- • Startseite
- • Politik
-
•
Hanau: Gedenkort für Opfer des rechtsextremen Terroranschlags
Sie wollen, dass der rechtsextreme Terroranschlag in Hanau nicht vergessen wird, vor allem keines der Opfer: Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Hamza Kurtović, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Dafür, dass sich die Gesellschaft weiter an sie erinnert, setzt sich die Initiative „19. Februar“ ein, die in den Tagen nach dem Mordanschlag entstanden ist. In dieser Woche hat sie dafür einen Gedenkort in der hessischen Stadt eröffnet – am Heumarkt, direkt gegenüber des ersten Tatorts.
„Durch das große Fenster schaut man direkt auf die Shisha-Bar“, erzählt Seda Ardal am Telefon. Die 30-Jährige ist gebürtige Hanauerin, sie wuchs in Kesselstadt auf, in dem Hanauer Stadtteil, in dem der zweite Tatort des Anschlags vom 19. Februar liegt. Heute wohnt sie in Offenbach. Gerade ist sie dennoch jeden Tag in Hanau, denn der Gedenkort liegt ihr am Herzen. Der Laden ist 140 Quadratmeter groß, er soll Ort der Begegnung sein, aber auch eine Mahnung. „Wir wollen mit dem Laden das Stadtbild nachhaltig prägen, nachhaltiger, als es Kerzen und Blumen tun können.“
Der Laden soll ein Treffpunkt für die Angehörigen der Opfer sein.
Am Dienstag wurde der Gedenkort eröffnet.
Der Initiative ist vor allem eines wichtig: dass nicht vergessen wird.
Die Gesichter der Opfer sollen im Laden sehr präsent sein.
Der Ort ist offen für alle, soll vor allem aber den Familien der Opfer Raum zum Trauern geben und sie zusammenbringen: „Viele von ihnen kannten sich schon vorher, da einige Opfer eng befreundet waren“, erzählt Seda. Im Laden stehen verschiedene Sitzecken, dazu gibt es eine abgetrennte Gedenkecke mit den Fotos der Opfer. Bald sollen ihre Gesichter auch von einer Künstlerin an die Wand gemalt werden.
Die größte Angst der Angehörigen ist das Vergessen
Außerdem gibt es ein kleines, privates Büro zum Planen und Organisieren, und, ganz wichtig, eine Küche: „Wir kochen zusammen, wir essen zusammen. Unsere Tür steht immer offen“, sagt Seda. Seit dem 1. April haben sie den Laden, am Dienstag wurde die Eröffnung gefeiert. Die Miete finanziert sich komplett über Spenden. „Es kommen ständig Menschen vorbei. Der Raum ist aber noch lange nicht fertig“, sagt Seda. Viele fragen, ob sie helfen können.
Wichtig ist der Initiative vor allem, dass dort die Wünsche der Angehörigen Raum finden – und ihre Forderungen Gehör. „Der Raum hilft vielen Angehörigen auch, sich in ihrer Trauer zu beschäftigen. Sie können etwas Neues gestalten, es ist wichtig, dass sie beteiligt sind.“ Manche von ihnen kommen jeden Tag vorbei. „Der Bruder von Gökhan hat gesagt, er habe das Gefühl, hier das Zuhause seines Bruders gefunden zu haben.“
Auch Fotos erinnern an die Menschen, die aus rassistischen Motiven ermordet wurden.
Zusammenkommen und reden – der Gedenkort ist ein Ort der Begegnung.
Um die Miete zahlen zu können, ist die Initiative auf Spenden angewiesen.
Im Laden wird auch zusammen gekocht und gegessen.
Ihre größte Sorge? Das Vergessen. „Durch die Corona-Krise war der Anschlag für viele schnell wieder vergessen, andere Dinge wurden wichtiger“, sagt Seda. Von der Politik sind die Angehörigen und die Mitglieder der Initiative enttäuscht: „Die Ermittlungen stocken derzeit, es sind noch so viele Fragen offen. Wieso hatte der Täter einen Waffenschein? Wieso war die Polizei erst so spät am zweiten Tatort? Wir wollen Antworten, und es kommt so gut wie nichts.“ Seda fordert, dass „Behörden und Institutionen endlich ordentlich entnazifiziert werden, dass das Märchen vom Einzeltäter nicht weiter erzählt wird. Als wäre es nicht schon schlimm genug, ein Kind zu verlieren – dann wird man auch noch vom Staat komplett im Stich gelassen.“
Deswegen will der Ort durch seine alleinige Präsenz noch etwas anderes: Druck ausüben auf Entscheidungsträger*innen in Politik und Gesellschaft. „Nach dem Anschlag wurde viel geredet, aber es ist wenig passiert“, sagt Seda. Der Laden soll nun auch Mahnung sein und zeigen, dass die Angehörigen eines nicht zulassen wollen: Dass es bei einer Betroffenheit ohne konkrete Folgen bleibt.