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Klimaliste Baden-Württemberg: Interview mit Jessica Stolzenberger
Im Frühjahr gründete die 22-jährige Fridays for Future-Aktivistin Jessica Stolzenberger zusammen mit anderen Studierenden und Wissenschaftler*innen die „Klimaliste Baden-Württemberg“ – eine neue Partei, die den Grünen Konkurrenz machen soll. Eigenen Angaben zufolge hat die Klimaliste schon etwa 300 Mitglieder. Vorläuferorganisationen nahmen bereits bei den Kommunalwahlen in Bayern und NRW in diesem Jahr teil. Im März 2021 möchte die neue Partei bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg antreten. Wir sprachen mit Jessica über den Weg ins Parlament und über die Visionen der Klimaliste, mit denen sie sich von den Grünen abheben möchte.
jetzt: Du hast die Klimaliste während der Corona-Pandemie gegründet. Möchtest du die Proteste von der Straße, die gerade nicht mehr richtig möglich sind, ins Parlament holen?
Jessica: Ja, aber es war auch höchste Zeit, dass das passiert. Die Corona-Pandemie hat ein paar Leuten Zeit gegeben, sich mit sich selbst zu beschäftigen und den aktuellen Stand der Dinge zu reflektieren. Der aktuelle Stand ist: Keine Partei richtet ihr politisches Handeln nach dem Pariser Klimaabkommen aus – das wollen wir ändern.
Wie entstand die Idee für die Klimaliste?
Während der ersten Corona-Welle bin ich total durchgehangen. Mein Studium hat nicht mehr richtig stattgefunden. Dann habe ich beschlossen, noch mehr Energie und Zeit in FFF zu investieren. Außerdem habe ich an Online-Podiumsdiskussionen teilgenommen und habe dann ein Angebot von den Grünen bekommen. Wenn einem nicht zugehört wird, muss man versuchen in die Position zu kommen, selbst Entscheidungen treffen zu können. Im Mai dieses Jahres stieß ich auf die Idee der Klimaliste, die ihren Ursprung in den bayerischen Kommunalwahlen hat. Ich habe mit Sebastian Hornschild, dem Mitgründer, telefoniert und habe gefragt, ob wir mit der Klimaliste BW zu den Landtagswahlen antreten können. Gemeinsam mit Freund*innen haben wir diese dann in Freiburg gegründet. Ich will den Grünen nicht mehr als Bittstellerin begegnen, sondern als Gleichgestellte.
Vertreter*innen der Klimaliste zu Besuch in Berlin.
Das heißt die Partei hat sich aus Notwehr gegründet?
Ja. Eigentlich würde ich nämlich viel lieber studieren. Ich studiere Politikwissenschaft und Philosophie und finde das super interessant. Im Moment wäre ich gerne im Dannenröder Forst. Doch das geht momentan nicht, weil ich die Parteistrukturen aufbauen muss und Wahlkampf betreiben muss. Aber eigentlich möchte ich so viel lieber Aktivistin und Studentin sein. Eigentlich möchte ich mein Leben leben, aber die aktuelle Klimapolitik zwingt mich dazu, eine eigene Partei zu gründen.
Erst vor wenigen Wochen ist in der Klimaschutz-Bewegung eine Debatte über Kandidaturen für Parlamente entbrannt. Wie passen deiner Meinung nach radikaler Aktivismus und politisches Engagement zusammen?
Wir brauchen ein anderes Verständnis von Politik; und zwar Politik als Vermittlerin zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Darin spielt natürlich der Aktivismus zusammen mit der Wissenschaft eine große Rolle. Also die Kombi, die eben auch die Klimabewegung vertritt. Ich als junge Aktivistin kann mein Gesicht und meine Stimme wissenschaftlichen Fakten leihen und diese einfordern. Ich denke, gemeinsam mit der Rationalität der Wissenschaft und der Radikalität des Aktivismus kann ein echter gesellschaftlicher Diskurs darüber entstehen, wie wir alle gemeinsam die Klimakrise angehen können.
Ihr werdet häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, ihr seid der parlamentarische Arm von Fridays for Future.
Es gibt sicherlich personelle Überschneidungen. Aber ich würde nicht sagen, dass wir der parlamentarische Arm sind. Ich würde sagen, dass die Klimabewegung für eine Partei wie die Klimaliste, überhaupt erst die Basis geschaffen hat. Ansonsten hätten wir nicht das gesellschaftliche Bewusstsein für die Dringlichkeit der Klimakrise.
Auch die Grünen sagen von sich, dass sie sich für Klimagerechtigkeit einsetzen. Was fordert die Klimaliste konkret, woran sich die Grünen nicht wagen?
Ich habe das Gefühl, dass bei den Grünen viele vergessen haben, woher sie eigentlich kommen. Die haben genauso vor dreißig Jahren Atomkraftwerke blockiert und jetzt schaffen sie es noch nicht mal, im Dannenröder Forst einen Polizeieinsatz aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen abzubrechen. Die Grünen haben es selbst zu verschulden, dass es uns gibt. Der Unterschied zu den Grünen ist der Punkt, dass wir noch Ideale haben, so wie sie einst, und dass wir bei der Erarbeitung unseres Wahlprogramms sämtliche Entscheidungen anhand des Pariser Klimaabkommens ausrichten. Es gibt unterschiedliche Wege, die 1,5 Grad für Deutschland einzuhalten. Über die Wege kann und muss man sich streiten, aber nicht über die Frage, ob wir die 1,5 Grad einhalten können oder nicht. Ansonsten wird es einen Klimakollaps geben.
Der baden-württembergische Landesvorsitzender der Grünen, Oliver Hildebrand, sagt in Richtung der Sympathisanten der Klimaliste: „Wer seine Stimme bei der Landtagswahl verschenkt, erweist dem Klimaschutz einen Bärendienst“. Was sagst du zu der Aussage?
Die Klimapolitik der Grünen auf Baden-Württemberg-Ebene ist ungenügend. FFF ist jetzt seit fast zwei Jahren auf der Straße. In den zwei Jahren haben die Grünen keine große Änderung angestoßen, die dem Pariser-Klimaabkommen näher kommt. Wenn sie sich von ihren Wurzeln, nämlich der Klimabewegung, entfernen und wegen falschen Koalitionspartner*innen resignieren, – namentlich die CDU, die mit ihrem politischen Handeln den Klimawandel faktisch leugnet – wenn sie ihre Ideale und Ziele verlieren, dann sind wir die Konsequenz.
Angenommen die Klimaliste schafft den Einzug ins Landesparlament. Wie steht ihr zu möglichen Koalitionen?
Wir würden mit sämtlichen demokratischen Parteien koalieren, die hinter dem Pariser Klimaabkommen stehen.
Der Freiburger Politikwissenschaftsprofessor und Wahlexperte Ulrich Eith sieht für die Klimaliste bei der nächsten Landtagswahl eher begrenzte Aussichten. Er sagt, das große Manko sei das zu kleine Themenportfolio. Wie stehst du zu dieser Einschätzung?
Wir sprechen hier von Klimagerechtigkeit und das ist ein Thema, das nicht nur Klimaschutz mit beinhaltet, sondern auch soziale und globale Komponenten. Das heißt, Klimagerechtigkeit bedeutet auch, dass wir unsere Gesellschaft neu denken müssen. Dass wir Politik überdenken müssen und dass wir vor einer Krise stehen, deren Verursacher*innen eigentlich die Starken in der Welt sind. Das heißt vor allem Europa, vor allem die westlichen Staaten. Heruntergebrochen auf unsere Gesellschaft: Vor allem die reicheren Schichten sind die, die überverhältnismäßig klimaschädlich leben.
Aber sind das wirklich Themen, die ihr im baden-württtembergischen Landesparlament lösen könnt?
Wir müssen uns die grundsätzliche Frage stellen, was eigentlich fair ist. Ist es fair, dass Geringverdienende als Fahrradfahrer*innen so viel weniger Platz in der Stadt zugesprochen bekommen, als der zweite SUV einer Akademikerfamilie? Deshalb bedeutet Klimagerechtigkeit auch, Maßnahmen zur Umverteilung anzustoßen. Sowohl auf globaler, als auch auf Landes- und lokaler Ebene. Die Baden-Württembergische Landesregierung kann dementsprechend – so wie sämtliche gewählte Gremien – ihren Teil dazu beitragen.