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Body Positivity: Maria González Leal fordert Verbot von Gewichtsdiskriminierung
Das deutsche Gesetz schützt vor rassistischer und sexistischer Diskriminierung – vor Gewichtsdiskriminierung dagegen nicht. Das muss sich ändern, sagt Maria González Leal im Interview. Sie arbeitet als Antidiskriminierungsberaterin für die Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung und den Antidiskriminierungsverband Deutschland. Außerdem ist sie politische Aktivistin und körperpositive Stylistin.
jetzt: Maria, du setzt dich für einen rechtlichen Schutz gegen Gewichtsdiskriminierung ein. Was soll der bringen?
Maria González Leal: Menschen mit großem Körper erfahren massive Einschränkungen. Verbeamtungen sind ab einem BMI von 30 schwierig, genauso wie das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel. Selbst Blutdruckmessgeräte sind oft nicht für große Körper ausgelegt. Wir müssen endlich anerkennen, dass all das Diskriminierung bedeutet. Der gesetzliche Schutz vor Gewichtsdiskriminierung wäre ein wahnsinnig wichtiges Signal, das sagt: Ja, wir haben Körperdiversität und nein, Menschen mit großem Körper müssen nicht beweisen, dass sie Respekt und Würde verdient haben – denn die Würde des Menschen hat kein Gewichtslimit.
Wie viel kann ein Gesetz denn bewirken? Rassismus und Sexismus existieren ja auch noch, obwohl das gesetzlich verboten ist.
Gesetze sind ein Anfang, den es braucht: Sie machen die Diskriminierung sichtbar. Das heißt nicht, dass die Diskriminierung dann weg ist. Aber es heißt zum Beispiel, dass dann öffentliche Gelder in die gesellschaftliche Sensibilisierung fließen.
Wie hast du gemerkt, dass Menschen mit hohem Gewicht anders behandelt werden?
Mit acht Jahren musste ich schon in eine Abnehmklinik gehen, und das obwohl ich damals sogenanntes „Normalgewicht“ hatte. Die Klinik sollte eine vorbeugende Maßnahme sein. Meine Kinderärztin hatte Vorurteile gegenüber meiner Familie und dachte, meine Eltern hätten nicht genügend Wissen über gesunde Ernährung und Bewegung. So wurde ich als Risikopatientin eingestuft und in die Klinik geschickt. Bei mir kam an, dass mit mir etwas nicht stimmt, dass ich krank sei. Die Lehrerin hat sogar meine Klasse aufgefordert, mir Genesungskarten zu schreiben. Das war vielleicht gut gemeint, aber wenn das ganze Umfeld einen als Sonderfall behandelt, ist das auch eine Art Mobbing.
„Es kann nicht sein, dass es eine Grenze gibt, ab der wir Körper nicht mehr akzeptieren“
Auf Instagram schreibst du, dass Mode dich politisiert hat.
Mit Mode schätzt man den Körper wert. Die Industrie schließt aber einen großen Teil der Konsument*innen aus. Es ist schwer für Menschen mit großem Körper, Kleidung zu finden. Wenn ich Labels damit konfrontiere, dass sie keine großen Größen anbieten, sagen sie mir, das sei zu teuer. Sie argumentieren, dass die Materialkosten zu hoch seien. Aber das ist Quatsch. T-Shirts von XS bis XL findet man ja bereits ab 1,99 Euro – ohne Preisunterschied. Tatsächlich ist es so, dass die Schnittmuster für große Größen aufwendiger sind: Je größer der Körper wird, desto individueller ist er. Das zu berücksichtigen, kostet die Labels Geld. Aber es kostet sie nicht so viel, dass es erklären würde, warum viele von ihnen gar keine großen Größen anbieten. Labels in den USA zeigen, dass es auch anders geht. Die bieten große Größen nämlich viel öfter an.
Siehst du dich mit deiner Arbeit als Teil der Body-Positivity-Bewegung?
Ja, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Die Bewegung muss ausgegrenzte Körper ins Zentrum stellen. Body Positivity darf dabei niemanden ausschließen, etwa schwarze Menschen oder Menschen mit Behinderung. Die andere Gefahr ist, Body Positivity mit Selbstliebe gleichzusetzen. Dann geht es auf einmal nur noch darum, dem eigenen Körper etwas Gutes zu tun. Du kannst aber noch so viele Schaumbäder nehmen und trotzdem noch Diskriminierung erfahren. Bei Body Positivity geht es immer auch darum, diskriminierende Strukturen zu ändern.
Manche Influencer benutzen den Hashtag #bodypositivity und sagen, dass sie Körpervielfalt akzeptieren, aber nur solange es gesund ist. Dann schreie ich als Fettaktivistin auf: Es kann nicht sein, dass es eine Grenze gibt, ab der wir Körper nicht mehr akzeptieren. Body Positivity kommt aus der Fat Acceptance Bewegung, das darf man nicht vergessen.
„Ich schulde niemandem meine Gesundheit, das ist Privatsache“
Kann Bodypositivity dann nicht auch gefährlich sein: Wenn man auch ungesunde Körper akzeptiert und feiert?
Wir wissen, dass Körper sehr unterschiedlich sind. Menschen können erkranken. Ihre Gesundheit kann beeinflusst sein. Aber Gesundheit ist individuell: Es gibt nicht den gesunden und den ungesunden Körper. Wenn überhaupt sollten wir von erkrankten Körpern sprechen. Wir kritisieren ja auch nicht Menschen, die Alkohol trinken und das feiern, obwohl sich alle einig sind, dass das dem Körper schadet. Trotzdem geht das niemanden etwas an. Ich schulde niemandem meine Gesundheit, das ist Privatsache.
Was konnte Body Positivity bisher verbessern?
Die Bewegung ist groß geworden. Sie hat erreicht, dass Personen und Diskriminierungserfahrungen sichtbar sind, die davor unsichtbar waren. Daher empfehle ich allen: Diversifiziert euren Medienkonsum! Unter #bodypositivity versammeln sich vielfältige Stimmen, die sich für Körperakzeptanz einsetzen. Unter dem Hashtag findet man aber auch diejenigen Accounts, die das Gefühl vermitteln, man müsse jetzt an sich arbeiten, Detox machen und so weiter. Wenn der Account einem das Gefühl gibt, fehlerhaft zu sein, dann ist es der falsche Account. Darum sollte es bei Body Positivity nicht gehen. Es sollte darum gehen, jedem Körper mit Respekt zu begegnen und keinen auszuschließen.
Du arbeitest als Antidiskriminierungsberaterin im Bereich Gewichtsdiskriminierung. Wer sind die Menschen, die bei dir Rat suchen?
Ich arbeite viel mit Jugendlichen zusammen. Selbst diejenigen mit normschlankem Körper plagen sich oft mit Ängsten, sie könnten zunehmen. Deshalb finde ich: Gewichtsdiskriminierung geht alle etwas an, nicht nur Menschen mit großem Körper.
„Größe 42 kann schon ausreichen, um bei einer Fluggesellschaft gekündigt zu werden“
Was rätst du Menschen, die zu dir kommen, weil sie diskriminiert werden?
Ich sage den Betroffenen, welche Mittel und Wege es gibt, sich zu wehren. Leider sind uns in manchen Bereichen die Hände gebunden. Zum Beispiel beim Arbeitsrecht: Sagen wir mal, jemand wird entlassen, nur weil er*sie eine bestimmte Kleidergröße trägt – Größe 42 kann schon ausreichen, um bei einer Fluggesellschaft gekündigt zu werden. Als Begründung heißt es dann, die Person wäre nicht repräsentabel. Auch wenn der Grund nichts mit Leistung zu tun hat, können wir rechtlich nicht dagegen vorgehen, weil uns die gesetzliche Grundlage fehlt.
Noch eine Frage, die alle etwas angeht: Wie spricht man am besten über dicke Menschen? Welche Begriffe sind diskriminierend, welche nicht?
„Übergewichtig“ empfinde ich wie viele andere als diskriminierend. Das klingt so, als ob es ein Normalgewicht gäbe und alles darüber ist zu viel. Der Begriff ist negativ aufgeladen. Da ist „dick“ schon besser. Das beschreibt erstmal nur eine Form. Ich selbst bezeichne mich als „fett“. Der Begriff hat zwar auch eine negative Konnotation, aber bei mir ist er selbstgewählt und damit politisch. Grundsätzlich finde ich es gut, darauf zu achten, wie Menschen selbst bezeichnet werden möchten. Und wenn das mal nicht klar ist, wünsche ich mir, dass wir von Menschen mit „großem Körper“ oder mit „mehr Gewicht“ sprechen. Dann ist klar, dass es nicht negativ gemeint ist.
Die Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung und viele andere haben dafür gekämpft, dass Berlin das Merkmal Gewicht in sein Landesantidiskriminierungsgesetz aufnimmt. Im aktuellen Entwurf steht Gewicht nicht drin.
Als es eine Zeit lang so aussah, als ob die Bestrebung Erfolg hätte, waren wir begeistert. Es sah so aus, als ob jetzt Deutschlands erstes Gesetz gegen Gewichtsdiskriminierung kommt. Wir dachten: Wow! Jetzt müssen sich alle anderen Bundesländer auch dazu positionieren. Womöglich auch der Bund. Vielleicht steht Gewicht sogar eines Tages im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Jetzt, nachdem Berlin doch nicht den Anfang macht, sind wir geschockt und enttäuscht. Wir werden aber weiter Druck ausüben. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet. Ich bin zuversichtlich, dass wir es noch schaffen.