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Wo Umweltschutz tödlich sein kann

Immer wieder wird Regenwald durch illegale Brandrodung zerstört. Im Amazonas-Gebiet wüteten die Feuer im vergangenen Jahr besonders verheerend. Hier kämpft ein Farmer im August 2020 im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso gegen die Flammen.
Foto: Carl DE SOUZA / AFP

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Es gibt Menschen, die wollen Txai Suruís Mutter umbringen. Weil sie sich für die Rechte der Indigenen einsetzt. Im Bundesstaat Rondônia im Nordwesten Brasiliens hat sie dagegen protestiert, dass der Regenwald weiter abgeholzt und dadurch ihre Heimat zerstört wird. Wer genau hinter den Morddrohungen steckt, die sie erhalten hat, lässt sich nicht sagen. Aber Txai vermutet den Ursprung ganz oben: in der Regierung von Präsident Bolsonaro, der seit seinem Amtsantritt die Rechte der Indigenen schwächt und die wirtschaftliche Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Landes vorantreibt. „Meine Mutter ist heute nicht mehr hier. Sie musste sich verstecken“, sagt Txai. Mit gespreizten Fingern wischt sie sich die Tränen aus den Augen.

Walelasoetxeige Suruí, genannt Txai, sitzt für das Gespräch vor ihrem Computer zuhause in Porto Velho, der Hauptstadt von Rondônia. Die 24-jährige Jurastudentin und Umweltaktivistin gehört dem Volk der Paiter Suruí an und koordiniert unter anderem die indigene Jugendbewegung in Rondônia. 2019 hat sie an der UN-Klimakonferenz in Madrid teilgenommen. In diesem Jahr hat sie mit fünf weiteren Aktivist*innen Klage gegen die brasilianische Regierung eingereicht. Ihr Vorwurf: Die Regierung trickse bei den CO2-Bilanzen und der Einhaltung des Pariser Klimaabkommens.

„Am Anfang hatte ich Angst um mich selbst, aber mittlerweile sorge ich mich vor allem um meine Familie“, sagt Áurea

Mit Txai im Video-Call ist Áurea Sena. Áurea, 28, lebt im Bundesstaat Pará im Nordosten Brasiliens, studiert Biologie und ist ebenfalls Aktivistin. Als „Quilombola“, Nachfahrin afro-brasilianischer Sklav*innen, gehört sie wie die Indigenen zu den „traditional people“ Brasiliens, die besonders harte Kämpfe um ihre Heimat im Amazonas-Regenwald führen müssen. Beide Frauen sind bei „engajamundo“ aktiv, einer brasilianischen Jugendorganisation, die sich für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit einsetzt. „Wir werden von allen Seiten bedroht, zum Beispiel online“, sagt Áurea. „Am Anfang hatte ich Angst um mich selbst, aber mittlerweile sorge ich mich vor allem um meine Familie. Darum, was ihr passieren könnte, weil ich mich engagiere.“

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Txai Suruí aus Brasilien sagt, sie sei schon ihr ganzes Leben lang Aktivistin: „Denn wenn du eine Indigene bist, wirst du geboren, um zu kämpfen.“

Foto: Privat
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Áurea Sana kämpft nicht nur gegen die Klimakrise, sondern auch gegen Rassismus, von dem sie auch selbst immer wieder betroffen ist. Oriximiná, ihre Heimat, sei eine der rassistischsten Gegenden Brasiliens, sagt sie.

Foto: Privat

Während man in Deutschland, Schweden oder Kanada weitgehend unbesorgt auf die Straße gehen und die Regierungen für Klima- und Umweltpolitik kritisieren kann, gefährden Aktivist*innen in vielen Ländern des Globalen Südens damit ihr Leben. Der aktuellste Report der NGO „Global Witness“ hat ergeben, dass 2019 weltweit mindestens 212 Menschen getötet wurden, die die Umwelt in ihrer Heimat oder Gebiete, in denen sie traditionell leben, vor Zerstörung bewahren wollten. Das sind im Schnitt mehr als vier Morde pro Woche und mehr als in jedem Jahr seit dem ersten Report für das Jahr 2012. Die Dunkelziffer ist vermutlich höher, da die NGO nicht aus allen Ländern verlässliche Informationen bekommt. Die meisten Morde hat „Global Witness“ 2019 in drei Ländern registriert: in Kolumbien (64), auf den Philippinen (43) und in Brasilien (24). Zusätzlich wurden und werden viele Aktivist*innen bedroht, angegriffen, kriminalisiert, eingeschüchtert. 

Der Report für 2020 ist noch nicht erschienen, aber Alice Harrison von „Global Witness“ rechnet nicht mit einer Verbesserung der Lage. Denn in den vergangenen Jahren haben sich die Konflikte kontinuierlich verschärft. „Die weltweite Nachfrage nach günstigen Nahrungsmitteln und Rohstoffen wächst und dadurch rücken Unternehmen in immer neue Gebiete vor“, sagt Harrison. „Sie machen Deals mit offiziellen, staatlichen Stellen, ohne, dass die lokale Bevölkerung beteiligt wird – und wer sich wehrt, riskiert sein Leben.“ Die Unternehmen, so Harrison, stellten Profit über Menschenleben. Gleichzeitig würden die „environmental defenders“, wie „Global Witness“ die bedrohten Aktivist*innen nennt, von staatlicher Seite als „rückständig“ und „entwicklungsfeindlich“ gelabelt. Brasiliens Präsident Bolsonaro hat Umweltorganisationen im vergangenen Jahr als „Krebs“ bezeichnet, der nicht totzukriegen sei. 

Txai hat im vergangenen Jahr einen Freund verloren. Er wurde 34 Jahre alt

Die Übergriffe gegen Aktivist*innen beginnen meist mit Drohungen, dann folgen physische Attacken, Entführungen, Morde. Viele ziehen sich darum zumindest eine Zeit lang aus der Öffentlichkeit zurück, sobald sie bedroht werden, so wie Txais Mutter. Die Verantwortlichen sind schwer zu fassen. Oft werden Auftragskiller engagiert, immer wieder sind auch Polizei oder Militär involviert. Dahinter vermuten Expert*innen mal illegale  Gruppen, die Raubbau betreiben, mal große Unternehmen oder sogar staatliche Stellen.

Eine umfassende Aufklärung, wie die im Fall der 2016 ermordeten 44-jährigen Umweltaktivistin Berta Cáceres aus Honduras, ist selten. Cáceres wurde umgebracht, weil sie sich gegen den Bau eines Staudamms engagiert hatte. Sieben Männer, darunter die engagierten Mörder, die sie zuhause überfallen haben, aber auch mehrere Mitarbeiter des für das Dammprojekt verantwortlichen Energieunternehmens Desa wurden verhaftet und 2018 verurteilt. Seit diesem Frühjahr muss sich auch Roberto David Castillo Mejía, ehemaliger Desa-Manager, vor Gericht verantworten. Die honduranische Regierung sah sich vor allem unter Aufklärungsdruck, weil Cáceres international bekannt war. Doch in den meisten Mordfällen werden, wenn überhaupt, nur die Auftragskiller gefasst.

Txai hat im vergangenen Jahr einen Freund verloren: Ari Uru-Eu-Wau-Wau starb am 18. April 2020, nachdem ihm jemand mit einem stumpfen Gegenstand in den Nacken geschlagen hatte. Die Polizei spricht von einem Unfall, aber die lokale Bevölkerung vermutet einen Vergeltungsschlag, weil Ari sich gegen illegale Abholzung eingesetzt hatte. Er wurde 34 Jahre alt. „Bis heute haben wir von der Polizei und der Regierung keine Antwort darauf bekommen, wer ihn umgebracht hat“, sagt Txai im Video-Call. Die Uru-Eu-Wau-Wau leben wie die Paiter Suruí in Rondônia. Von den ursprünglich 200 000 Quadratkilometern tropischen Regenwalds wurden in dem Bundesstaat bis heute etwa 70 000 abgeholzt. In kaum einer anderen Region Brasiliens ist der Kahlschlag so umfassend. Insgesamt hat die Entwaldung des Amazonasgebiets 2020 im zweiten Jahr in Folge zugenommen und einen Zwölf-Jahres-Höchststand erreicht. Und je größer die Ausbeutung der Natur, desto höher das Risiko für diejenigen, die sie verteidigen, weil sie mit und von ihr leben.

„40 Prozent der Defenders, die 2019 ermordet wurden, gehörten indigenen Gemeinschaften an“, sagt Mary Menton, die an der University of Sussex zu Gewalt gegen Umweltschützer*innen forscht. „Und das, obwohl sie nur fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen.“ Zum einen leben Indigene häufig in den Gebieten, in denen es die meisten natürlichen Ressourcen gibt – tropisches Holz, Wasser, Rohstoffe im Boden oder auch schlicht unbebaute Flächen, die zu Plantagen oder Viehweiden umgewandelt werden können. Zum anderen werden Indigene und andere „traditional people“, wie etwa die Quilombolos, gesellschaftlich marginalisiert. In Brasilien, sagt Alice Harrison von „Global Witness“, gebe es „blanken Hass auf höchstem politischem Level“ und „staatlichen Rassismus“ gegen sie. 

„Wenn wir demonstrieren, tauchen Polizei oder Militär auf und sagen, das sei illegal“, erzählt Jefferson

Doch nicht nur für Menschen, die an einer Front des Klimakampfs wie dem Amazonas leben, kann das Engagement für die Umwelt zur Gefahr werden. Jefferson Estela, 22, ist auf den Philippinen als Klimaaktivist aktiv und hat unter anderem Streiks nach dem Vorbild von „Fridays for Future“ in Manila organisiert. Die Situation für Aktivist*innen in seiner Heimat verschlechtert sich zunehmend. Im Sommer 2020 verabschiedete die philippinische Regierung das sogenannte „Anti-Terror-Gesetz“, das hauptsächlich dazu dient, Kritiker*innen von Präsident Duterte mundtot zu machen.

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Jefferson Estela ist seit 2019 in der philippinischen Klimabewegung aktiv. Er sagt: „Immer, wenn ich Droh-Nachrichten erhalte, frage ich mich: Ist es etwa falsch, für die Umwelt und meine Zukunft zu kämpfen?“

Foto: Greenpeace Philippines

„Wenn wir demonstrieren, tauchen Polizei oder Militär auf und sagen, das sei illegal“, erzählt Jefferson. Auch er gibt ein Interview per Video-Call, von seiner Wohnung in Antipolo östlich von Manila aus. Über Social Media hat er schon häufig Drohnachrichten erhalten, von „Du bist hässlich“ über „Deine Stimme wird nicht gebraucht“ bis hin zu „Du solltest sterben“. Und auch, wenn er selbst nicht in einem Gebiet lebt, dem die Zerstörung droht, und damit nicht direkt an der Front des Kampfes für die Umwelt, besteht eine Verbindung von der streikenden Jugend in Manila zu den Gruppen, die unmittelbar in Gefahr sind. „Mitglieder von NGOs, mit denen wir zusammenarbeiten, wurden umgebracht“, sagt Jefferson. Er erzählt von Zara Alvarez, Mitarbeiterin der philippinischen Menschenrechtsorganisation Karapatan, die im August 2020 von einem Unbekannten erschossen wurde. „Einige unserer Aktivist*innen sind deswegen ausgestiegen. Sie fühlen sich nicht mehr sicher.“

Jeffersons Engagement für das Klima begann 2019, als Greta Thunberg und „Fridays for Future“ erstmals weltweit Aufmerksamkeit erregten. Seitdem haben sich in vielen Ländern Ableger gegründet und schon bestehende Umweltorganisationen an Zulauf und Bekanntheit gewonnen. Für die bedrohten „environmental defenders“, die oft schon seit Jahrzehnten für den Erhalt der Natur kämpfen, sei das zunächst einmal ein Vorteil, sagt Alice Harrison von „Global Witness“: „Aktivist*innen wie Greta Thunberg werfen ein Schlaglicht auf das, was im Globalen Süden passiert.“ Gleichzeitig werde zivilgesellschaftliches Engagement weltweit zunehmend kriminalisiert – auch im Globalen Norden. Die NGO „Civicus“ gibt an, dass der Raum für Protest kontinuierlich schrumpft. Nur drei Prozent der Weltbevölkerung leben heute in Ländern, in denen ihre Grundrechte allgemein respektiert und geschützt werden, sie also auch ohne jede Einschränkung den öffentlichen Raum nutzen und ihre Meinung äußern können. Die Pressefreiheit, ein Indikator für den Zustand der freien Meinungsäußerung, gerät ebenfalls seit Jahren und in immer mehr Ländern unter Druck. Auch Aktivist*innen im Globalen Norden gehen heute also nicht ohne Risiko auf die Straße – erkennbar ist das unter anderem an den massiven Drohungen, die Greta Thunberg erhält

Viele bedrohte Gemeinschaften haben mittlerweile Selbsthilfe-Netzwerke aufgebaut

Dennoch beneidet Jefferson die streikenden Schüler*innen und Umweltorganisationen in Ländern wie Deutschland. „Vergangenes Jahr war ich teilweise richtig wütend, weil wir ihre Freiheit und ihre Ressourcen nicht haben und weil sie in allen Nachrichten und überall in den sozialen Netzwerken waren“, sagt er. „Wir haben hier andere Perspektiven und  andere Geschichten, die auch gehört werden sollten.“ Txai in Brasilien sagt: „Das soll keine Kritik an ihrer Arbeit sein – aber für jemanden wie Greta ist es leichter, zu demonstrieren, als für uns. Wir kämpfen hier im Amazonas schon seit mehr als 500 Jahren um unsere Existenz.“ Alice Harrison von „Global Witness“ kann den Frust der jungen Aktivist*innen im Globalen Süden verstehen. „Das ist ein sehr gerechtfertigtes und wichtiges Gefühl“, sagt sie. Greta Thunberg sei aber immerhin gut darin, die internationale Aufmerksamkeit, die sie genieße, immer wieder zu nutzen, um den Blick auf ihre Mitstreiter*innen weltweit zu lenken.

Unterstützung von denen, die mehr Privilegien haben, sei wichtig, sagt auch Áurea. Als Beispiel nennt sie Raquel Rosenberg, Mitbegründerin von „engajamundo“. „Als weiße Frau aus São Paulo lebt sie eine ganz andere Realität als ich. Gerade darum kann sie eine große Hilfe sein. Menschen wie sie machen auch uns stärker.“ Internationale NGOs helfen zudem, indem sie bedrohten Aktivist*innen, die sich verstecken müssen, sichere Orte und Rechtsbeistand anbieten, zum Beispiel „Front Line Defenders“ oder „Lifeline“. Viele bedrohte Gemeinschaften haben mittlerweile auch Selbsthilfe-Netzwerke aufgebaut, wie die „Guardia Indígena de Cauca“ in Kolumbien. Politisch fordern Expert*innen Abkommen wie den „Acuerdo de Escazú“ in Südamerika oder der UN-Resolution aus dem Jahr 2019, die den Schutz von Umweltaktivist*innen festschreiben. Als besonders wichtiger Beitrag der internationalen Gemeinschaft gelten außerdem Lieferkettengesetze, die dafür sorgen sollen, dass an jedem Punkt eines Produktionsprozesses Menschenrechte geachtet werden. Aktuell wird auf EU-Ebene über ein Lieferkettengesetz verhandelt, das voraussichtlich um einiges härter ausfallen wird als die kürzlich beschlossene deutsche Variante. Ein solches Gesetz kann bestenfalls auch Menschen wie Txai und Áurea schützen, in deren Heimat die Produktion mit dem Abbau von Ressourcen beginnt.

„Manchmal frage ich mich, ob es sich unter dan aktuellen Umständen noch lohnt, Klimaaktivistin zu sein“, sagt Áurea. „Aber es gibt keine andere Möglichkeit. Wir kämpfen ja, um überleben zu können.“ Und auch Txai wird weitermachen, obwohl ihre Mutter sich verstecken musste und sie selbst und ihr Vater bedroht werden. „Die Kraft dazu haben wir von unseren Vorfahren geerbt. Und wir haben den Wald auf unserer Seite.“

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