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Iran geht gegen Instagrammer*innen vor
Warum die iranische Regierung Instagrammer*innen verfolgt
Die Influencerin Sahar Tabar (22) und die Tänzerin Sahra Afsharian (26) wurden aufgrund von „unmoralischem Verhalten“ festgenommen
Eine junge Frau shuffelt mit ihren neuen Sneakern, Tanktop und platinblonden Haaren zu elektronischer Musik über den Boden. Es ist nicht deutlich, ob sie auf einem Dach oder in einem Innenhof tanzt. Nach wenigen Sekunden hält sie ein Plakat in die Kamera: ein Poster des iranischen Präsidenten Hassan Rouhani. Das Gesicht der jungen Frau ist auf dem Video nicht zu erkennen, aber es handelt sich wohl um die 26-jährige Tänzerin Sahra Afsharian. Afsharian wurde nach der Veröffentlichung des Videos vergangene Woche festgenommen. Ihr Account, der über 95 000 Follower*innen hatte, wurde privat gestellt.
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Festgenommen wegen eines Posts auf Instagram – damit ist die Tänzerin kein Einzelfall. Iran hat 2019 schätzungsweise mehrere Dutzend Instagrammer*innen festgenommen, berichtet Jasmin Ramsey. Sie ist die Kommunikationsdirektorin des Zentrums für Menschenrechte in Iran mit Sitz in New York („Center for Human Rights in Iran“). Diese unabhängige Organisation berichtet mithilfe von Informant*innen in Iran über Menschenrechtsverletzungen im Land. Sie sitzt im Ausland, da zivilrechtliche NGOs in Iran nicht frei arbeiten dürfen. Innerhalb der vergangenen Woche wurden vier Festnahmen von Instagrammerinnen bekannt. Darunter sind zwei weitere Tänzerinnen und die Influencerin Sahar Tabar, die durch ihre grotesken Bilder auf Instagram als „Zombie-Version“ von Angelina Jolie bekannt wurde.
Laut des „Center for Human Rights in Iran“ wurden auch Sportler*innen, Schauspieler*innen und Models von den iranischen Behörden vorgeladen und zum Teil angeklagt. Zum Schutz der Betroffenen darf Jasmin Ramsey jedoch keine Namen oder weitere Informationen preisgeben. Die Kickboxerin Shabnam Shahrokhi erklärt über Instagram, dass sie weniger postet, da „aufrichtig zu sein als ein Verbrechen angesehen werden kann, das zu einer Haftstrafe von drei Monaten bis zwei Jahren führt“.
Frauen legten auf offener Straße ihre Kopftücher ab, fotografierten und filmten sich
Begründet werden die Festnahmen mit „unmoralischem Verhalten“, das gegen die Scharia-Gesetze verstoße. Unter den Begriff „Scharia“ fallen dabei alle Sittlichkeits- und Moralgesetze, wie zum Beispiel das Verbot von Alkoholkonsum und öffentlichem Tanzen. Ebenso haben Frauen Kopftuchpflicht und dürfen nicht öffentlich singen. Seit der Islamischen Revolution 1979 ist Iran entsprechend der Verfassung ein islamischer Gottesstaat und hat die Scharia als einzige Quelle der Rechtsprechung.
Die jüngsten Festnahmen und der repressive Kurs der Regierung seien „ein Weg, um Druck auf die jungen Menschen auszuüben und ihnen Angst zu machen“, sagt Frauenaktivistin Masih Alinejad am Telefon. Sie lebt im Exil in den USA und gründete 2014 die Protestbewegungen „weißer Mittwoch“ und „die heimliche Freiheit“. Sie veröffentlichte auf Facebook alte Bilder von sich selbst, in denen sie an verschiedenen Orten in Iran ihr Kopftuch ablegt. Alinejad fragte, ob andere Frauen auch solche Bilder haben und löste damit eine feministische Welle aus. Frauen legten auf offener Straße ihre Kopftücher ab, fotografierten und filmten sich und luden die Videos anschließend in den sozialen Netzwerken hoch. Durch diese Protestaktionen hat Masih Alinejad mittlerweile drei Millionen Follower*innen auf Instagram gewonnen, mehr als der iranische Präsident.
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Was junge Menschen vorher hinter verschlossener Tür getan haben, können sie mittlerweile über Social Media der Öffentlichkeit zeigen. „Irans Regierung will dem Volk einen betäubenden Lebensstil aufzwingen. Aber auf Instagram siehst du täglich den zivilen Ungehorsam der jungen Leute, die ihren eigenen Lebensstil wählen“, so Alinejad. Dass soziale Netzwerke eine Plattform für das Aufbegehren junger Iraner*innen gegen das Regime sind, wird nirgends so deutlich wie auf Instagram: Während im nationalen Fernsehen Frauen seit 40 Jahren nur noch in schwarzer Körperbedeckung zu sehen sind, zeigen sich junge Iranerinnen auf Instagram in aller Farbenpracht. Durch Hashtags wie #DancingIsNotACrime, #WhiteWednesday oder #MyCameraIsMyWeapon wurden die Posts immer regierungskritischer. Und: Die ganze Welt kann dabei zusehen, wie sich junge Iraner*innen gegen die Regierung wehren.
Ihr Erfolg beweist, dass viele Menschen im Land eine Veränderung sehen möchten
„Die iranische Regierung hat den Kampf verloren. Auf der Weltkarte sehen wir nur ein Iran. Aber in Wahrheit haben wir zwei. Eins in den offiziellen Medien im Lande, eins in den sozialen Medien“, betont Alinejad. Die iranischen Beamten erkennen die Macht der sozialen Medien und wollen sie kontrollieren. Aber jedes Mal, wenn sie jemanden zwingen, ein Konto zu schließen, ploppt ein anderes auf. Instagrammer*innen beweisen durch ihren Erfolg, dass viele Menschen im Land eine Veränderung sehen möchten.
Neben den Scharia-Gesetzen, die das Tanzen und Singen auch auf Instagram verbieten, scheint es noch einen anderen Grund für das Vorgehen der iranischen Behörden zu geben: gekränkter Stolz. US-Präsident Donald Trump stufte im April die iranische Revolutionsgarde als „terroristische Organisation“ ein. Diese bewacht unter anderem die Befolgung der Scharia-Gesetze und gilt in Iran als Sittenpolizei. Im Zuge der US-Sanktionen durch Trump sperrte Instagram die Accounts von mehreren Mitgliedern der Revolutionsgarde. Laut Alinejad übt die Regierung seither mehr Druck auf Instagrammer*innen aus, vor allem auf junge Frauen, um Kontrolle zu demonstrieren. Die Frauenaktivistin glaubt aber an eine Veränderung im Land: „Iran ist in einer ernsthaften Krise. Der maximale Druck der USA auf Iran wird funktionieren, so wie der maximale Druck der FIFA auf Iran funktioniert hat: Jetzt dürfen Frauen zum Fußball gucken in die Stadien.“
Ob dieser Druck tatsächlich Wirkung zeigen wird, ist unklar. Facebook, Telegram und Twitter wurden in den vergangenen Jahren schon verboten. Momentan debattieren die konservativen und reformorientierten Kräfte der iranischen Regierung über ein Verbot von Instagram. Die Plattform war anfangs unpolitisch. Junge Leute machten Fotos und hatten Spaß. Sie ignorierten die politischen Geschehnisse. Aber Instagram hat sich verändert. Es wurde die einzige weit verbreitete, westliche Social-Media-App, die täglich von Millionen Iraner*innen verwendet wird. „Die Presse spricht von einem möglichen Krieg in Iran“, sagt Masih Alinejad, „aber seien wir ehrlich. Du trägst als siebenjähriges Mädchen kein Kopftuch? Dann bist du kriminell. Wenn du tanzt, bist du kriminell. Wenn du mit einem Hund spazieren gehst, bist du kriminell. Wenn du ein Video postest, bist du kriminell. Du wirst bestraft und verhaftet. Das ist Krieg.“ Irans junge Generation hat die Aufmerksamkeit mithilfe von Instagram auf sich gezogen. Fraglich ist, wie lange ihnen dieses Mittel noch bleibt.