- • Startseite
- • Politik
-
•
Hongkong: Auswirkungen des neuen Sicherheitsgesetzes
„Junge Menschen in Hongkong werden ihre Einstellungen sicher nicht so leicht ändern”
In einigen Restaurants und Cafés in Hongkong hängen leere Zettel an den Wänden. Sie ersetzen die bisherigen Plakate, die ein demokratisches Hongkong forderten. Seitdem das nationale Sicherheitsgesetz am 30. Juni von der Kommunistischen Partei Chinas verabschiedet worden ist, ist die Angst vor Repressionen groß. Das Gesetz gilt seit dem 1. Juli und soll Straftatbestände wie Separatismus, Umsturz der Staatsgewalt, terroristische Aktivitäten und Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften ahnden. Allerdings ist es schwammig formuliert, sodass willkürliche und politisch motivierte Strafverfolgungen möglich sind. Zudem wurde ein Gremium eingeführt, das Peking direkt unterstellt ist und die Gerichtsverfahren zur nationalen Sicherheit sind nicht mehr öffentlich. Das Gesetz trifft besonders die Demokratiebewegungen Hongkongs, die vor allem von jungen Menschen angeführt wurden. Es gab bereits Verhaftungen, die Unsicherheit unter jungen Hongkonger*innen ist groß und der politische Verfolgungsdruck belastet die freie Meinungsäußerung stark.
Im Interview mit jetzt erklärt Katja Drinhausen, Analystin bei der Berliner Denkfabrik MERICS (Mercator Institute for China Studies), was das Gesetz für junge Hongkonger*innen bedeutet und warum weitere Proteste zu erwarten sind.
jetzt: Was ist am neuen nationalen Sicherheitsgesetz aus Ihrer Sicht besonders problematisch?
Katja Drinhausen: Dadurch dass die Begriffe im Gesetzestext äußerst schwammig definiert sind, besteht die Sorge, dass bereits Interviews mit ausländischen Medien oder die Weitergabe von Informationen an Menschenrechtsorganisationen als Straftatbestand gelten könnten. Das Gesetz leitet außerdem institutionelle Veränderungen ein. Regierungschefin Carrie Lam kann nun etwa entscheiden, welche Fälle die nationale Sicherheit betreffen und ohne Gerichtsbeschluss die Überwachung von Kommunikation oder Durchsuchungen anordnen. Bezeichnend ist auch der lange Arm des Gesetzes, denn es gilt nicht nur für Hongkonger*innen. Auch was wir in Deutschland sagen und tun, kann bei einer Einreise nach Festlandchina oder Hongkong gegen uns verwendet werden.
Direkt nach dem Inkrafttreten des neuen Sicherheitsgesetzes gab es Protest dagegen – auch von vielen jungen Menschen. Warum protestieren vor allem junge Menschen gegen das Gesetz?
Junge Menschen in Hongkong sind in einem sehr liberalen politischen System sozialisiert worden, mit dem Versprechen, dass es unter dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ irgendwann freie Wahlen geben wird. Die jetzige Situation ist, als ob die Uhr zurückgedreht würde zu einem autoritären System. Das Recht zu protestieren wird ebenso eingeschränkt wie das Recht auf freie Meinungsäußerung. An den Universitäten gibt es bereits erste Rundbriefe, die davor warnen, keine kontroversen politischen Themen öffentlich zu debattieren. Und das ist nur der Anfang. Junge Menschen in Deutschland würden vermutlich auch protestieren, wenn ihnen auf einmal viele Freiheiten genommen würden, mit denen sie aufgewachsen sind.
Katja Drinhausen ist Analystin bei der Berliner Denkfabrik MERICS (Mercator Institute for China Studies)
Was erhofft sich die chinesische Regierung Ihrer Einschätzung nach von dem Gesetz?
Zunächst einmal die Möglichkeit, hart durchzugreifen, um die Proteste in Hongkong endgültig einzudämmen. Dass Äußerungen und Handlungen kriminalisiert werden und bis zu lebenslänglicher Haft droht, soll Aktivist*innen abschrecken. Es ist auch nicht nur das Gesetz allein, Regierungschefin Lam hat weitreichende Reformen im Bildungsbereich angekündigt. An Schulen soll das Fach „Liberal Studies“, eine Art Gemeinschaftskunde, durch Unterrichtseinheiten zu „nationaler Sicherheit“ und „patriotischer Erziehung“ ersetzt werden. Die Vorstellung der Pekinger Führung ist: Wenn man den Hongkonger*innen abweichende politische Vorstellungen austreibt, mit Gesetzen und ideologischer Erziehung, dann lassen sie sich in ihr Ideal einer chinesischen Gesellschaft eingliedern. Die Kommunistische Partei versucht, jungen Menschen die Aufgabe von Freiheiten mit wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten schmackhaft zu machen.
„Peking möchte durch Bildung und politische Kontrolle letztlich Hongkongs Identität umbauen“
Welche Rolle spielt bei der Diskussion die eigene Identität der Hongkonger*innen?
Umfragen zufolge ist die Identifikation junger Menschen in Hongkong als Chines*innen und Bürger*innen der Volksrepublik an einem absoluten Tiefpunkt. Sie sehen sich primär als Hongkonger*innen. Genau das soll sich ändern, denn diese starke lokale Identität wird als Nährboden für Hongkongs Autonomiebestrebungen gesehen. Insgesamt ist die Politik des Festlands von einer zunehmenden Intoleranz gegenüber starken regionalen und ethnischen Identitäten geprägt. Peking möchte durch Bildung und politische Kontrolle letztlich Hongkongs Identität umbauen.
Wie soll das neue Gesetz diese Identität beeinflussen?
Das Gesetz soll als „Antivirus-Software“ funktionieren, indem es über die Verfolgung von Terrorismus und Umsturzversuchen hinausgeht und erlaubt, auch Meinungsäußerungen zu sanktionieren. Die Köpfe sollen „richtig justiert“ werden hin zu einer Akzeptanz und Loyalität gegenüber der Kommunistischen Partei Chinas. Doch junge Menschen in Hongkong werden ihre Einstellungen sicher nicht so leicht ändern. Deswegen ist damit zu rechnen, dass in den kommenden Jahren zunehmende Kontrollinstrumente geschaffen werden, beispielsweise durch Medien- und Internetzensur.
Inwiefern sind bereits Konsequenzen aus dem neuen Gesetz zu spüren?
Einer der bekannten Protestsprüche war „Liberate Hong Kong, revolution of our times!“. Dieser Spruch gilt jetzt als Aufruf zu Unabhängigkeit und wurde verboten. Es gibt bereits erste Festnahmen – auch junger Menschen. Damit setzt sich die Entwicklung des letzten Jahres fort. Annähernd 9000 Protestierende wurden zwischen Juni 2019 and Mai 2020 festgenommen, darunter 1700 Schüler*innen unter 18 Jahren.
„Einige Mitglieder politischer Oppositionsgruppen haben sich bereits ins Exil begeben“
Gibt es Strategien junger Hongkonger*innen, mit den Einschränkungen umzugehen?
Die Protestierenden haben immer wieder Anpassungsfähigkeit bewiesen. Gerade werden beispielsweise statt Bannern oft unbeschriebene Blätter hochgehalten. Jeder weiß, was darauf zu lesen sein sollte, aber mit weißem Papier macht man sich nicht strafbar. Außerdem haben die Menschen aus den vorherigen Protestbewegungen gelernt und sind, trotz bekannter Fürsprecher wie Joshua Wong, dezentral organisiert. Die Netzwerke der Zivilgesellschaft, die im vergangenen Jahr Aktivist*innen mit Geld, Essen und Verbandsmaterialien oder Schutz gegen Tränengas versorgten, bestehen erst mal fort. Trotz der Einschränkungen wird es auch neue Formen des Protests geben, wobei immer die Gefahr der Eskalation und harten Niederschlagung besteht.
Großbritannien hat angeboten, Hongkonger*innen Asyl zu bieten. Wird es eine Zunahme junger Menschen geben, die ins Exil gehen werden?
Das ist zu erwarten. Die großen Proteste im vergangenen Jahr richteten sich gegen die – letztlich erfolglose – Revision der Auslieferungsgesetze, weil viele Hongkonger*innen befürchteten, nach China ausgeliefert werden zu können. Das neue Sicherheitsgesetz geht jedoch viel weiter und erlaubt dies nun explizit. Einige Mitglieder politischer Oppositionsgruppen haben sich bereits ins Exil begeben und engagieren sich teils dort weiter, andere haben gesagt, sie werden bleiben, um weiter für ein freiheitliches Hongkong zu kämpfen. Doch diese Wahl hat nicht jede*r, denn Auswandern ist teuer.