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Interview mit Frank Greuel über die Rolle von Männlichkeit im Rechtsextremismus
Ob der Fall Walter Lübcke, das Massaker von El Paso oder der versuchte Amoklauf in einer norwegischen Moschee: Nachrichten von Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund sind aktuell überall. Die Täter dahinter sind nahezu alle männlich. Aber woher kommt das? Dr. Frank Greuel, 42, ist seit zehn Jahren am Deutschen Jugendinstitut tätig und forscht dort unter anderem an der Arbeits- und Forschungsstelle für Rechtsextremismus und Radikalisierungsprävention. Ihm zufolge schätzt die Forschung den Frauenanteil in der rechtsextremen Szene auf gerade mal zehn bis 20 Prozent.
Jetzt: Woran liegt es, dass sich mehr Männer als Frauen dem Rechtsextremismus zuwenden?
Frank Greuel: Das liegt vor allem daran, dass das traditionelle Bild von Männlichkeit in der Ideologie stark aufgewertet wird, während Frauen keine große Rolle spielen. Das Konzept von Männlichkeit, das hier bedient wird, nennt sich „Hypermaskulinität“. Härte und Gewalttätigkeit sollen die eigene Überlegenheit ausdrücken – ein Konzept, das zum Beispiel auch in Action-Filmen oder in der Hiphop-Kultur verbreitet ist, im Rechtsextremismus aber an die Spitze getrieben wird.
Und das führt dann zu der hohen Anzahl an Gewalttaten von rechtsextrem eingestellten Männern?
Im Rechtsextremismus wird vermittelt, dass man sich ständig im Konkurrenzkampf befindet, ob um Territorium, um Arbeitsplätze oder um Frauen. Das spiegelt sich beispielsweise in Vorstellungen wie der Islamisierung des Abendlandes oder im Bild des vergewaltigenden jungen Geflüchteten. Männer müssen dann dazu in der Lage sein, die Frau, die Familie, das Land zu verteidigen. Ein Anschlag soll dann die Verteidigung des eigenen Territoriums gegenüber fremden Eindringlingen ausdrücken – und damit die eigene Überlegenheit.
„Zum Teil fühlen sich Frauen der rechtsextremen Szene im Hausfrauen-Dasein durchaus wohl“
Welche Ursachen gibt es denn allgemein dafür, dass jemand sich radikalisiert?
Generell lässt sich das schwer sagen, da das zum Teil hochindividuelle Prozesse sind. Häufig liegt es aber daran, dass junge Menschen desintegriert und orientierungslos sind und dann in dieser sehr eindeutigen Ideologie einen Bezug finden. Die Verinnerlichung dieser Ideologie geht zunächst immer auch damit einher, dass eine Person in ihrem Selbstwert massiv aufgebaut wird. Im Fall des Rechtsextremismus geschieht das beispielsweise, indem behauptet wird, man sei aufgrund seiner deutschen Nationalität mehr wert als andere. Vor allem in der Jugendzeit stellt das für viele einen Schutz vor negativen Erfahrungen dar.
Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was die Ursachen für eine rechtsextreme Radikalisierung angeht?
Männer radikalisieren sich häufig, weil es heutzutage eine Vielfalt an Rollenbildern und keine Eindeutigkeit mehr gibt, wie ein moderner Mann sich verhalten soll. Im Gegensatz dazu gibt es im Rechtsextremismus ein klares Bild von Männlichkeit, an dem sie sich orientieren können. Bei Frauen ist es tatsächlich oft eine Art verquerer Schutzreflex. Sie begeben sich dann mit der Idee in die rechtsextreme Szene, dass sie dort beschützt werden würden. Die Realität ist aber häufig eine andere.
Während Feminismus heute in der Gesellschaft ein großes Thema ist, ist das Frauenbild in der rechtsextremen Szene immer noch konservativ. Spielt Emanzipation für die Frauen dort überhaupt keine Rolle?
Zum Teil fühlen die Frauen in der rechtsextremen Szene sich im „Hausfrauen-Dasein“ durchaus wohl. Auch für sie bedeutet das eine ideologische Aufwertung: Sie müssen sich nicht der Frage stellen, wieso sie nicht berufstätig sind, denn die Ideologie bietet dafür eine Legitimation. Umgekehrt gibt es in der Szene genauso Frauen, die nicht mit traditionellen Frauenbildern übereinkommen und stattdessen ein Stück weit männliche Muster übernehmen. Sie mischen dann mitunter bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mit. Insgesamt ist das Verhalten von rechtsextrem eingestellten Frauen aber viel zurückhaltender als das von rechtsextrem eingestellten Männern.
„Präventionsarbeit hat immer das Potenzial, etwas zu verändern“
Wie geht man in der Radikalisierungsprävention mit diesen geschlechtsspezifischen Unterschieden um?
Tatsächlich macht man da selten einen Unterschied, allerdings besteht diesbezüglich auf jeden Fall fachlicher Weiterentwicklungsbedarf. In der Prävention wird die Frage von Geschlecht und Gender oft vernachlässigt, obwohl die Forschung darauf verweist, dass sie durchaus eine große Rolle spielt. Im Endeffekt hat das aber vor allem damit zu tun, dass man bei Männern die größten Probleme sieht – denn es sind vor allem gewalttätige Männer, die durch ihr Verhalten auffallen. Frauen, die vermeintlich eine geringe Rolle spielen, da sie wenig Probleme machen, geraten da schnell aus dem Blick.
Wie wird konkret versucht, Radikalisierung vorzubeugen?
Das hängt von der Ausprägung des Phänomens ab. Es gibt zahlreiche Projekte allgemeiner Prävention, die mit Jugendlichen arbeiten, bei denen keine Verhaltensauffälligkeit vorliegt. Das kann zum Beispiel Bildungsarbeit mit Schulklassen sein, in denen noch nichts passiert
ist und eben auch nichts passieren soll. Es gibt auch Projekte, die sich mit Jugendlichen beschäftigen, die bereits anfangen, sich zu radikalisieren. Das können sozialpädagogische Formate sein, die sich mit der individuellen Situation der Person auseinandersetzen. Und es gibt Ausstiegsangebote für Menschen, die in der Szene involviert waren und sich von ihr lösen möchten. Sie kriegen dann sozialpädagogische Hilfe, um sich wieder in die Normalität zu integrieren.
Wie schätzen Sie die Erfolgsquote einer solchen Prävention ein?
Meistens funktioniert sie tatsächlich. Natürlich nicht in allen Fällen, da es sich im Kern um pädagogische Prozesse handelt, die sich vorab nicht konkret definieren lassen. Man weiß nie, mit welcher Erkenntnis Menschen aus so einem Prozess herausgehen, dafür sind unsere individuellen Hintergründe zu verschieden. Aber Präventionsarbeit hat immer das Potenzial, etwas zu verändern.
Was kann man tun, wenn man merkt, dass sich jemand aus dem eigenen Umfeld radikalisiert?
Es gibt in jedem Bundesland Landesdemokratiezentren, die einen vor Ort an die konkreten Ansprechpartner*innen für so einen Fall vermitteln können. Die Frage ist aber: Hat die Person überhaupt ein Problem damit? Denn all das, wovon ich gesprochen habe, baut darauf auf, dass die Betroffenen sich von der Szene oder Ideologie lösen möchten. Eine Person, die nicht aussteigen möchte, zum Ausstieg zu überreden, funktioniert leider nicht.