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„Ich kann die Pistole benutzen und ich bin bereit dazu“

Fotos: Privat

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Wenn man an die USA und an Waffen denkt, dann denkt man vielleicht an einen Mann mit Bierbauch unterm Stars-and-Stripes-Feinripp, Cowboyhut, einer Flasche Bourbon in der einen Hand und abgesägter Shotgun in der anderen. Aber man denkt ganz sicher nicht an Elysha, Joshua und Jas. Sie alle haben bei der Präsidentschaftswahl den Demokraten Joe Biden gewählt, sie alle sprechen wie ruhige, reflektierte Menschen, sie alle hatten nie in ihrem Leben vor, eine Waffe zu besitzen. Und sie alle haben sich innerhalb des vergangenen Monats eine gekauft. 

Wie schon im Wahljahr 2016 stiegen auch 2020 die Waffenverkäufe in den USA stark an. Und es sind auffällig viele Menschen darunter, die sich zum ersten Mal eine Waffe kaufen. Darauf weist eine Studie der National Shooting Sports Foundation hin, des Handelsverbands der Waffenindustrie: Zwischen dem 1. Januar und dem 30. September 2020 wurden 15,4 Millionen Background Checks bei Waffenkäufer*innen durchgeführt – mehr als im ganzen Jahr 2019 und nahe an der Rekordzahl 15,7 Millionen im Jahr 2016.

Und unter den Käufer*innen sind offenbar nicht nur Männer mit Cowboyhut. Laut eines Artikels der Zeitschrift Politico kauften mehr Frauen und mehr Schwarze Menschen als in vorigen Jahren Waffen. 

Hauptgrund dafür ist die unsichere Lage derzeit in den USA: Viele Menschen sind an Covid-19 gestorben, die wirtschaftliche Zukunft ist unsicher. Im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste kam es zu Gewalt, die mediale Präsenz von bewaffneten paramilitärischen Gruppen und nicht zuletzt der Präsidentschafts-Wahlkampf haben in den USA eine Stimmung geschaffen, die fast bis zum Reißen gespannt ist. Elysha, Joshua und Jas wollen um keinen Preis, dass es zu einer Eskalation kommt, in welcher Form auch immer. Aber wenn – dann wollen sie nicht diejenigen sein, die unvorbereitet getroffen werden.

„Ich trage meine Pistole jetzt in einem Halfter an der Hüfte, wenn ich aus der Tür gehe.“

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Elysha übt regelmäßig auf einer Schießanlage oder im Garten. Ein Laserpointer an ihrer Pistole hilft ihr beim Zielen.

Foto: Privat

 

Elysha, 23, ist nach ihrem Studium mit ihrem Verlobten in dessen Heimat in North Carolina gezogen.

„Ich komme ursprünglich aus Kalifornien und North Carolina ist viel konservativer. In unserer Stadt sind die Mehrheit Republikaner und ich habe mich hier als Demokraten-Wählerin von Anfang an zahlenmäßig unterlegen und unsicher gefühlt. Mein Verlobter und ich beobachten sowohl in den Medien als auch in unserem persönlichen Umfeld, wie beide Seiten, links und rechts, immer wütender werden und wir hatten das Gefühl, wir müssten bereit sein. Falls irgendwas passiert. Ich bin Latina und falle gerade hier in North Carolina ziemlich damit auf und begegne deshalb auch offenem Rassismus. Ich höre immer wieder Sprüche wie: ,Geh doch wieder in dein Land zurück!‘ Aber das ist mein Land, ich bin hier geboren. 

Wenn du eine Waffe willst, gehst du hier in North Carolina einfach zum Sheriff und beantragst eine Genehmigung. Die kommt dann nach zwei Tagen. Mit der Genehmigung gehst du zum Waffenladen, dort unterschreibst du ein Formular und kaufst die Waffe, das ist alles. Hier wird viel geschossen. Es gibt viele Schießstände, Leute schießen aber auch einfach im Garten rum. Mein Verlobter und ich haben also gesagt: Okay, es gibt Pistolen, die leicht zu handhaben sind, es gibt genügend Möglichkeiten, damit zu üben und es ist einfach, sie zu bekommen. Lass es uns machen.

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Elysha hat sich für eine kleine, einfach zu bedienende Pistole entschieden. Ihr Partner hat auch eine.

Foto: Privat

Zuhause habe ich sie dann ausgepackt: eine 9-Millimeter Pistole mit Laserpointer zum Zielen. Vorher hatte ich nie in Erwägung gezogen, jemals eine Waffe zu besitzen. Als ich sie dann in die Hand genommen habe, hat sich das sehr seltsam angefühlt. Trotzdem beruhigt es mich ein bisschen, sie zu haben. 

Am 01. November war hier in Hickory eine Trump-Rally und mir wurde noch öfter als sonst hinterhergeschrien. Das hat mir Angst gemacht. Und wenn irgendjemand von denen einen schlechten Tag hat und beschließt, das an mir auszulassen, dann muss ich bereit sein. In unserem County kann man seine Waffe offen auf der Straße tragen und viele Leute machen das auch. Auch ich trage meine Pistole jetzt in einem Halfter an der Hüfte, wenn ich aus der Tür gehe. Damit die Leute sie sehen und sich zwei Mal überlegen, ob sie mich wegen meines Aussehens blöd anmachen oder mir etwas antun. Ich kann die Pistole benutzen und ich bin bereit dazu, aber ich hoffe, ich muss das nicht.

Ich will nicht alle Trump-Unterstützer in einen Topf werfen. Wirklich nicht. Aber naja, es gibt schon einfach eine Menge verrückter Trump-Unterstützer hier. Und diese Leute warten schon lange darauf, dass Gewalt ausbricht in irgendeiner Form. Sie fühlen sich schon seit Jahren vage bedroht und haben sich schon lange bewaffnet. Ich glaube, diese latent aggressive Erwartungshaltung hat die jetzige angespannte Situation mit heraufbeschwört.“

„Wir hatten erst über eine Kalaschnikow nachgedacht“

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Joshua hat auch Republikaner unter seinen Bekannten. Die seien aber eher gemäßigt.

Fotos: Privat

Joshua, 36 wohnt mit seiner Familie in Eugene, Oregon, und arbeitet als Software-Verkäufer.

„Ich habe für Biden gestimmt, aber ich war viele Jahre lang deutlich konservativer als ich jetzt bin. Ich war schon immer für das 2nd Amendment (Anm. d. Red.: das das Recht auf Waffenbesitz gewährt), sofern die richtigen Regulierungen angewandt werden. Trotzdem habe ich selbst nie eine Waffe besessen und auch nie Interesse daran gehabt. Mir gefällt die Vorstellung nicht, eine Waffe abzufeuern. 

Aber es gibt in den USA eine große Präsenz von paramilitärischen Gruppen, Militias. In Michigan, wo ich herkomme, sind die bewaffnet zum State Capitol marschiert, nur weil der Corona-Lockdown verkündet wurde. Und ich dachte: Junge, wie würden die erst reagieren, sollten die Demokraten gewinnen? Es liegt so einfach so ein Gefühl in der Luft von ,Entweder etwas geschieht oder nichts geschieht. Aber wenn, dann jetzt.‘ Vor allem auf der Seite der Rechten hört man immer wieder Leute von Bürgerkrieg reden.

Ich habe eine Frau und vier Kinder. Und die will ich im Notfall beschützen können. Deshalb schien es die richtige Entscheidung, eine Waffe zu kaufen. Wir hatten erst über eine Kalaschnikow nachgedacht, aber die sind ziemlich teuer und wir dachten, eine kleine Handfeuerwaffe sollte genügen. Die  haben wir dann vor einem Monat gekauft. Wir haben mit dem Verkäufer geplaudert und er meinte, dass die Regale leergeräumt sind, weil Leute sich mit Waffen eindecken. Man könne zum Beispiel nirgends in der Gegend mehr eine Shotgun finden. Er konnte uns für die Pistole auch nur eine bestimmte Anzahl Kugeln mitgeben, weil er nicht genug Vorrat hatte. 

Es ist komisch, auf einmal eine Waffe zu haben. Ich kann, wie gesagt, mit Waffen eigentlich nichts anfangen und ich habe auch nicht viel damit gemacht bisher. Sie ist jetzt sicher weggesperrt und ich hoffe, ich werde sie nie benutzen müssen.

Trotzdem, gehen wir mal vom Worst Case Szenario aus. Wenn, sagen wir,  ein Bürgerkrieg ausbricht wegen der Präsidentschaftswahl. Dann werden die Leute unberechenbar. Es könnte Lebensmittelknappheit geben. Und nochmal: Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Aber theoretisch wäre es denkbar, dass Leute selbst hier, in unserer liberalen, friedlichen, ländlichen Gegend in Oregon, Hunger bekommen und von Haus zu Haus laufen und versuchen, andere auszurauben. Ich meine, ich würde sicher niemanden wegen Essens erschießen. Aber für den Fall, dass jemand uns etwas antun will, will ich, dass meine Kinder sicher sind.“

„Ich will definitiv nie einen Menschen töten“

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Viele in Jas' Freundeskreis spielen ebenfalls mit dem Gedanken, sich eine Waffe zuzulegen.

Foto: Privat

Jas, 25, lebt in Richmond, Virginia, und arbeitet im Technik Support, wo sie zurzeit Überstunden machen muss, um die vielen Menschen im Home-Office zu unterstützen.

„Im Sommer habe ich Bilder von Militias gesehen, die auf einem Black-Lives-Matter-Protest aufgetaucht sind. Sie waren in voller Ausrüstung, Schutzwesten, Helme und schwere Waffen. Außerdem gibt es hier in Richmond eine Statue eines Konföderierten-Generals, die von Demonstranten komplett besprüht wurde. Trump-Supporter sind daran vorbeigefahren und haben eine Frau mit Pfefferspray attackiert. Und es fielen Schüsse, verletzt wurde aber niemand. Irgendwann zu dieser Zeit habe ich beschlossen, dass ich mich beschützen muss. 

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Jas am Robert Lee Monument in Richmond. Aktivist*innen haben den Platz zu Marcus-David Peters Circle umbenannt, nach einem jungen Afro-Amerikaner, der in Richmond erschossen wurde.

Foto: Privat

Für euch Europäer ist die Vorstellung fremdartig und furchterregend, dass man einfach in einen Laden laufen und eine Waffe kaufen kann. Aber um eins klarzustellen: Auch für mich als Amerikanerin ist das fremdartig und furchterregend. Ich war mein Leben lang entschieden gegen Waffen, gegen das 2nd Amendment. Ich denke, niemand sollte eine Waffe haben, außer vielleicht Sondereinsatzkräfte der Polizei. Aber bei allem, was in den vergangenen vier Jahren passiert ist, dachte ich: Wenn die alle Waffen haben, brauche ich auch eine. Und letzte Woche habe ich mir dann eine SIG Sauer M18 geholt.

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Jas war schockiert, wie einfach der Waffenkauf war. Es hat ungefähr 30 Minuten gedauert, bis sie mit ihrer Pistole aus dem Laden gehen konnte.

Fotos: Privat

Ich habe zwar im Militär gedient und habe somit Erfahrung mit Waffen, aber es war trotzdem seltsam, eine zu besitzen. Ich will definitiv nie einen Menschen töten. Das Ziel ist vor allem, Aggressoren durch das offene Tragen der Waffe abzuschrecken.

Ich bin eine Frau, ich bin queer und das sieht man auch, und ich bin nicht zuletzt Schwarz. Damit gehöre ich zu den Menschen in diesem Land, die am meisten marginalisiert werden. Ich bin mir sicher, dass Donald Trump ein White Supremacist ist und von White Supremacists unterstützt wird. Diese Leute werden als erstes Gewalt gegen Schwarze und People of Color ausüben, wenn Trump verliert. Und auch viele Menschen in der Polizei sind selbst Rassisten. Besonders hier in Richmond, Virginia, das die Hauptstadt der Südstaaten war (die gegen die Abschaffung der Sklaverei gekämpft haben, Anm. d. Red.). Wir Schwarzen hier leben also schon immer mit der Angst vor rassistisch motivierter Gewalt. Aber jetzt ist sie noch größer. 

Ich glaube, dass die Situation nur entschärft werden kann, wenn die Leute erkennen, dass es nicht um Schwarz gegen weiß geht, sondern um arm gegen reich. Die Eliten gegen uns alle. Erst dann können wir irgendwie zueinander finden.“

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