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Interview mit Baukje Dobberstein vom Bündnis Grundeinkommen
jetzt: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen", hat der ehemalige Kanzler Helmut Schmidt mal gesagt. Du bist Ärztin und hast eine politische Vision. Wie sieht die aus?
Baukje Dobberstein: In meiner Utopie bekommen alle Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen, also monatlich Geld vom Staat – unabhängig davon, ob sie arbeiten, was sie arbeiten oder wie viel sie besitzen. Dadurch hätte jeder die Freiheit, das zu machen, was er selbst für richtig hält. Im Moment unterliegen die Menschen einfach zu vielen Zwängen. Als Hausärztin beobachte ich das täglich.
Was beobachtest du da genau?
Patienten nehmen sich nicht mehr die Zeit, Krankheiten richtig auszukurieren. Viele Menschen würden wesentlich gesünder leben, wenn sie nicht durch ihre Arbeit permanent gestresst wären. Sie machen Jobs, die ihnen gesundheitlich überhaupt nicht guttun, trauen sich aber nicht, damit aufzuhören, weil sie dann von Armut bedroht wären. Wenn ich Patienten rate, beruflich kürzer zu treten oder sich einen anderen Job zu suchen, höre ich: „Wer zahlt dann meine Miete?“ oder „Wie soll ich dann meine Familie ernähren?“. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde das ändern.
Wie reagieren Leute, wenn du von deiner Utopie erzählst? Sagen die: Du spinnst doch?
Manche fallen einem um den Hals, andere sind ablehnend oder skeptisch. Oft höre ich: „Die Menschen können mit dem Geld, das du ihnen geben willst, doch gar nicht umgehen!“ Das erinnert mich an die Aufklärung. Da hat man auch gesagt: „Demokratie und Wahlrecht – also für jeden jetzt? Das können die Mägde und Knechte doch gar nicht, die sind mit solchen Entscheidungen überfordert!“ Für mich wäre das Grundeinkommen eine Aufklärung 2.0!
Mehr Utopie: Tobi lebt in einer WG, die den Kapitalismus abschaffen will:
Nun ja, es könnte ja schon sein, dass einige Menschen faul auf dem Sofa abhängen, wenn sie für ihr Geld nicht mehr arbeiten müssen …
Warum müssen wir Menschen vorschreiben, was sie mit ihrem Leben anfangen? Die meisten Leute mögen ihre Arbeit und würden sicherlich weiter arbeiten, dann aber vielleicht ein paar Stunden weniger und nicht so sehr unter Leistungsdruck. Außerdem werden durch die Digitalisierung ohnehin sehr viele Arbeitsplätze wegfallen und von Maschinen übernommen. Und dann gibt es viele Leute, die zum Beispiel gerne ihre Eltern pflegen würden, es sich aber zeitlich nicht leisten können. Mit einem Grundeinkommen hätten sie die Zeit und zusätzlich für sich und die demente Mutter noch ordentliches Geld obendrauf.
Du stehst in Niedersachsen auf Listenplatz 4 der neuen Partei „Bündnis Grundeinkommen“, die dieses Jahr zur Bundestagswahl antritt. Wo will deine Partei das ganze Geld für das Grundeinkommen herkommen? Wollt ihr eine Reichensteuer?
Es gibt verschiedene Ideen und Steuermodelle, wie man das Geld umverteilen könnte, die wir gerade im „Bündnis Grundeinkommen“ diskutieren. Außerdem würden soziale Sicherungssysteme wie Hartz IV wegfallen, auch dadurch wird Geld frei. Aber meine Partei hat sich da nicht festgelegt, weil es sehr kompliziert ist, die beste Lösung zu berechnen.
Wie hoch soll das Grundeinkommen genau sein?
Auch da debattieren wir verschiedene Modelle. Auf jeden Fall soll es so viel sein, dass es zum Leben reicht. Wichtig ist uns auch, dass wirklich jeder ein Anrecht darauf hat, egal wie arm oder reich er ist, und dass man keine Gegenleistung dafür erbringen muss.
Wieso habt ihr nur für dieses Thema eine eigene Partei gegründet?
Am liebsten hätten wir eine Volksabstimmung zum Thema gemacht – so wie das in der Schweiz war. Allerdings sind bundesweite Volksabstimmungen hierzulande ja nicht erlaubt, deshalb gab es nur den Weg über die Partei.
Du könntest dich aber ja auch in einer anderen Partei für dieses Thema einsetzen.
Ich glaube, wir bringen das Thema schneller nach vorne, wenn wir außerhalb der etablierten Parteien aktiv sind. Wenn jemand unserer Ein-Themen-Partei seine Stimme gibt, dann ist eindeutig: Diese Person will das Grundeinkommen und wenn das viele Menschen wollen, können die anderen Parteien das nicht einfach ignorieren.
Warst du vorher auch schon politisch aktiv?
Nein, gar nicht! Das Hauen und Stechen, das Einflussgerangel um Macht und das Klischee der Ellbogenkultur innerhalb der Parteien hat mich immer abgeschreckt. Ich bin Hausärztin und Therapeutin – ich gehe lieber sanfte Wege, statt meine Gegner aus dem Ring zu räumen. Aber dieses Thema ist mir so wichtig, dass ich mich überwunden habe, in das Haufischbecken Politik zu springen, nachdem ich einen Artikel über diese Partei gelesen hatte.
Arbeitsministerin Andrea Nahles hat kürzlich über das bedingungslose Grundeinkommen sinngemäß gesagt: Wenn es das Grundeinkommen gibt, freuen sich die Arbeitgeber und kürzen die Gehälter. Nimmt ein Grundeinkommen nicht die Unternehmen aus der Verantwortung?
Übernehmen diese Unternehmen denn heute die Verantwortung für die Existenz der Menschen? Warum leben so viele Menschen dann unterhalb des Existenzminimums? Ich will hier nicht alle Unternehmen in einen Topf schmeißen, aber es gibt so viele Leute, die Leiharbeit machen, Kombilöhne haben oder mit Hartz-IV aufstocken müssen. Ich glaube fest daran, dass das Grundeinkommen uns als Arbeitnehmern eine bessere Verhandlungsposition verschafft – und zwar nicht nur für bessere Löhne, sondern auch für faire Rahmenbedingungen. Gewerkschaften und Politiker wie Frau Nahles haben dann vielleicht weniger Einfluss auf die Unternehmen, weil sie weniger Druck ausüben können. Aber der Einzelne hat dadurch mehr Macht.
Die CDU wirbt im Wahlkampf mit „Deutschland geht es gut“ – was hältst du von diesem Satz?
Für alle, denen es nicht gut geht, ist dieser Satz ein Schlag ins Gesicht. Nach der Finanzkrise 2008 hätten wir einmal ernsthaft in Frage stellen sollen, ob man vom Bruttoinlandsprodukt auf das Wohlbefinden der Bevölkerung schließen kann. Nur weil es in der Wirtschaft gut läuft, geht es doch den Menschen nicht automatisch gut. Bei der Aussage misst die CDU die falschen Parameter.
Du schreibst auf deinem Blog, du kannst den Protest von AfD-Wählern und Pegida-Teilnehmern verstehen – viele hätten einfach Existenzängste., weil der Staat sie alleine lässt. Ein Grundeinkommen würde da helfen. Wie meinst du das? Glaubst du, der Unmut hat wirklich nur damit zu tun und nicht mit Flüchtlingen oder dem Islam?
Natürlich nicht nur, aber auch. Es heißt ja zum Beispiel oft: „Ich finde es ungerecht, dass Flüchtlinge einfach so Geld bekommen und so hofiert werden.“ Das ist natürlich viel komplexer, aber wenn es jemandem nicht gut geht und er das Gefühl hat nicht gehört zu werden, richtet sich diese Unzufriedenheit gegen den Nächstschwächeren. Und was den Islam angeht: Der spielt, denke ich, nur auf der Oberfläche eine Rolle, ich bezweifle, dass er die Ursache ist.
Definieren wir uns aus deiner Sicht zu sehr über unsere Arbeit?
Ja. Beim Small Talk mit neuen Bekanntschaften ist die erste Frage oft: „Und was machst du so?“ Ich habe da mal ein kleines Experiment gemacht und gesagt: „Ich bin Hausfrau und Mutter.“ Ich wurde dann ganz irritiert angeguckt, als ob ich nicht arbeiten gehen würde. Alle sagen zwar immer, die Familie sei das Wichtigste im Leben, aber am Ende reden wir nur über den Job. Natürlich kann Arbeit identitätsstiftend sein. Aber es sind nicht nur die Tätigkeiten wertvoll, mit denen wir Geld verdienen. Vielleicht würden wir mit einem Grundeinkommen auf die Partyfrage auch antworten: „Ich bin Gärtnerin“ – obwohl das nur mein Hobby ist.
Du arbeitest nicht nur als Hausärztin, sondern auch als Psychotherapeutin. Wenn Deutschland bei dir auf der Couch läge, welche Diagnose würdest du dem Land geben?
Spontan würde ich sagen: Angst. Angst ist an sich ja nichts Krankes, aber zu viel Angst ist krank. Ich finde diese Angst bei Deutschland auf verschiedenen Ebenen: Existenzangst genauso wie Angst vor Terror, Angst vor Fremden, Angst vor Veränderung. Die Deutschen sind ein Volk, das sehr viele Versicherungen abschließt, sehr viele Befürchtungen hegt. Sie haben ein großes Misstrauen gegenüber der Politik. Und dabei verweilen viele Deutsche lieber in ihrer Schockstarre, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass sich ihre Situation verschlechtert, wenn sich etwas verändert. Wir brauchen dringend positive Visionen, mit denen wir uns trauen, in die Zukunft zu steuern Mit dem Grundeinkommen haben wir endlich mal ein Thema am Start, das für und nicht gegen etwas ist.
*Lisa Altmeier und Steffi Fetz sind die Crowdspondent-Reporterinnen. Sie sind mit der Kamera durch Deutschland gereist, um unterschiedliche Menschen zu treffen und zu fragen:
Was ist los mit dir, Deutschland?
Denn dieses Land hat sich in den vergangenen Jahren ziemlich verändert: Die Diskussionskultur ist rauer geworden, die politische Stimmung ist aufgeheizt. Und dieses Jahr ist auch noch Bundestagswahl.
Die beiden Reporterinnen haben sich deshalb für ihr Rechercheprojekt „Crowdspondent - Deine Reporter“ von ihren Usern zehn politische Themen vorgeben lassen, mit denen sie sich auf ihrer Reise auseinandergesetzt haben. Die Themenliste und alle bislang erschienenen Filme der Reihe findest du hier.
Das Konzept beruht darauf, dass nicht eine Redaktion die Themen vorgibt, sondern die Zuschauer und Leser. Die Crowd ist der Boss. Deshalb freuen sich die Reporterinnen auch sehr über euer Feedback.
Rückmeldungen gerne hier in den Kommentaren, an info@crowdspondent.de, per Facebook,Twitter oder wo auch immer ihr euch im Internet herumtreibt.