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Landtagswahlen Sachsen 2019: Eric Linhart über strategisches Wählen
Am Sonntag wird in Sachsen und Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. In beiden Bundesländern wird es diesmal besonders spannend. Denn die bislang in der Regierung vertretenen Parteien schwächeln, während die rechtspopulistische AfD immer beliebter wird. Aktuelle Umfragen sehen die AfD bei 25 Prozent (Sachsen) und 21 Prozent (Brandenburg). Um den Einzug der Partei in die Regierung zu verhindern, rufen einige Initiativen wie „Zukunft Sachsen“ nun dazu auf, strategisch zu wählen. Der Politikwissenschaftler Eric Linhart von der TU Chemnitz forscht schon lange zu strategischem Wählen und erklärt, ob das eine gute Idee ist.
jetzt: Herr Linhart, was bedeutet „strategisches Wählen“ überhaupt? Eric Linhart: Wir gehen dabei davon aus, dass jeder Wähler eine Präferenz für eine bestimmte Partei hat. Doch es kann Situationen geben, in denen es Sinn ergibt, eine andere Partei zu wählen, um am Ende mit dem Ergebnis der Wahl insgesamt zufriedener zu sein.
Eric Linhart von der TU Chemnitz forscht schon lange zu strategischem Wählen.
Zum Beispiel?
Angenommen, ich bin Anhänger einer sehr kleinen Partei, weiß aber, dass diese höchstwahrscheinlich an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird. Dann kann es für mich sinnvoll sein, eine andere Partei zu wählen, von der ich weiß, dass sie die Hürde schaffen wird. Damit nutze ich meine Stimme besser.
In Sachsen gibt es jetzt vor der Wahl gerade ein sehr konkretes Beispiel: Die Initiative „Zukunft Sachsen“ ruft dazu auf, strategisch CDU, SPD oder Grüne zu wählen, um den Einzug der AfD in die Regierung zu verhindern. Was halten Sie davon?
Grundsätzlich finde ich, dass Wähler sich Gedanken darüber machen sollten, wie sie ihre Stimme strategisch einsetzen können. Denn damit können sie durchaus das Ergebnis besser in ihrem Sinn beeinflussen. In gewissen Situationen ist das wichtig. Ich finde es daher hilfreich zu erklären, wie sich bestimmte Stimmen wahrscheinlich auswirken werden. Entscheiden muss am Ende aber natürlich der Wähler selbst. Und nicht für jeden Wähler trifft die Logik der Initiative zu.
„Bei diesen Wahlen sind mehr Menschen sogenannte Wechselwähler“
Für wen denn nicht?
Wenn es einem Anhänger der Linken zum Beispiel wichtig ist, dass die Linke als sehr starke Oppositionspartei im Parlament vertreten ist und es für ihn weniger relevant ist, welche Koalition im Detail die CDU anführt, dann wäre für ihn der Tipp der Initiative eher kontraproduktiv.
Die AfD ist das ausgemachte Feindbild der Kampagne. „Zukunft Sachsen“ wird deswegen immer wieder vorgeworfen, die AfD noch mehr in die Opferrolle zu drängen und ihr damit auch zu helfen.
Erstens: Die AfD spielt die Opferkarte ohnehin schon ständig aus. Daran ändert auch diese Kampagne nichts mehr. Zweitens richtet sich „Zukunft Sachsen“ ja ganz gezielt an Menschen, die die AfD nicht in der Landesregierung wollen. Und für diejenigen, die das möchten, ist es legitim, sich damit zu beschäftigen, wie sie dazu beitragen können.
„Zukunft Sachsen“ wurde von jungen Menschen gegründet. Sind Junge noch eher bereit, strategisch zu wählen, weil sie nicht schon seit vielen Jahren die gleiche Partei wählen?
Möglich ist es schon, aber hier wäre ich mit einer Einschätzung vorsichtig. Bei den Wahlen in Brandenburg und Sachsen sind ohnehin mehr Menschen sogenannte Wechselwähler. Denn auch nach dreißig Jahren ist das politische System für die Bürger in den neuen Bundesländern noch vergleichsweise jung, und die Parteiidentifikation ist in den neuen Bundesländern niedriger als in den alten – das betrifft auch die älteren Wähler. Und das stärkt auch die Bereitschaft, mal abweichend von der eigentlichen Parteipräferenz strategisch zu wählen.
Hat strategisches Wählen auch Nachteile?
Situationen, in denen Wähler Anreize zum strategischen Wählen besitzen, besitzen einen grundsätzlichen Nachteil: Der Wähler muss sich entscheiden, ob er die Partei wählt, die er am liebsten unterstützen möchte, oder ob er sich kalkulierend verhält. Beides zusammen geht dann nicht.
„Wenn Wahlen knapp sind, dann wählen immer mehr Menschen als sonst“
Außerdem weiß man nie, wie eine Wahl ausgeht.
Richtig! Momentan haben wir in Sachsen laut Umfragen eine rechnerische Mehrheit für CDU und AfD, oder aber für eine Koalition aus CDU, Grünen und SPD. Diese Konstellation könnte noch knapp werden, das hängt auch davon ab, ob die FDP in den Landtag kommt. Falls ja, müsste eventuell sogar eine Vierer-Koalition zustande kommen, wenn man die AfD nicht in der Regierung will.
Die könnte ziemlich instabil sein.
Genau. Je mehr Parteien im Boot sind, desto weniger weiß man, ob eine Koalition zustande kommt und ob sie dann auch hält. Es kann natürlich immer sein, dass Verhandlungen scheitern. Und wenn jemand beim Wählen darauf spekuliert, dass so eine Koalition zustande kommt, könnte er enttäuscht werden.
Glauben Sie, dass in Sachsen und Brandenburg jetzt mehr Menschen wählen – auch im Hinblick auf die vermeintlich starke AfD?
Davon gehe ich aus. Viele stellen sich die Frage, wie die AfD abschneiden wird und wie die demokratischen Parteien dagegenhalten werden. Ich erwarte, dass das auf beiden Seiten einen Mobilisierungseffekt hat.
Welche Faktoren können sonst noch für eine höhere Wahlbeteiligung sorgen?
Wenn Wahlen knapp sind, dann wählen immer mehr Menschen als sonst. Und derzeit ist es sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg sehr knapp.
In Görlitz wurde erst kürzlich ein AfD-Bürgermeisterkandidat durch strategisches Wählen zugunsten der CDU verhindert. Macht strategisches Wählen mit der Erststimme besonders Sinn?
Jein. Für die Sitzverteilung im Landtag und damit für die Mehrheitsverhältnisse ist fast ausschließlich die Zweitstimme relevant. Allerdings kann ich mit der Erststimme direkt bestimmen, wer meinen Wahlkreis repräsentiert. Da kann ich konkret überlegen: Wenn ich zwei Kandidaten habe, die einigermaßen gute Aussichten haben, den Wahlkreis zu gewinnen, und einer ist CDU-, der andere AfD-Kandidat. Dann habe ich auch als Anhänger einer anderen Partei einen sehr großen Anreiz, mit der Erststimme CDU zu wählen. So kann ich verhindern, dass mein Wahlkreis durch einen AfD-Abgeordneten repräsentiert wird..