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„Özil und Gündoğan leben hier auf dem Sonnendeck der Demokratie“

Fotos:Foto: Reuters / pixabay / Collage: jetzt.de

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Mesut Özil und Ilkay Gündoğan, zwei Nationalspieler mit deutsch-türkischen Hintergrund, treffen sich in London mit Erdoğan, der am 24. Juni in vorgezogenen Wahlen wiedergewählt werden will. Die Erinnerungsfotos, die dabei entstehen, posten sie zwar selber nicht, sie landen aber trotzdem schnell in der Presse und rufen zahlreiche Reaktionen hervor. Allgemeiner Tenor: Herkunftslandverbundenheit ist nachvollziehbar, einen Despoten zu huldigen nicht. Auf Bild.de schlägt Sophia Thomalla einen Wechsel in den türkischen Mannschaftskader vor, auf tagesschau.de liest man von Claudia Roths Wunsch, die beiden Spieler hätten sich nicht für Erdoğans Wahlkampf einspannen lassen. „Wäre, wäre, Fahrradkette“, wie Lothar Matthäus es ausdrücken würde.

Die Bilder sind im Netz, jeder, den man fragt, hat sie gesehen und fast jeder hat eine Meinung dazu. Nur: Was halten eigentlich Deutschtürken davon? Was denken sie über die Fotos und die öffentliche Verurteilung der beiden Fußballer? Wir haben nachgefragt.

Cebrail Dinc, 33

„Ich finde die Diskussion überzogen. Da haben sich zwei Fußballer in England mit dem Präsidenten des Herkunftslandes ihrer Eltern getroffen und sich mit ihm unterhalten. Es ist doch gut, wenn die Leute miteinander reden. Ich glaube nicht, dass sie jetzt mit ihm auf Wahlkampf gehen und Stimmen für ihn einsammeln werden. Hätten die beiden Spieler wirklich Werbung für Erdoğan machen wollen, hätten sie es gepostet. Und ob man Erdoğan mag oder nicht, er ist ein demokratisch gewählter Präsident und die Türkei ein NATO-Partner.

Mesut Özil möchte ich in Schutz nehmen. Er ist der erste deutsch-türkische Weltklassefußballer, der sich für Deutschland entschieden und sogar schon gegen die Türkei getroffen hat. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft unterschätzt, was das für jemanden wie ihn bedeutet. In den sozialen Netzwerken wurde er dafür von Türken und Deutschtürken als Hurensohn und Vaterlandsverräter beschimpft. In der Türkei gab es zudem Diskussionen darüber, ob er nicht Kurde, PKK-Sympathisant oder Armenier sei. Seine dort lebende Familie musste sich ständig rechtfertigen.

Es ist daher ein großer Schritt für einen deutschtürkischen Fußballer, sich so zu Deutschland zu bekennen, während viele Deutschtürken täglich die Erfahrung machen, dass man sie nicht für ,richtige‘ Deutsche hält. Dass nun dieser Fußballer, der mit Politik nichts am Hut hat, kritisiert wird, empfinden viele Deutschtürken als unfair und als einen Angriff auf ihre türkische Identität. Sie denken man kritisiere ihn nur, weil er türkischstämmig ist. Das hat den Effekt, dass sie sich wieder mal ausgegrenzt fühlen.

Kurz vor den Wahlen in der Türkei schaffen es die deutschen Medien damit, unentschlossene Wähler links und rechts der Mitte für Erdoğan zu gewinnen. Auch viele meiner Freunde, die eigentlich Sozialdemokraten sind, wählen Erdoğan aufgrund solcher Diskussionen. Auch diese Stimmen aus Europa werden ihm am Ende den Wahlsieg bescheren.“

Dilek B., 33

„Ich würde Erdoğan definitiv nicht als meinen Präsidenten bezeichnen. Offiziell ist er es zwar, aber diesen Status hat er sich meines Erachtens nicht nur mit legalen Mitteln erkämpft. Dass Özil Erdoğan befürwortet, war mir schon bekannt. Im Fall von Gündoğan ist es mir neu. Ich finde, dass die beiden da eine ziemlich unnötige Aktion gestartet haben, die den politischen und gesellschaftlichen Umständen in der Türkei nicht gerecht wird. Sich grinsend neben einen Despoten zu stellen – ich hätte etwas mehr Feingefühl von den beiden erwartet. Sie hätten es ja auch handhaben können wie Emre Can vom FC Liverpool, der Erdoğans Einladung ausgeschlagen und damit Rückgrat bewiesen hat.

Obwohl viele Leute behaupten, dass es den beiden absolut zustehe, sich mit Erdoğan zu treffen, bin ich nicht der Meinung, dass man sich mit Autokraten ablichten lassen sollte. Özil und Gündoğan leben hier auf dem Sonnendeck der Demokratie. Niemand schreibt ihnen vor, wie sie zu leben haben. Dass sie keinerlei Verantwortung für die Zustände in der Türkei übernehmen, dafür habe ich nur Verachtung übrig.

Wer denkt, dass Erdoğan diese beiden prominenten Fußballer-Wahlhelfer überhaupt nicht nötig hat, liegt meiner Meinung nach falsch. In den vergangenen Jahren hat er sich immer wieder mit Prominenten gezeigt, die man nicht mit Politik in Verbindung bringt, wie etwa Sängern und Schauspielern, um damit ein gewisses Image zu erzeugen. Im Bezug auf die beiden Fußballer denken sich jetzt sicher viele Deutschtürken: ,Cool, die Jungs haben es als Türken ja zu was gebracht.‘ Indem er sich mit Ihnen fotografieren lässt, impliziert Erdoğan damit bewusst eine gewisse Heimatverbundenheit der beiden. Jeder, der das Gegenteil behauptet, durchschaut das nicht.

Dass in den deutschen Medien die Frage aufgeworfen wurde, ob die beiden noch für die Nationalelf spielen sollten, fand ich allerdings übertrieben. Generell wurde das Thema ja wirklich sehr intensiv diskutiert. In meinem Umfeld bewerten einige Leute, sowohl Türken als auch Deutsche, die hitzige Debatte als Zeichen gescheiterter Integration. Und ja, dass die Integration von Deutschtürken gescheitert ist, davon bin ich überzeugt. Ich glaube aber nicht, dass das Verhalten der beiden Fußballer die Beziehung von Deutschen und Deutschtürken besonders belastet hat. Während des Referendums im vergangenen Jahr war die Stimmung deutlich angespannter als jetzt, würde ich sagen.“

Anonym, 34 (möchte anonym bleiben, weil er berufliche Diskriminierung fürchtet)

“Ja, ich würde Erdoğan als meinen Präsidenten bezeichnen. Ich bin zwar hier geboren und aufgewachsen, habe hier studiert und mir die deutsche Kultur angeeignet, bin also sehr eingedeutscht, trotzdem identifiziere ich mich als Türke mit Erdoğan und fühle mich zu ihm und seiner Politik hingezogen. Das hat viele Gründe: Erdoğan hat für einen sehr großen Aufschwung gesorgt und viele neue Transportmöglichkeiten innerhalb der Türkei geschaffen. Wir haben dank ihm beispielsweise erstmals in der Geschichte einen Schnellzug in der Türkei. Ich bin extra in Türkei geflogen, um den mal auszuprobieren.

Generell bin ich oft dort und habe nie das Gefühl, dass ich mich in der Türkei nicht frei äußern kann. Die Behauptung, dass er Menschenrechte unterdrückt, stammt meiner Meinung nach aus den deutschen Medien und ich halte sie für falsch. Die eingesperrten Journalisten haben für mich mit ihrer Berichterstattung Volksverhetzung begangen. Ich finde, sie sind daher zurecht eingesperrt.

In Deutschland hingegen habe ich Angst, meine politische Meinung kundzutun, denn als Erdoğan-Sympathisant wird man von den Deutschen extrem schief angeschaut. Ständig höre ich ihre Hasspredigten im Bezug auf Erdoğan. Auch an meinem Arbeitsplatz, wo ich eine hohe Position habe, traue ich mich nicht mehr, etwas zu dem Thema zu sagen – aus Angst, benachteiligt zu werden. Deshalb möchte ich auch hier nicht meinen Namen nennen.

Für mich sollte sich jeder Mensch und jeder Fußballer, der in zwei Ländern verwurzelt ist, auch mit beiden Staatschefs seiner jeweiligen Heimatländer zeigen dürfen. Würde es denn genauso angeprangert werden, wenn Özil und Gündoğan ein Foto mit Frau Merkel gemacht und ein Trikot für sie beschriftet hätten? Ich verstehe diese Doppelmoral nicht.“

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