jugendliche Arbeitskultur im Unternehmen zu etablieren. Die Arbeit soll immer Spaß machen und fast spielerisch erledigt werden. Bereits die Stellenausschreibungen enthalten mysteriöse Jobbezeichnungen, wie „Chief Happiness Officer“, „Online-Marketing Ninja“, „Treasure Hunter“ oder „Reporting Wizard“. Damit wird einer stinknormalen Büroarbeit einem aufregenderen Anstrich verpasst. Am Arbeitsplatz werden extra Tischtennisplatten, Kickertische oder Mate-Getränke frei zur Verfügung gestellt. Die Kommunikation im Team läuft meist über soziale Netzwerke ab und Arbeitsanweisungen werden mit Smileys, GIFs oder süßen Katzenbildern verziert. Dieser Jugendwahn verdeckt jedoch nur oberflächlich Probleme wie Sexismus oder schlechte Arbeitsbedingungen. Start-ups stellen mitnichten eine „neue Arbeitswelt“ dar, wie sie es gerne von sich selbst behaupten.
Wie sehen die Bedingungen hinter den Kulissen denn wirklich aus?
Die Bedingungen bei Start-ups sind sehr ernüchternd und hart. Es ist erschreckend zu sehen, wie viele gut ausgebildete, junge Leute bereit sind, zu sehr schlechten Bedingungen zu arbeiten. Viele Jobs sind nicht gut bezahlt und zudem auch noch unsicher: Knapp 90 Prozent aller Start-ups gehen pleite und die Vertragslaufzeiten sind sehr kurz. Mir wurde selber einmal ein sechsmonatiger Arbeitsvertrag mit einer ebenso langen Probezeit angeboten. Als ich mich beschwerte, wurde ich mit der Erklärung beschwichtigt, dass selbst die Firmengründer zu ähnlichen Vertragsbedingungen arbeiten. Aber natürlich macht es einen großen Unterschied, ob man Firmeneigentümer ist oder als Angestellter nur seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, wenn das Unternehmen am Ende aufgelöst oder verkauft wird.
Du malst die Arbeit in Start-ups ziemlich schwarz. Welche persönlichen Erlebnisse formten deine Ansichten?
Ich erinnere mich beispielsweise an eine Weihnachtsfeier, wo uns der CEO erzählte, dass wir Mitarbeiter alle Mitglieder einer ganz besonderen Familie seien und er unglaublich stolz auf die gemeinsam geleistete Arbeit ist, die den Erfolg des Unternehmens ausmache. Ein paar Monate später stellte sich heraus, dass er die Unternehmenszahlen gefälscht hatte. In der Folge mussten Büros geschlossen und zwei Drittel aller Angestellten gefeuert werden. Sehr frustrierend war für mich auch die Erfahrung, dass ich trotz gegenteiliger Vereinbarung keine befristete Anstellung erhielt, sondern man mich als Freelancer für einen Hungerlohn dauerhaft beschäftigen wollte. Als ich dies ablehnte, sagte der CEO zu mir, dass man in dieser Branche bereit sein muss alles zu geben und sich aufzuopfern. „Wenn du nicht belastbar bist, solltest du lieber irgendwo als Empfangsdame arbeiten“, bemerkte er. Hätte er sowas auch zu einem männlichen Mitarbeiter gesagt? Ich finde, dass dieses arrogante Machogehabe typisch für Start-ups ist.
Was rätst du jungen Leuten die sich so wie du, in Berlin niederlassen und überlegen in einem Start-up zu arbeiten?
In Berlin ist die Gefahr groß, sich treiben zu lassen und ein bisschen von seinem Weg abzukommen. Deshalb ist es wichtig sich vorher über die Lebensumstände in Berlin genau zu informieren und für sich klare rote Linien ziehen, zu welchen Bedingungen man arbeiten möchte. Für unter 1300 Euro netto im Monat sollten gut ausgebildete, junge Menschen in Berlin nicht arbeiten müssen. Wir jungen Leute müssen endlich anfangen, für unsere Arbeitskraft einen ordentlichen Preis einzufordern. Wir sollten nicht davor zurückschrecken schlechte Angebote abzulehnen.