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Aktivisten plakatieren Bilder von Seenotrettung auf dem Mittelmeer

Foto: deadcalm

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Kurz vor der Station „Messe Ost“ blitzt ein Bild auf. Denn dort, im U-Bahn-Tunnel der Linie 6, hängt die lebensgroße Fotografie einer Wasserleiche. Die U-Bahn fährt hier circa 50 km/h. Zu schnell, um lange auf das Szenario starren zu müssen, aber langsam genug, dass sich das Bild des mit dem Kopf nach unten treibenden, aufgequollenen Körpers in die Netzhaut einbrennt und den Betrachter irritiert.    

Das Bild ist Teil einer Reihe mit 27 großformatigen Motiven, die entlang der U-Bahn-Strecke zu einem der bekanntesten Fotofestivals, dem Lumix-Festival in Hannover, hängen. Aber nicht, um dafür zu werben, sondern, um es zu kritisieren. Die in einer Guerilla-Aktion in der Nacht zum Donnerstag aufgehangenen Plakate zeigen Szenarien, die an Bord der Seenotrettungsschiffe Iuventa, Sea-Watch und Aquarius von acht verschiedenen Fotografen aufgenommen wurden: betende Menschen, eine Leuchtrakete über dem tiefschwarzen Wasser, dramatische Rettungsaktionen von Geflüchteten, die in Booten auf dem Mittelmeer treiben.

Das Drama, das sich täglich so nah an unserer Lebenswelt abspielt, fehlt in der Festival-Auswahl

Die Krise auf dem Mittelmeer hat Europa und die Welt in den vergangenen zwei Jahren immer wieder beschäftigt und beschäftigt sie immer noch. Erst kürzlich versagte der neue italienische Innenminister Matteo Salvini dem Rettungsschiff Aquarius, Geflüchtete in einen italienischen Hafen zu bringen. Retter und Gerettete mussten nach Spanien weiterfahren, das sich bereit erklärt hatte, sie aufzunehmen. Auch in den Medien wird weiterhin viel berichtet und diskutiert. Doch auf dem Lumix-Festival ist das Thema, das im öffentlichen Diskurs gerade wieder heiß läuft, nicht vertreten – und genau das kritisieren die Initiatoren der Guerilla-Ausstellung.

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Foto: deadcalm
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Foto: deadcalm
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Foto: deadcalm
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Foto: deadcalm
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Foto: deadcalm
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Foto: deadcalm
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Foto: deadcalm

„Es ist symptomatisch für den Zustand unserer Gesellschaft, dass ein Festival für Fotojournalismus sich über diese Krise ausschweigt“, schreiben sie in ihrem „Manifest“ auf der zugehörigen Seite deadcalm.eu, auf der auch alle Bilder der Aktion zu finden sind. Der Großteil des lose zusammengewürfelten Kollektivs studiert selbst Fotojournalismus an der Hochschule in Hannover, die alle zwei Jahre das Festival organisiert. Die über 60 Ausstellungen auf dem Expo-Plaza-Gelände zeigen dieses Mal zum Beispiel Verwaltungschaos in Indien, Kinderehen im Iran oder Winterjäger in Japan. Doch jenes Drama, das sich täglich so viel näher an unserer Lebenswelt abspielt, fehle in der Auswahl der relevantesten Arbeiten der letzten zwei Jahre, beklagen die Aktivisten in ihrem Manifest.

Am Mittwochabend, während auf der Expo-Plaza Hände geschüttelt und Glückwünsche ausgesprochen wurden, trafen sich deshalb rund zwanzig Aktivisten in einem Hannoveraner Hinterhof. Sie rührten Kleister an, bastelten aus Besenstilen und Bürsten Plakatier-Pinsel und teilten sich schließlich in mehrere Kleingruppen auf, um die Stadt zu plakatieren. Dabei achteten sie fast schon penibel darauf, keine Werbeflächen zu überkleben, sondern nur „freie“ Flächen zu nutzen. „Wenn die Polizei kommt, dann ist das eine Kunstaktion und kein Vandalismus“, sagten sie.

Udo Iwanneck, Pressesprecher der Hannoverschen Verkehrsbetriebe, sieht das anders: „Wir können die Ticketpreise nur so niedrig halten, weil andere für Werbeflächen bezahlen. Wenn alle wild plakatieren, haben wir hier Anarchie, auch wenn das vielleicht eine ehrenwerte Aktion ist“. Er hätte sich gewünscht, die Aktivisten wären vor der Aktion mit ihm in Kontakt getreten. „Dann hätten wir sicher eine Einigung gefunden. So wurden wir bei Nacht und Nebel überfallen.“ Nachdem ein U-Bahn-Fahrer auf die ungewöhnlichen Plakate aufmerksam wurde, verständigten die Verkehrsbetriebe eine Reinigungsgruppe, die noch am Freitag alle Plakate aus dem öffentlichen Raum entfernen soll.   

Den Aktivisten geht es nicht um Prestige, sondern um Haltung

Auch die Hochschule Hannover würde das Manifest der Gruppe nicht unterschreiben. Es gebe viele Arbeiten auf dem Festival, die das Thema Migration unabhängig von der Mittelmeerroute dokumentierten, sagt der Festivalvorsitzende und ehemalige Professor der Hochschule Rolf Nobel. Und die seien außerdem im deutschen Pavillon ausgestellt – einer ehemaligen Flüchtlingsunterkunft. „Es hat mehrere Einsendungen zum Thema Seenotrettung gegeben“, sagt er. „Sie waren aber leider qualitativ nicht so, dass wir sie auf dem Festival – das auch eine Leistungsschau ist – unter den 60 besten Ausstellungen zeigen.“

Den Aktivisten geht es allerdings nicht um Prestige, sondern um Haltung. Im Foto-Studium würde ständig gepredigt, man müsse in erster Linie lernen, „in der Industrie Fuß zu fassen“. Ein Credo, das nicht alle Studierenden so unterstützen wollen. Auch Tom, der eigentlich anders heißt und die Guerilla-Aktion mitorganisiert hat, findet, das sollte nicht alles sein: „Journalismus war früher eine progressive politische Kraft. Das Fotografenpaar Robert Capa und Gerda Taro hätte auch mit Modefotos Geld verdienen können. Stattdessen haben sie mit einer politischen Haltung den spanischen Bürgerkrieg dokumentiert und sind heute berühmt dafür.“ Das Lumix-Festival hingegen wirke auf ihn eher wie eine Werbeveranstaltung für große Fotofirmen. 

Tom wünscht sich, dass eine aktivistische Haltung nicht als Befangenheit gewertet wird. Sondern als die Passion, die nötig ist, Menschen aus ihrer Passivität herauszureißen. Das kurze Aufflackern einer Wasserleiche im U-Bahn-Tunnel könnte ein Anfang sein. 

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