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In Chemnitz kämpfen nicht Linke gegen Rechte, sondern die Mitte gegen Rechts
Sonntagnacht wurde in Chemnitz ein Mann erstochen, tatverdächtig sind ein Syrer und ein Iraker. Nun, so titelt ein Großteil deutscher Medien, tobe dort deshalb ein Kampf zwischen Rechten und Linken. Glaubt man diesen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern, dann reagiert also gerade der eine radikale Teil der Gesellschaft auf die Ausschreitungen des anderen. Dabei ist das gar nicht der Fall.
Denn in Chemnitz ging und geht es nicht um einen Kampf von Rechts gegen Links. Es geht um einen Kampf Rechtsradikaler gegen alle anderen Deutschen. Denn kein Deutscher, der nicht selbst radikale rechte Ideologien teilt, kann damit einverstanden sein, was gerade in Chemnitz passiert:
Damit, dass Rechtsextreme Jagd auf Menschen machen, weil deren Herkunft, Religion oder Überzeugung nicht mit ihrer eigenen übereinstimmt. Damit, dass im rechten Lager Plakate hochgehalten werden, die drohen „Wir sind bunt, bis das Blut spritzt“ oder pauschal behaupten „Multikulti tötet“. Damit, dass in einer Menge, in der viele betonen „Wir sind nicht rechts“, der Hitlergruß gezeigt wird. Damit, dass Journalisten, Gegendemonstranten und, wenn man ganz ehrlich ist, nicht einmal Polizisten sicher vor den Angriffen durch Neonazis sind.
Man muss nicht links sein, um sich Neonazis entgegenzustellen – sondern nur ein Mensch mit Anstand
Man muss nicht links sein, um sich diesen Gräueln entgegenstellen zu wollen. Man muss nur ein Mensch mit Anstand sein. Einer, der demokratische Werte teilt und Grundrechten etwas abgewinnen kann. Natürlich gibt es Linke und sogar gewaltbereite Linksextreme unter den Gegendemonstranten. Aber ebenso stellen sich Menschen aus der Mitte den Rechtsradikalen entgegen: Sozialdemokraten, Liberale, Konservative. Die Mehrheit der Deutschen.
Zugegeben: Diese „Mehrheit“ wirkte in ihrer Zahl vergleichsweise eher kümmerlich, wenn man nur betrachtet, wer sich am Montag auf die Straßen von Chemnitz wagte. Das Lager der Gegendemonstranten bestand zwar aus rund 1000 Menschen, doch auf der anderen Seite, wenige Meter weiter, sammelte sich die Wut von rund fünfmal so vielen Rechtsextremen. Die rechte „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“ hatte bundesweit zur Teilnahme an ihrer Kundgebung aufgerufen.
Dass viele eigentliche Gegner nicht zur Gegendemonstration am Montag kamen, kann auch damit zu tun haben, dass einige sich vielleicht gar nicht trauten. Schließlich hatten die Rechtsradikalen schon am Sonntag gezeigt, dass sie vor körperlichen Angriffen nicht zurückschrecken. Und die Polizei, dass sie nicht genügend Beamte angefordert hatte, um eine Eskalation verhindern zu können.
Ein Linker schämt sich nicht, links zu sein
Doch alleine an den Reaktionen im Netz zeigt sich, was die meisten Deutschen von den Ereignissen in Chemnitz halten: Sie sind schockiert, fühlen sich durch die Streifzüge der Rechten und ihr Jagd auf Migranten an Pogrome erinnert, bezeichnen die Ereignisse der vergangenen Tage sogar als „rechtsradikalen Terror“. Sie fordern zu Gegendemonstrationen in anderen Städten und Spenden für den Sächsischen Flüchtlingsrat auf. Sie bitten um ein echtes Einschreiten der Politik. Viele sagen dabei immer wieder sinngemäß: „Übrigens, wir sind gar nicht alle links.“
Etwas, das man anerkennen und glauben kann. Denn erstens schämt sich ein Linker erfahrungsgemäß nicht, links zu sein. Zweitens reicht es schon aus, sich ideologisch nicht ganz am rechten Rand aufzuhalten, um rechtsradikal motivierte Straftaten schlimm zu finden.
Nicht glauben kann man dagegen solchen Menschen, die in die Kameras von Journalisten brüllen „Und wir sind nicht rechts“, während sie durch Chemnitz marschieren und zur Vertreibung aller Ausländer aus Deutschland aufrufen. Denn wer sich mit Neonazis zum Protest zusammentut, obwohl er beobachtet, wie sie den Hitlergruß machen, andere verbal und körperlich angreifen, ist rechts. So rechts, dass keiner, der Wert auf eine intakte Demokratie legt, das schweigend hinnehmen kann.