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Italien-Sperrzone wegen Coronavirus: Wie junge Menschen davon beeinflusst werden
Die Straßen Roms sind leer, der Markusplatz in Venedig verlassen: Seit Montagabend ist ganz Italien wegen des Coronavirus Sperrzone. Unis, Schulen und Kindergärten bleiben geschlossen, genauso wie Bars und Restaurants ab 18 Uhr, Großveranstaltungen werden abgesagt. Die Menschen dürfen zwar theoretisch noch unterwegs sein – aber nur, wenn es wirklich notwendig ist. Fast 10 000 Menschen in Italien sind offiziell infiziert, fast 500 Menschen sind an dem Virus gestorben. Jetzt stehen fast 60 Millionen Menschen quasi unter Hausarrest. Es ist eine Situation, wie es sie in keinem europäischen Land bisher gab. Wir haben mit jungen Menschen in Italien darüber gesprochen, wie es für sie weitergeht und ob die Angst nun ihren Alltag beherrscht.
„Ich habe ehrlich gesagt Angst“
Matteo Leonardi, 24, Student aus Bozen:
„Gestern Abend wollte ich meine Tasche packen und den nächsten Zug in meine Heimat Bologna nehmen. Ich bin dann aber noch mal in mich gegangen, habe mit meiner Familie telefoniert und wir haben gemeinsam beschlossen, dass ich hier in Bozen bleibe. Panisch zum Bahnhof zu rennen ist schließlich genau das, was man nicht machen sollte. Die Uni ist ja bereits seit letzter Woche geschlossen. Ich bin dort an der Fakultät für Kommunikation und Design, die bieten momentan die meisten Kurse online an. Mal schauen, wie sich das alles jetzt entwickelt.
Ich habe das Gefühl, dass sich seit gestern Abend bei den Menschen vor allem psychisch einiges verändert hat. Auch ich habe seit gestern ehrlich gesagt Angst. Sobald man eine Provinz verlassen will, müssen jetzt Reisedokumente ausgefüllt werden. Man muss Gründe aufführen und sich rechtfertigen, warum man von A nach B will. Ich frage mich, welche Gründe ausreichend sind? Wer entscheidet das? Generell ist die Kommunikation ein Problem, jede Zeitung schreibt was anderes, irgendwie ist alles ziemlich unübersichtlich. Ich glaube die psychischen und die wirtschaftlichen Konsequenzen des Virus werden enorm. Einige Firmen haben bereits Leute entlassen müssen, die Unternehmen verlieren zu viel Geld in sehr kurzer Zeit.“
„Meine Familie in Deutschland hat angerufen und mich gebeten, nach Hause zu kommen“
Nina Kehr, 23, deutsche Austauschstudentin in Rom:
„Ich habe jetzt seit drei Tagen keine Leute mehr gesehen. So langsam fühle mich schon etwas einsam, aber das ist jetzt so, an Regeln muss man sich eben halten. Die Regierung gibt seit gestern vor, dass man nur dann das Haus verlassen soll, wenn es wirklich notwendig ist. Also einkaufen, arbeiten und Arztbesuche sind erlaubt, sonstige Aktivitäten sind Tabu. Als ich vor einigen Tagen das letzte Mal einkaufen war, waren die Regale im Supermarkt nicht geplündert. Ich schätze aber, dass das spätestens in zwei Tagen der Fall sein wird. Meine Familie in Deutschland hat natürlich schon mehrfach angerufen und mich gebeten, nach Hause zu kommen. Jetzt allerdings an den Flughafen zu fahren, sich womöglich dort zu infizieren und das Virus im Flieger mit nach Deutschland zu bringen ist ja auch Qquatsch.
Meine Kommiliton*innen sind bis auf die Einheimischen alle weggefahren. Einige nach Hause, einige nutzen die vorlesungsfreie Zeit für Urlaube, sind nach Paris oder Neapel gefahren. Das fördert wohl eher die Ausbreitung des Virus statt es einzudämmen. Ich bleibe jetzt erstmal hier, am Ende wird in Deutschland in zwei Wochen allumfassende Quarantäne verordnet und ich sitze dann in meiner Heimat rum. Wenn die Uni hier allerdings noch länger geschlossen bleibt und womöglich das ganze Sommersemester ausfällt, würde ich natürlich schon überlegen, das Erasmus-Semester abzubrechen.“
„Es fühlt sich wie in einer surrealen Fernsehserie an. Total absurd“
Peter Friedrich, 21, macht in Mailand eine Ausbildung zum Schneider:
„Mailand ist seit über einer Woche abgeriegelt. Es fühlt sich an wie in einer surrealen Fernsehserie. Total absurd. Wenn man durch die Straßen läuft, ist es unvorstellbar leer. Das trifft mich sehr hart, denn mir fehlen die vielen Möglichkeiten, die mir die Stadt sonst bietet. Die Läden sind zu, niemand geht aus. Das ist schlecht für die Wirtschaft. Ich sehe da eine Wirtschaftskrise auf uns zukommen.
Ich kann auch nicht in die Berufsschule, wo ich gerade eine Ausbildung zum Schneider mache. Das frustriert mich, denn meine Ausbildung macht mir viel Spaß. Die Leere ist demotivierend. Ich kann aufstehen und ins Bett gehen, wann ich will. Ich habe keine Aufgaben, so wie sonst im Alltag. Es ist schwer, wenn man nichts tun kann. Man wird wie ein Stein. Jetzt, wo alles zum Erliegen kommt, zieht mich das runter. Angst vor dem Virus habe ich nicht direkt. Das Problem ist, dass es sich schnell verbreitet und dadurch das Gesundheitssystem überlastet. Es wurden zur Unterstützung aber schon neue Leute eingestellt. Ich denke, dass das Einrichten der Sperrzone auch helfen wird. Jetzt müssen wir drei Wochen abwarten, wie sich die Lage entwickelt. Das fühlt sich ewig an.“
„Man ist jetzt auf Stand-by“
Viktoria, 32, arbeitet in Brixen als Schauspielerin:
„Ich war zwar überrascht, als gestern in ganz Italien die Sperrzone ausgerufen wurde. Aber irgendwie hab ich das schon geahnt – jeden Tag kamen zehn neue, schlechte Nachrichten. Die ganze Situation ist wirklich komisch. Man weiß nicht genau, wie man damit umgehen soll, man ist jetzt auf Stand-by. Ich stehe auf und trinke meinen Zitronensaft, in der Hoffnung, dass das etwas hilft. Und ich nehme die Anweisungen der Behörden ernst. Ich hatte nämlich schon verschiedene Lungenkrankheiten: eine Entzündung, eine Pneumothorax und 2017 hatte ich Tuberkulose. Ich stand damals auch unter Quarantäne, die Menschen, die mich besuchten, durften nur mit Maske in meine Wohnung. Meine Familie kennt das Gefühl also schon, dass man besonders aufpassen muss. Deswegen ärgere ich mich auch über Leute, die das Virus vollkommen ignorieren und mir schreiben: Super, dann können wir die Woche ja mal essen gehen!
Ich mache mir vor allem Gedanken, dass in den Krankenhäusern zu wenig Plätze sind, gerade im Süden Italiens. Da hofft man einfach, dass denen unten nicht die Kraft und die Kapazitäten ausgehen. Und ich sorge mich um ältere Leute. Meine Eltern sind beide älter als 65 Jahre und damit in der Risikogruppe. Die wirtschaftliche Lage beunruhigt mich dagegen nicht so. Ich bin Schauspielerin und seit vergangener Woche fallen bei uns auch alle Aufführungen aus. Das ist blöd, aber wir am Theater sind ja gewohnt, nicht so aufs Geld zu schauen. Das kommt jetzt, wie es kommt. Ich nutze die Zeit einfach erst mal, um meine Wohnung zu streichen.“
„Es ist komisch, wenn ich jemanden treffe und auf Abstand bleiben muss“
Alberto, 23, ist Webdesigner in Gavinana, Toskana:
„Ich mache mir um mich keine Sorgen, aber um meine Großeltern. Sie wohnen auch in Gavinana. Wenn die Quarantäne sie schützt, dann finde ich das gut. Auch wenn das Sozialleben vieler Menschen darunter leidet: Gavinana ist eine kleine Stadt, da trifft man im Winter draußen zwar nie viele Menschen. Aber sonst überlegen meine Freunde und ich halt, wo wir abends hingehen könnten. Jetzt geht das nicht mehr. Wahrscheinlich werden wir jetzt sehr viel Netflix schauen.
Es gibt diverse Regeln für das private und öffentliche Leben. Wenn man mit dem Auto wegfahren will, braucht man dazu ein ausgefülltes Formular. Wenn man etwas online bestellt hat, legt die Post es vor die Tür, klingelt und geht. Einkäufe im Supermarkt soll zum Beispiel immer nur eine Person pro Familie erledigen. Schulen und Universitäten sind geschlossen. Beruflich ändert sich für mich nicht so viel. Ich habe als Webdesigner das Glück, von zu Hause aus arbeiten zu können.”
„Was mich beschäftigt ist, wann ich meinen Freund das nächste Mal sehen kann“
Matteo Gobbini, 27, arbeitet als Musiklehrer und Musiker in Panicarola (Umbrien):
„Das mit dem Unterrichten gestaltet sich momentan natürlich schwierig. Bei uns am Gymnasium gibt es ein Portal, worüber ich online Übungsaufgaben für die Schüler*innen einstelle. Momentan wird geschaut, ob wir Unterrichtsstunden per Video, etwa über Skype, abhalten könnten. Immerhin werden die Schulen noch einige Wochen geschlossen bleiben. Ich bin aber ziemlich zuversichtlich, dass hier ab Mitte April wieder alles seinen geregelten Lauf nehmen wird. Momentan mache ich mir vor allem Sorgen um meine Oma, sie ist 90. Als Musiker reise eigentlich viel herum. Hoffentlich habe ich sie bei einem meiner letzten Besuche nicht angesteckt. Meine Konzerte für die nächsten Wochen sind jetzt natürlich alle abgesagt worden. Bereits Anfang Februar wurden viele Tickets annulliert. Angst habe ich persönlich momentan nicht. Ich bleibe jetzt einfach weitgehend zu Hause und versuche mich nicht zu infizieren. Was mich beschäftigt ist, wann ich meinen Freund das nächste Mal sehen kann. Er wohnt in einem anderen Bezirk und Reisen aus privaten Gründen sind ja erstmal nicht mehr erlaubt.“