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Dieses Projekt zeigt Menschen, die sich in Sachsen gegen rechts engagieren

Martin Neuhof wird selbst immer wieder angefeindet.
Foto: Martin Neuhof

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Freital, 2015: Martin Neuhof weiß noch genau, wie er mit etwa 100 anderen Aktivisten in die

40 000-Einwohner-Stadt südwestlich von Dresden fährt, um Spenden in ein Flüchtlingsheim zu bringen. Auf der einen Seite die Geflüchteten, die Antilopen Gang spielt ein Gratis-Konzert. Wenige Meter entfernt: Rechte, die skandieren: „Wir wollen euch Ausländer hängen sehen.“ Auf der Rückfahrt machen sie an einer Tankstelle Halt, sind heilfroh, als alle wieder unversehrt im Auto sitzen. Es sind Erinnerungen wie diese, die dem heute 35-Jährigen immer wieder deutlich machen: Es muss sich was tun hier. Vor allem heute, ein halbes Jahr vor den Landtagswahlen in Sachsen.

Aktuellen Umfragen zufolge würde gerade jeder vierte Wahlberechtigte im Freistaat die AfD wählen. Dass die Partei in Sachsen regieren will, macht sie schon seit einer Weile mehr als deutlich. Fakt ist: Eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden, könnte ab Herbst ohne die AfD kompliziert werden. Diese Möglichkeit macht dem Fotografen Angst. Martin ist in Leipzig geboren, einige Jahre seiner Jugend lebte er in einem Dorf in der Nähe der Messestadt. „Ich weiß, wie es ist, wenn ein strammer Kamerad mit in der eigenen Klasse sitzt“, sagt er. Und er hat genau mitbekommen, wie die Stimmung kippte. „Das begann 2015. Plötzlich trauten sich die Menschen, rassistische Inhalte in den sozialen Medien zu posten oder auch im wahren Leben fremdenfeindliche Kommentare loszulassen“, erzählt Martin.

Der Leipziger will all den anderen eine Stimme geben.

Martin bekommt immer wieder Drohanrufe und Mails

Sein Projekt „Herzkampf“ stellt überwiegend Menschen aus Leipzig und Sachsen vor, die sich engagieren: gegen Rechts, Homophobie, Sexismus, Vorurteile. Seit Juli vergangenen Jahres präsentiert er auf seinem Blog und in den sozialen Medien jeden Mittwoch einen Aktivisten oder eine Aktivistin: zwei Bilder, dazu ein kleines Interview. Es ist mutig, sein Gesicht zu zeigen, das weiß er. Auch Martin hat schon Erfahrungen mit der Gegenseite gemacht, wurde immer wieder bedroht und beschimpft, denn er ist nicht erst seit ein paar Monaten politisch aktiv.

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Willie Wildgrube sagt: „Ich bin immer schon gegen Nazis engagiert.“

Foto: Martin Neuhof
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Die Leipziger Aktivistin Nhi Le Kämpft gegen den „scheinbar unaufhaltbaren Rechtsruck – und das an vielen verschiedenen Baustellen“, sagt sie.

Foto: Martin Neuhof
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Julia Purrmann unterstützt in Leipzig ehrenamtlich syrische Flüchtlingsfamilien.

Foto: Martin Neuhof
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mmerer Anne Kämmerer engagiert sich in Sachsen in der Initiative #PolizeigesetzStoppen.

Foto: Martin Neuhof
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Tobias Burdukat hat in Grimma das   „Dorf der Jugend“  gegründet. Und setzt sich jeden Tag für eine offene Gesellschaft ein.

Foto: Martin Neuhof

In seinem Studio in der Leipziger Innenstadt stapeln sich Bildbände, an der Wand hängen Polaroids, auf zwei großen Bildschirmen geht Martin gerade die Bilder des vergangenen „Herzkampf“-Shootings durch. Diesmal stellt er seinen Freund Marcel Nowicki vor, der mit ihm 2014 „No Legida“ gegründet hat. Vor kurzem startete Marcel mit einer Freundin den Podcast „Sachsennaht“. Dort sprechen sie über Sachsen, die Gesellschaft und Politik.

„Ich saß im Büro und dachte: Ich möchte nicht, dass wir Dresdner Verhältnisse haben. Ich möchte nicht, dass wir in Leipzig ein zweites Pegida bekommen“, erinnert sich Martin an die Zeit der „No-Legida“-Gründung. Kurz entschlossen erstellte er eine Facebook-Seite, lud seine Freunde ein – und wurde überrannt. Am Ende des Tages hatte die Seite 10 000 Fans. Er tat sich mit dem Grünen-Politiker und Anwalt Jürgen Kasek und dem Aktivisten Marcel Nowicki zusammen. Sie tauchten immer tiefer in die politische Arbeit ein, informierten auf ihrer Facebook-Seite über die Gegendemos. „Das waren krasse Jahre“ sagt Martin rückblickend.

Zur ersten Legida-Demo – es versammelten sich etwa 3000 „besorgte Bürger“ – kamen 30 000 Gegendemonstranten. „Das war ein wahnsinnig starkes Gefühl und hat mir gezeigt, dass jeder aktiv sein kann.“ Mit Legida ist es vorbei, kurz vor der vergangenen Bundestagswahl liefen sie ein letztes Mal, 3000 Gegendemonstranten stellten sich etwa 200 Flüchtlingsgegnern entgegen. Doch das Ende von Legida bedeutet nicht das Ende von rechtsnationalen Ressentiments im Freistaat Sachsen.

Auch heute wird Martin immer wieder angefeindet. „Am Anfang wollte ich als No-Legida-Gründer nicht öffentlich sein, aber irgendwann kam mein Name dann doch raus. Kurze Zeit später war mein Auto komplett zerkratzt. Kann ein Zufall sein, ist aber eher unwahrscheinlich“, sagt Martin. Sein Name taucht immer wieder in rechten Foren auf, er bekommt Drohmails und vereinzelt Anrufe, auch heute noch ab und zu. „Ich kann das aber ganz gut wegdrücken, ich lass das nicht so an mich ran.“ Er weiß, dass die politische Arbeit zu wichtig ist, um sich einschüchtern zu lassen. Denn er kennt seine Heimat zu gut. „Ich glaube, dass in Sachsen sehr viele links eingestellte Menschen bei Familienfeiern ein Problem haben. Aktivismus fängt für mich schon damit an, rassistische Kommentare nicht stehen zu lassen, sondern aufzustehen und was zu sagen.“

„Herzkampf“ stellt lokal bekannte Aktivisten und Politiker wie Jürgen Kasek, Juliane Nagel oder Nhi Le genauso vor wie Menschen, die sich fernab der Öffentlichkeit engagieren. „Eine enge Freundin von mir unterstützt seit 2015 zwei Flüchtlingsfamilien, begleitet jeden Gang zum Arzt und zum Amt. Das wusste fast niemand. Plötzlich wurde sie von allen angesprochen“, erzählt Martin. Er möchte mit „Herzkampf“ auch dazu motivieren, sich selbst zu engagieren.

Vor den Wahlen will Martin so viele Menschen wie möglich erreichen

Martins Traum: Eine Ausstellung seiner Bilder, die durch Sachsen tourt, in Leipzig und Dresden zu sehen ist, aber auch in Orten wie Bautzen, Wurzen und Pirna. In „braunen Nestern“, wie sie von vielen genannt werden. Das Problem: Dieses Projekt kostet Zeit und Geld. Pro Woche steckt Martin derzeit etwa einen Arbeitstag in „Herzkampf“, mehr ist momentan nicht drin. Auf seiner Website können Menschen via Paypal Geld spenden, im Moment kommen pro Monat etwa 90 Euro zusammen. „Das sind schon mal anderthalb Tankfüllungen, immerhin“, sagt er. Auch auf Fördergelder hat er sich beworben, am liebsten würde er jeden Tag ein Profil veröffentlichen: „Es gibt extrem viele Menschen, die es wert wären, vorgestellt zu werden.“

Deswegen möchte er vor den anstehenden Landtagswahlen so viele Menschen wie möglich erreichen, den ein oder anderen vielleicht zum Umdenken bewegen. Er sagt: „Mir ist Hautfarbe egal, mir ist Religion egal. Die Menschen sollen einfach friedlich miteinander leben, egal woher sie kommen, welche Sprache sie sprechen, welche Sexualität sie ausleben. Aber wenn das kein Konsens ist, wo leben wir denn dann?“

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