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Geflüchtete auf Lesbos: Die Schule „Wave of hope for the future“ klärt im Camp Moria über Corona auf
Zehntausende Menschen leben zur Zeit in Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln nahe dem türkischen Festland. Auf engstem Raum und unter schlechten hygienischen Bedingungen. Menschen vor Ort sprechen von einer „Zeitbombe“. Wenn in einem der Lager das Coronavirus ausbräche, dann würde es sich ungebremst verbreiten.
Ein regulärer Schulbesuch in den Dörfern von Lesbos war den geflüchteten Kindern auch schon vor der Corona-Krise nicht möglich. Deshalb gründeten Geflüchtete im vergangenen Jahr auf Lesbos im derzeit bekanntesten Camp Moria die selbstverwaltete Schule „Wave Of Hope for the Future“. Sie unterrichten dort andere Geflüchtete, darunter viele Kinder, aber auch Erwachsene. Wegen der Angst vor dem Coronavirus kann aktuell kein Unterricht mehr stattfinden. Die Mitarbeiter*innen der Schule versuchen deshalb, so gut es geht, im Camp über die Gefahren des Virus aufzuklären. Massih ist 18 Jahre alt und hilft bei „Wave Of Hope for the Future“ als Koordinator mit. Wir haben ihn bei wackligem Internet über einen Whatsapp-Anruf erreicht und mit ihm über die aktuelle Lage und die Arbeit von „Wave Of Hope for the Future“ gesprochen.
jetzt: Massih, in Moria haben sich vergangenes Jahr viele Geflüchtete zusammengeschlossen und die Schule „Wave of hope for the future“ gegründet. Mittlerweile arbeitest du dort als Koordinator. Was lehrt ihr dort?
Massih: „Wave Of Hope“ ist eine Schule, die von Flüchtlingen für Flüchtlinge gemacht wurde. Wir wollen den Familien im Camp helfen und sie unterrichten. Wir bieten verschiedene Kurse an, zum Beispiel Englisch, Deutsch, Griechisch, Gitarrenstunden und Kunst. Alle Materialien, die wir dazu brauchen, haben wir von Spendengeldern gekauft.
Ihr habt im Camp dafür ein kleines Gebäude aus Brettern und Zeltresten gebaut. Auf Facebook ladet ihr regelmäßig Bilder hoch. Wie sieht der Unterricht in der „Wave Of Hope“-Schule aus?
Insgesamt haben wir um die 1600 Schüler. Wir unterrichten normalerweise den ganzen Tag, von 7 Uhr morgens bis 10 Uhr abends. Wir haben Schüler jeden Alters, die meisten sind Kinder, darunter auch unbegleitete Flüchtlinge. Aber auch Erwachsene, die zum Beispiel Englisch, Deutsch oder Griechisch lernen. Jede Klasse hat mehr als 50 Schüler. Unsere Lehrer sind streng, es gibt sogar Prüfungen bei uns.
Massih und die Mitglieder von „Wave of hope for the future“ verteilen Hilfspakete.
Wegen des Coronavirus könnt ihr gerade nicht unterrichten. Wie ist die Lage im Camp Moria?
Unfassbar schlecht. Das Camp ist für 8000 Menschen ausgelegt und seit Monaten überfüllt. Wir haben kleine Zelte, in denen mehrere Familien leben müssen. Wir haben nur vier Stunden am Tag fließend Wasser und sind 24 000 Menschen. Die Schlangen an der Essensausgabe sind das Schlimmste. Tausende Menschen stehen bei jeder Mahlzeit an und können keinen Abstand halten. Die Waschräume, die Duschen, die Toiletten – alles ist überlaufen und verdreckt. Wenn das Coronavirus hier ausbricht, sind wir verloren. Es würde sich verbreiten wie ein Feuer.
Wann hast du zum ersten Mal vom neuartigen Coronavirus gehört?
Ziemlich früh. Ich habe eine türkische SIM-Karte und kaufe mir darüber mobiles Internet. Ich checke oft Social Media, ich will die Verbindung zur Welt hier drin nicht verlieren. Ich habe von Corona schon während des Ausbruchs in Wuhan gehört. Als dann der erste Fall auf Lesbos gemeldet wurde, bekam ich Angst. Gott sei Dank haben wir auf der Insel bis jetzt nur vier bestätigte Fälle und bis jetzt keinen im Camp. Das ist ein Geschenk Gottes. Da wir wegen Corona nicht unterrichten können, versuchen wir, die Menschen über das Virus aufzuklären. Nur so können wir erreichen, dass das Virus im Camp nicht ausbricht.
Wie erklärt man Menschen in einem überfüllten Flüchtlingscamp, dass sie sich die Hände waschen müssen, weil sonst ein tödliches Virus kommt?
Zusammen mit den Kindern malen wir Plakate, auf denen erklärt wird, wie man sich am besten schützen kann. Wir verteilen Hilfspakete, in denen Spenden wie Seife, Masken und Bücher für die Kinder sind. Wir zeigen den Menschen auch, wie man ohne fließend Wasser Hände waschen kann oder dass man, wenn möglich, in den Zelten bleiben soll. Außerdem haben wir eine Bücherei mit gespendeten Büchern aufgemacht. Die Leute müssen auch hier drinnen bleiben. Wir wollen ihnen diese Zeit ein bisschen einfacher machen.
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Auf Facebook konnte man sehen, dass eure selbstgebaute Schule mittlerweile wieder abgebaut wurde. Was ist da passiert?
Leider wurde der alte Standort unserer Schule platt gemacht, da mussten neue Zelte für Familien hin. Wir waren gerade dabei, die Schule an einem neuen Standort wieder aufzubauen. Aber auch das ruht gerade wegen der Pandemie. Ich hoffe so sehr, dass wir dort so bald wie möglich wieder unseren Unterricht abhalten können. Die Flüchtlinge in Moria, vor allem die Kinder, brauchen die Bildung. Viele sind, wie ich, schon ewig hier im Lager.
Wie bist du selbst nach Moria gekommen?
Ich komme aus Afghanistan, genauer gesagt aus der Hauptstadt Kabul. Wegen der politischen Situation dort und weil es Probleme in unserer Familie gab, mussten wir da weg. Ich bin dann mit meiner Mutter und meinen Brüdern in die Türkei. Dort wollten wir erst mal bleiben. Weil wir aber keine Papiere hatten, wurden wir weiter geschickt. So sind wir auf Lesbos gelandet. Mittlerweile leben wir seit 15 Monaten im Flüchtlingscamp Moria.
Was hast du vor, wenn du es aus Moria raus schaffst?
Ganz ehrlich: Mir ist eigentlich egal, wo ich lande. Ich mag Deutschland, könnte mir aber auch vorstellen, in Griechenland oder England zu leben. Eigentlich bin ich nur hierher gekommen, um mit meiner Familie in Sicherheit zu sein. Ich liebe mein Land, das kannst du mir glauben. Ich wollte es nicht verlassen. Aber wir waren dort nicht mehr sicher. In Moria sind wir es aber auch nicht. Afghanistan ist besser als Moria. In Afghanistan hatte ich oft Angst, aber hier in Moria habe ich immer Angst. Jede Nacht, jeden Tag.
Du befindest dich auf europäischem Boden. Was wünscht du dir von der europäischen Politik?
Dass sie anfängt, Leben zu retten! Den Leuten hier geht es schlecht. Niemand interessiert sich für uns. Ich bin hier seit 15 Monaten und es geht vielen Menschen so wie mir. Wir sind Menschen, wir wollen die Chance auf ein besseres Leben haben. Wir sind nicht hierher gekommen, um in diesem Camp zu sein, wir wollen ein besseres Leben für unsere Familie haben. Wir tun unser bestes, um hier zu überleben. Wir organisieren uns und wollen etwas für die Menschen tun. Aber wir brauchen jetzt Hilfe. Wir müssen hier raus. Ob Corona kommt oder nicht.