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Die ewig Gestrigen müssen Platz machen für uns Junge!

Foto: Olga Baczynska

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Der Sommer ist fast vorbei. Abgesehen von der Hitze hatten besonders wir jungen Menschen in der Bundesrepublik in den letzten Wochen einiges zu verkraften. Schließlich redet und entscheidet man hierzulande nicht mit der Jugend, sondern am liebsten über sie.

Olaf Scholz hat es in der Rentenpolitik zum Abschluss der Sommerpause vorgemacht: Er will das Rentenniveau bis 2040 statt wie bisher vereinbart bis 2025 garantieren. Wie das finanziert werden soll, sagt der Finanzminister nicht. Steuererhöhungen sind ja auch immer unpopulär, und um seine Partei aus dem Umfragetief zu holen, braucht er nur: die Alten. Die freuen sich nämlich über Rentengeschenke. Wenn der Zahltag kommt, hat sich Scholz selbst längst in seiner Altersresidenz zurück gelehnt. Den Kopf hinhalten können dann: die Jungen. Wir.

Auf dem Arbeitsmarkt sieht es für uns auch nicht besser aus: Tausende Lehrkräfte wurden pünktlich zu den Sommerferien bundesweit in die Arbeitslosigkeit geschickt. Für viele von ihnen war das nicht das erste Mal, denn die Länder wollen Geld sparen und stellen Lehrer deshalb oft nur befristet ein. Wie in vielen anderen Branchen, trifft das vor allem Berufseinsteiger. Mit Mitte 20 ist man ja noch voll drin in der Bewerbungsroutine und wenn man jedes Jahr für den Job umziehen muss, sieht man noch was von der Bundesrepublik – toll!

Die Lebensplanung der Jungen noch ein bisschen weiter nach hinten verschieben will auch Annegret Kramp-Karrenbauer. Die 56-jährige CDU-Generalsekretärin hat im Sommer vorgeschlagen, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Natürlich nicht für alle, die da bisher drum herum kamen – wie sie selbst. Nur für die Jugend. So könne dann der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Bundesrepublik wiederhergestellt werden. Dass für dessen Verlust wohl diejenigen am wenigsten können, die derzeit noch die Schulbank drücken und von ebendieser Wiedereinführung betroffen wären – geschenkt. Dass Wehrpflicht wegen der schlechten Qualität unattraktiv und das freiwillige soziale Jahr schlecht bezahlt ist – nicht der Rede wert. Was zählt, ist nur: Etwas muss ausgebadet werden, also erinnert sich die Politik mal wieder an die Jungen.

Durch das Ergrauen der Bundesrepublik hat sich ein Fehler ins System geschlichen

Bitte nicht falsch verstehen: Viele von uns engagieren sich gerne für die Gesellschaft. Hohe Renten sind toll, und für jeden, der nicht bis zum Umfallen arbeiten muss, freut mich das sehr. Doch den Bürgern in Deutschland ist die Solidarität zwischen den Generationen abhanden gekommen. Statt Lebenschancen und Ressourcen gleichmäßig zu verteilen, leben Ältere hierzulande auf Kosten junger und zukünftiger Generationen.

Möglich ist das, weil die Alten in der Überzahl sind. Dafür gesorgt hat der Geburtenboom in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Denn daraus ist die Generation der Babyboomer hervorgegangen – die Generation derjenigen, die heute zwischen Anfang 50 und Anfang 60 sind. Die wiederum haben außergewöhnlich wenig Nachwuchs bekommen, was uns, die Jungen, einer sehr großen Gruppe älterer Menschen gegenüberstellt.

Und durch das Ergrauen der Bundesrepublik hat sich ein Fehler ins System geschlichen: Die Interessen der Jungen werden nicht mehr vertreten. Die Abgeordneten im Bundestag sind in der Mehrheit älter 50, in der neuen Rentenkommission findet sich kein Mitglied unter 40, und die Kultusministerkonferenz ist im Durchschnitt 51,5 Jahre alt. 2017 waren schon mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten über 50 – die Alten bilden die größte Wählergruppe. Ihre Stimmen sind heiß begehrt. Sie entscheiden die Wahlen – also wird vor allem für sie Politik gemacht. Das zeigte eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Civey Anfang des Jahres. Auf die Frage „Denken Sie, dass Ihre Generation in der Politik ausreichend repräsentiert wird?“ antworteten mehr als 80 Prozent der 18- bis 29-Jährigen mit „nein“, beziehungsweise „eher nein“, sowie rund 70 Prozent der 30- bis 39-Jährigen. Die meisten Über-50-Jährigen hingegen stimmten mit „ja“.

Selbst schuld, dann engagiert euch doch in Parteien! So hört man schon die Alten rufen. Einige von uns versuchen das. Doch wie zuletzt eine vom Jusos-Vorsitzenden Kevin Kühnert angestoßene Debatte zeigte, werden wir dort von den Alten nicht ernst genommen. Viele junge Parteimitglieder berichteten bei Twitter unter dem Hashtag #diesejungenleute, wie sie in ihrer Partei und den Medien aufgrund ihres Alters belächelt und klein gehalten werden.

Ein Kommentar eines Ausschussmitglieds: „Wir brauchen keine jungen Leute.“

Auch offline berichten junge Politiker von ihren Erfahrungen: zum Beispiel Terry Reintke, Abgeordnete der Grünen im EU-Parlament. Als sie sich erstmals für das Amt interessierte, wurde ihr von einigen Kollegen nahegelegt, sich doch erst einmal ein paar Jahre durch die Kommunalpolitik zu kämpfen, bevor sie so viel Verantwortung übernehmen wolle. Zum Beispiel Diana Kinnert, CDU-Politikerin. Bei einem ihrer ersten Partei-Stammtische bestellte man bei ihr Getränke, statt sie in die Runde zu bitten. Zum Beispiel Johanna Uekermann, ehemalige Jusos-Vorsitzende. Obwohl sie seit Jugendtagen aktiv ist, wird sie von ihrer Partei Wahl um Wahl auf aussichtslose Listenplätze verdammt.

Hinzu kommt: Die Strukturen der Parteien passen nicht mehr zu den Lebenswelten junger Menschen. Wer für Ausbildung und Job viel unterwegs ist, kann nicht immer physisch beim Treffen von Arbeitsgruppen anwesend sein, Umzüge während der Ausbildungszeit machen es fast unmöglich, sich dauerhaft beim selben Ortsverein zu engagieren. Junge Politiker wie Yannick Hahn von der SPD haben das erkannt – und sich parteiübergreifend zusammengetan, um einen Reformkatalog für die Modernisierung der Parteien zu erarbeiten. Öffentlich rief die Gruppe aus SPD-, CDU-, FDP-, Linken- und Grünen-Mitgliedern zu einer Verjüngung des Politikbetriebs auf. Reaktionen gab es viele – nur nicht aus der Führungsriege der eigenen Parteien. „Das war enttäuschend“, erzählt Yannick Hahn rückblickend.

Anna Braam von der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen kennt dieses Gefühl. Anfang 2016 war sie mit einer Gruppe Mitstreiter vom Familienausschuss des Bundestags eingeladen, um das Konzept einer Jugendquote für Parteien vorzustellen. „Wir haben uns wahnsinnig gefreut, unsere Ideen an so prominenter Stelle vorzustellen“, erinnert sie sich. Doch dann die Enttäuschung: „Nach unserer Präsentation wurden unsere Ideen von den Abgeordneten zerschmettert.“ Die Reaktionen der Parlamentarier seien durchweg negativ gewesen. Die Einladung war ein Dialog-Alibi für Abgeordnete, wirklich ernst nehmen wollte man die Jungen aber nicht. Ein Kommentar eines Ausschussmitglieds machte das final deutlich: „Wir brauchen keine jungen Leute“.

Damit muss jetzt Schluss sein.

Wir Jungen sind es, die die Folgen der rückwärts gewandten Politik der Alten am längsten ertragen müssen. Wir sind es, die mit den Folgen des Klimawandels am längsten leben, die unsinnige, teure Rentengeschenke mit höheren Beiträgen bezahlen, und wir sind es, die am Ende die kläglichen Reste der gesellschaftlichen Solidarität zusammenklauben, die durch jahrelanges Wegschauen bei zunehmender Ungleichheit und lauter werdendem Fremdenhass in Trümmern liegt.

Wir Jungen wollen unsere Zukunft endlich mitgestalten. Die Alten sollten uns dabei keine Steine in den Weg legen, sondern unterstützen – unsere Stimme in Debatten hören und ernst nehmen, uns an Verhandlungstischen – wie der Rentenkommission – einen Platz reservieren, uns beim Berufseinstieg nicht in prekäre Arbeitsverhältnisse drängen, und jungen Politikern aussichtsreiche Posten und Listenplätze zuteilen.

Die Ereignisse in den Sommerferien haben es eindringlich gezeigt: Es ist Zeit für die ewig Gestrigen, Platz zu machen – für uns, den Nachwuchs.

Madeleine Hofmann, Jahrgang 1987, lebt als freiberufliche Journalistin und Autorin in Berlin. Seit Jahren schreibt sie über „die Jugend von heute“ und Generationengerechtigkeit: erst in ihrer Kolumne für das Debattenmagazin „The European“, dann für ihr eigenes Online-Magazin „Knowing (wh)Y“ und jetzt auch in ihrem gerade erschienenen Buch „Macht Platz!“.

 

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