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Was bedeutet es, dass junge Menschen oft kleine Parteien wählen?

Kleine Parteien wie „Die Partei“ und „Volt“ sind bei jungen Wähler*innen beliebt.
Illustration: jetzt

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„Sonstige“ – immerhin 13 Prozent der unter 30-jährigen Wähler*innen haben bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg Parteien gewählt, die sich hinter diesem Begriff verstecken. In Rheinland-Pfalz waren es zehn Prozent der 18- bis 29-Jährigen. Das ist auffällig viel. In „Sonstige“ fallen Parteien, die zwar wegen der Fünf-Prozent-Hürde quasi keine Chance auf einen Einzug in die Parlamente haben, aber trotzdem auf den Wahlzetteln stehen. Das waren bei den Wahlen am vergangenen Sonntag zum Beispiel die „Klimaliste“ , „Die Partei“ und „Volt“. In den anderen Altersgruppen wählen deutlich weniger Menschen diese kleinen Parteien. Wieso ist das so? Und: Lässt sich daraus ein Trend für das Wahlverhalten der kommenden Jahre und Jahrzehnte ableiten? 

Fangen wir mal damit an, wer die kleinen Parteien sind. Denn obwohl das deutsche Parteiensystem lange Zeit sehr konzentriert war, es also vor allem aus einer handvoll großer, etablierter Parteien bestand, gab es immer auch viele sogenannte nicht-etablierte Kleinparteien, die bei Wahlen angetreten sind. Bekannte kleine Parteien sind zum Beispiel die „ÖDP“, „Die Partei“, „Die Tierschutzpartei“, die „Piratenpartei“ und die „Klimaliste“. Diese bekommen, wenn sie bei Wahlen antreten und entsprechende Ergebnisse, also 0,5 % bei Bundestags- und Europawahlen und 1,0 % bei Landtagswahlen erzielen, die staatliche Parteienfinanzierung, also Zuschüsse vom Staat. Und das ist für viele dieser Parteien sehr wichtig, damit sie weiter bestehen können.

Man könnte jetzt sagen, dass eine Stimme für eine dieser Parteien eine verschenkte Stimme sei – schließlich weiß man bei den meisten von ihnen schon vor der Wahl, dass sie quasi keine Chance haben, in ein Parlament einzuziehen, also die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen. Trotzdem haben bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz jeweils 13 bzw. 15 Prozent der Wähler*innen zwischen 18 und 29 diese Parteien gewählt.

Keinerlei Nähe zu den etablierten Parteien

Uwe Jun ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Trier. Er sagt, dass junge Wähler*innen vor allem nach jungen Themen und jungen Menschen in politischen Parteien suchen – und deshalb häufig kleine Parteien wie „Volt“ wählen. „Einige junge Wähler*innen spüren keinerlei Nähe zu den etablierten Parteien. Sie sehen diese als die Parteien ihrer Eltern, sogar ihrer Großeltern an, aber nicht als ihre eigenen“, sagt Jun. Deshalb schauten sich junge Menschen viel offener nach anderen Parteien um und landeten dann häufig bei den kleinen. Auch eine Partei wie die Grünen sei den meisten jungen Wähler*innen nicht progressiv genug – deshalb wählten sie eher die „Klimaliste“, wenn ihnen Klimathemen wichtig seien, so Jun. Darüber hat auch schon Robert Habeck, der gemeinsam mit Annalena Baerbock den Grünen vorsitzt, nach dem Wahlabend spekuliert und bei „Anne Will“ gesagt: „In beiden Ländern [...] könnte eine grün-rote oder rot-grüne Regierung die Mehrheit haben [...] und vielleicht klappt das nicht, weil die Klimaliste zu viele Stimmen abgezogen hat.“

Was außerdem dazu kommt: Junge Menschen wählen häufig eher „expressiv“, wie Uwe Jun sagt. Das bedeutet, dass sie spontan, aus dem Bauch heraus, entscheiden, wen sie wählen – im Vergleich zu vielen älteren Wähler*innen. Die stimmen häufig strategisch ab,  überlegen sich also vorher, welche Chancen es zum Beispiel auf eine Koalition bestimmter Parteien geben könnte.

Junge Wähler*innen sind idealistischer

Und was ist mit dem Argument der „verschenkten Stimme“? Das sieht der Politikwissenschaftler anders. Er weist auf die staatliche Parteienfinanzierung hin und sagt: „Die jungen Wähler*innen sind hier idealistischer. Und eine Stimme an eine Partei, die man unbedingt unterstützen möchte, ist nie verschenkt.“ Wie lange dieser Idealismus der jungen Wähler*innengeneration bleiben wird, das kann Uwe Jun nicht sicher vorhersagen. Natürlich könne es sein, dass viele von ihnen im Laufe ihres Lebens auch mal eine der heute noch etablierten Parteien wählen. Aber er ist sich sicher, dass die Parteibindung unter jungen Menschen niedrig bleiben wird – und dass die heute unter 30-Jährigen wahrscheinlich immer Wechselwähler*innen sein werden.

Und das ist ein riesiger Unterschied zu den vorherigen Generationen. Denn unsere Eltern und Großeltern haben teilweise ihr Leben lang die gleiche Partei gewählt. Uwe Jun sagt, dass sich das deutsche Parteiensystem deshalb in den nächsten Jahren wahrscheinlich stark verändern wird: „Genau wie die Gesellschaft sich immer weiter fragmentiert, fragmentiert sich wahrscheinlich auch das Parteiensystem in Deutschland.“ Das heißt: Es wird immer mehr kleine Parteien geben und nicht nur ein paar große Volksparteien. So eine Entwicklung verändert aber nicht nur das Parteiensystem. Viele kleine Parteien in den Parlamenten würden es zukünftig auch schwieriger machen, Regierungen und Mehrheiten zu bilden, sagt Uwe Jun: „Handlungsfähige Regierungen sind aber essentiell für ein stabiles politisches System. Wie man am Ende zu dieser handlungsfähigen Regierung kommt, muss sich dann erweisen.“

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