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Hungerstreik-Gruppe Coloured Rain: Für die Evakuierung griechischer Flüchtlingslager
Fast zwei Wochen ist es her, dass die 18-jährige Antonia etwas gegessen hat. Bei der 21-jährigen Ultraviolett – der Name ist ein Pseudonym – ist es eine Woche. Die Aktivistinnen sind Teil der Protestaktion „Coloured Rain”, die sich für die Evakuierung der Geflüchtetenlager in Griechenland und eine humanitäre Asylpolitik einsetzt. Für dieses Ziel befinden sich aktuell sechs Teilnehmende im Hungerstreik: vier Streikende in Landau, darunter Antonia, und zwei Streikende in Trier, darunter Ultraviolett.
Antonia befindet sich im Hungerstreik.
„Mit dem Hungerstreik wollen wir Druck auf die Politik ausüben”, sagt Antonia. Laut ihr habe die Gruppe den Hungerstreik als Form des Protests gewählt, weil es wegen der aktuellen Kontaktbeschränkungen nur begrenzte Möglichkeiten zu demonstrieren gebe. Außerdem sei diese Protestform ein sehr gutes Mittel, um Aufmerksamkeit auf ihr Anliegen zu lenken.
Das bestätigt zwar auch Oskar Fischer, der am Institut für Soziologie der LMU München unter anderem zu sozialen Bewegungen und Protesten forscht: „Ein derartiger Hungerstreik erregt Aufmerksamkeit und stellt eine Möglichkeit dar, Solidarität in der Bevölkerung zu
erwecken.” Er sagt aber auch: „Dass die Politik den Forderungen von Hungerstreikenden nachkommt, kommt selten vor. Effektiver wäre beispielsweise die Streikform der Arbeitsverweigerung, da diese große ökonomische Konsequenzen hat und nicht isoliert ist.” Da viele der Streikenden noch zur Schule gehen oder studieren, fällt diese Möglichkeit im Falle der Protestgruppe „Coloured Rain“ allerdings weg.
Ziel des Hungerstreiks sei es aber auch nicht, sich so sehr zu gefährden, dass gesundheitliche Schäden entstehen
Oskar Fischer forscht am Institut für Soziologie der LMU München zu sozialen Bewegungen und Protesten.
Obwohl die Streikenden seit Tagen nur Wasser und gelegentlich Brühe oder Säfte zu sich nehmen, wirken sie im Videochat aufgeweckt und gut gelaunt. „Ich bin erstaunlich fit und aufnahmefähig”, sagt Ultraviolett. Ziel des Hungerstreiks sei aber auch nicht, sich so sehr zu gefährden, dass gesundheitliche Schäden entstehen. Deswegen haben die Streikenden auch regelmäßigen Kontakt zu Ärzt*innen, was laut Fischer bei derartigen Hungerstreiks häufiger der Fall sei. „Manche Hungerstreiks lassen sich ärztlich begleiten”, sagt er. „Bricht jemand dann wirklich zusammen, wird die Person im Normalfall angemessen medizinisch versorgt.” Es gebe allerdings auch Situationen, in denen eine ärztliche Begleitung nicht möglich ist, beispielsweise in Gefangenschaft.
Wichtig sei der Gruppe, dass nicht der Hungerstreik im Vordergrund steht, sondern die konkreten Forderungen der Aktivist*innen an die Politik. Das erklärt die 18-jährige Clara, die die Aktion Ende April gemeinsam mit einer anderen Aktivistin initiiert hat und sich selbst fast zwei Wochen lang im Hungerstreik befand. „Wir finden, dass die Bundesregierung eine
humanitäre Asylpolitik gerade blockiert”, sagt sie. „Aber es besteht die Möglichkeit, dass einzelne Bundesländer Menschen aufnehmen. Das ist eine unserer Forderungen.” Zu den weiteren Forderungen zählen unter anderem eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten anstatt von Massenlagern, die Schaffung von sicheren Fluchtwegen und die
Entkriminalisierung von Seenotrettung.
„Die Tradition kommt ursprünglich aus den Gefängnissen, schließlich haben die Menschen dort kein anderes Druckmittel als ihre eigenen Körper”
Die 18-jährige Clara (rechts) hat die Aktion gemeinsam mit Lovisa (links) initiiert.
„Mit den Eltern der Streikenden gibt es viele Diskussionen”, sagt Clara. Viele machten sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Kinder. „Aber im Allgemeinen unterstützen sie uns.” Die Reaktionen auf Social Media fallen laut Ultraviolett gemischt aus: „Dort findet sich so ziemlich alles – von rassistischen Äußerungen und Todeswünschen bis zu Solidaritätserklärungen und positiven Reaktionen auf unser Anliegen.” Kritik habe es vor allem an dem Slogan „They Need Us” gegeben, der für viele Erinnerungen an die Kolonialzeit geweckt habe. Der Slogan weise nämlich Ähnlichkeiten mit der damaligen Ansicht auf, dass die Kolonien die Kolonialmächte bräuchten, um sich von ihnen zivilisieren und entwickeln zu lassen. Auch wurde kritisiert (unter anderem von der Tageszeitung Taz), dass sich die Streikenden als weiße und gebildete Jugendliche in einer privilegierten Situation befänden, ein Hungerstreik jedoch eine Protestform für Menschen sei, die keine andere Option haben. „Einen Hungerstreik wählt man normalerweise, weil man keine andere
Möglichkeit sieht”, sagt auch Fischer. „Die Tradition kommt ursprünglich aus den Gefängnissen, schließlich haben die Menschen dort kein anderes Druckmittel als ihre eigenen Körper.”
Wie Clara erklärt, waren die Kritikpunkte der Gruppe im Voraus nicht bewusst. Die Aktivist*innen finden die Kritik an ihnen berechtigt – für den Slogan haben sie sich bereits in einem Instagram-Post entschuldigt. Um die Perspektive der Menschen, für deren Rechte sie sich einsetzen, so gut wie möglich in die Aktion miteinfließen zu lassen, stehen die Teilnehmenden mittlerweile in regelmäßigem Kontakt zu Menschen im Flüchtlingscamp Moria. Und auch die Forderungen der Gruppe wurden in Zusammenarbeit mit einer Asyl-Expertin anhand der Erfahrungsberichte von Geflüchteten ausgearbeitet. „Wir wissen, dass wir noch viel falsch machen”, sagt Clara. „Aber wir lernen als Bewegung stetig dazu.”
Laut den Aktivistinnen soll der Hungerstreik noch bis Ende der Woche weitergehen – bis sie am Montag einen Protestmarsch von etwa 100 Kilometern antreten wollen. Geplant sei, in einer Gruppe von etwa zehn Menschen von Landau nach Mainz zu laufen, um dort ihre Forderungen an die Politik zu überbringen. „Wir möchten andere Menschen nicht dazu
auffordern, sich uns anzuschließen”, sagt Clara. „Stattdessen werden wir auf dem Weg Mahnwachen und Kundgebungen halten.” Sie schätzt, dass sie etwa eine Woche unterwegs sein werden – Unterkünfte habe die Gruppe bereits angefragt. „Wir wollen uns auch nach dem Hungerstreik für mehr Solidarität und für eine humanitäre Asylpolitik einsetzen”, sagen
die Aktivistinnen. „Und wir wollen die Politik dazu aufrufen, ihre Verantwortung für die Geflüchteten nicht länger zu ignorieren.”