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Interview zu Donnerstags-Demo in Wien
Laura Lorin Şahan ist 22 Jahre alt und organisiert unter dem Motto „Es ist wieder Donnerstag“ österreichweit Demonstrationen gegen die türkis-blaue Regierung. Doch diese ist seit vergangener Woche Geschichte.
jetzt: Euer Ziel war es, so lange jeden Donnerstag gegen die Regierung zu demonstrieren, bis diese weg ist. Dieses Ziel ist erreicht. Seid ihr jetzt in Feierlaune?
Laura: Ja und nein. Als das Ibiza-Video vor zwei Wochen rauskam und alles weitere geschah, waren wir natürlich irrsinnig erleichtert. Wir sind so lange dafür auf die Straße gegangen, dass sich etwas ändert. Vor allem sehr junge Leue kennen die österreichische Politiklandschaft ohne den rechten Diskurs der FPÖ nicht. Für uns war es erleichternd zu sehen, dass Leute wie Heinz-Christian Strache auch scheitern können. Wir kannten das nicht. Wir sind zu jung, um das bei der ersten schwarz-blauen Regierung miterlebt zu haben. Und wir haben bisher auch nicht miterlebt, dass Proteste erfolgreich sein können. Auch wenn das alles natürlich nicht nur unser Verdienst ist.
Und warum ist euch nicht nach Feiern zumute?
Unsere Gesellschaft hat sich damit nicht von einem Tag auf den anderen verändert. Menschen werden noch immer unterdrückt. Es gibt noch immer Rassismus und Sexismus in Österreich. Deswegen wollen wir auch weiterhin auf die Straße gehen. Und nicht auf die nächste Wahl warten.
Die 22-jährige Laura Lorin Şahan will, dass sich in Österreich wirklich was ändert.
Wie hast du den Tag erlebt, an dem das Ibiza-Video veröffentlicht wurde?
Ich wollte gerade losgehen, um Freundinnen zu treffen, bin dann aber daheim geblieben und hab die ganze Zeit News-Seiten neu geladen, um zu sehen ob neue Videos und Infos veröffentlicht wurden. Und wir haben uns gleich in der Demo-Gruppe ausgetauscht. Wir haben dann sofort eine spontane Kundgebung am Wiener Ballhausplatz organisiert. Ich habe in der Nacht kaum geschlafen und stattdessen die Demo geplant.
Nach dem Leak des Ibiza-Videos folgten der Austritt der FPÖ aus der Regierung und ein erfolgreicher Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz. War euch in den vergangenen zwei Wochen immer klar, dass ihr mit den Protesten weitermachen wollt?
Ja. Es ging zuerst vor allem darum, dafür zu sorgen, dass Strache wirklich geht. Dass wir Druck ausüben auf die Regierung. Zeigen, dass es uns nicht egal ist, was da passiert ist. Dann ging es darum, dass die ÖVP noch immer in der Regierung ist. Wir sind der Meinung, dass nicht nur die FPÖ diskriminierende Politik zu verantworten hat, sondern auch die ÖVP unter Sebastian Kurz. Und nur weil die Regierung weg ist, ist ihre Politik nicht weg.
Welche Politik meinst du genau?
Es wurden gerade wieder Gesetze im Parlament beschlossen, die die ÖVP und die FPÖ zu verantworten haben. Zum Beispiel, dass keine unabhängige Rechtsberatungen in Asylverfahren mehr erlaubt sind. Das ist ein großer Einschnitt in das Rechtssystem und Menschen, die um Asyl ansuchen, wird dadurch der Zugang zu rechtlichem Beistand erschwert. Das ist nur eines der vielen Gesetze, für die eine türkis-blaue Politik steht. Wir wollten von Anfang an nicht nur gegen diese Regierung demonstrieren, sondern auch für eine andere Gesellschaft auf die Straße gehen. Die meisten von uns glauben ja, dass die ÖVP im Herbst wieder zurück sein wird.
Heinz-Christian Strache konnte gerade durch Vorzugsstimmen ein Mandat im europäischen Parlament ergattern. Der große Sieger der EU-Wahl ist Kurz’ ÖVP. Die SPÖ hat trotz Ibiza-Skandal gerade Stimmen verloren. Scheint so, als würde sich trotz allem politisch in Österreich nicht besonders viel ändern. Verliert ihr da nicht langsam den Mut?
Ich habe mir ja gar nichts anderes erwartet. Die ÖVP hat in den vergangenen Jahren eine Stimmung gegen die Medien geschaffen, die es möglich macht, dass solche Skandale einfach ohne Konsequenzen vorbeiziehen. Ich hab nicht das Gefühl, dass solche Skandale die Wähler davon überzeugen, dass die FPÖ sie nicht vertritt. Und, dass sie eigentlich eine Partei der Reichen ist. Ich glaube, das muss man anders machen.
Du scheinst eher pessimistisch eingestellt zu sein, was die politischen Lage in Österreich betrifft. Warum?
Es hat mich schon überrascht, dass Strache am Ende gehen musste. Es ist davor eigentlich schon wirklich viel passiert. Skandale, die man in Deutschland vielleicht ganz anders betrachten würde. Die aber für uns mittlerweile normal sind. Die direkten Verstrickungen der FPÖ mit dem Neonazi-Milieu etwa, oder die BVT-Geschichte zum Beispiel. Dinge, die nicht okay sind, die uns schaden. Die aber passieren, ohne als Skandale betrachtet zu werden. Man hatte bisher das Gefühl, dass man den Verantwortlichen nichts anhaben kann. Aus diesem Grund waren wir ja so in Feierlaune an dem Samstag, als das Video rauskam. Das habe ich in meinen jungen Jahren eben noch nie erlebt, dass die FPÖ so resignieren musste.
Für die nächste Donnerstags-Demo habt ihr die Vengaboys nach Wien geholt. „We’re going to Ibiza“ ist für ältere Generationen eine der Party-Hymnen der Neunzigerjahre. Was bedeutet dieser Song für dich und andere junge Menschen?
Ja, ich glaube das ist ein Song aus den 90ern (lacht). Ich kannte ihn davor eigentlich nicht. Er symbolisiert für mich die ganze Absurdität dieses Videos. Wie locker Politiker über ihre Korruptionsgeschichten reden. Dieses Lied ist ja genauso absurd. Es spiegelt diese Situation gut wieder.
Transparenzhinweis: Auf Wunsch der Interviewten haben wir am 13. Februar 2024 diesen Beitrag noch einmal leicht verändert, indem wir einen Teil ihres früher verwendeten Doppelnamens entfernt haben.