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Grünen-Abgeordneter Sebastian Striegel aus Sachsen-Anhalt über den Umgang mit der AfD im Parlament
Seit Mittwochmittag steht es fest: Am 24. Oktober wird der neue Bundestag zu seiner ersten Sitzung zusammenkommen – also zum spätestmöglichen Termin, nämlich genau vier Wochen nach der Bundestagswahl. Die AfD wird als drittstärkste Kraft vertreten sein. Wie sollen die anderen Parlamentarier mit den Abgeordneten der rechtsextremen Partei umgehen? Sebastian Striegel hätte da eventuell ein paar Tipps: Der 36-Jährige engagiert sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus und ist parlamentarischer Geschäftsführer sowie Landtagsabgeordneter der Grünen im schwarz-rot-grün regierten Sachsen-Anhalt, wo die AfD 2016 mit 25 Prozent in den Landtag eingezogen ist.
jetzt: Du begegnest den AfD-Abgeordneten ständig in deinem beruflichen Alltag. Habt ihr persönlichen Kontakt?
Sebastian Striegel: Ich habe keinen persönlichen Kontakt mit der AfD, ich will auch keinen und wüsste auch nicht, worüber ich mich mit denen unterhalten sollte. Es gibt da keine gemeinsame Wertebasis, auf die ich bauen kann. Bei der CDU handhaben sie das zum Teil anders, da gibt es auch zwischenmenschliche Interaktion und die sitzen gemeinsam in der Kantine. Aber für mich ist klar: Mit Menschenfeinden gibt es keinen Kaffee und kein Kaltgetränk.
Wie hat sich der Landtag in Sachsen-Anhalt verändert, seit die AfD eingezogen ist?
Die Debattenkultur im Haus hat sich verschlechtert. Es wird nicht mehr produktiv und konstruktiv gestritten, weil die AfD keine Partei ist, die nach Lösungen sucht, sondern nach Schuldigen – und schuld sind immer die anderen, wahlweise „die etablierten Parteien“, „die Muslime“ oder „die Ausländer“. Dabei wird es teils unflätig und es gibt einen klaren Hang zur NS-Rhetorik
Kannst du ein paar Beispiele nennen?
André Poggenburg hat im Landtag linke Studierende als „Wucherungen am deutschen Volkskörper“ bezeichnet, Mario Lehmann hat Geflüchtete „Ficki-ficki-Fachkräfte“ genannt. Per Zwischenruf wurde die Forderung erhoben, man müsse Homosexuelle einsperren.
Also ist die AfD im Landtag nicht „zahmer“ als im Wahlkampf?
Nein. Es gibt keine Zivilisierung der AfD durch den parlamentarischen Diskurs, denn sie wollen ihn ja überwinden. Das Parlament ist aus Sicht der AfD nur eine Schwatz-Bude und eine Bühne für die eigene Ideologie. Es kann also nicht darum gehen, die AfD zu überzeugen oder umzustimmen – es muss darum gehen, die Wählerinnen und Wähler von der AfD abzubringen.
Es gibt auch persönliche Provokationen. Während eines laufenden Verfahrens wegen Fahrerflucht im vergangenen Jahr hat die AfD dich zum Beispiel auf einer Fotomontage als „Unfall-Flüchtling“ bezeichnet. Wie geht man mit sowas am besten um?
Als Politiker muss man ein dickes Fell haben. Und anders als andere, die die AfD diffamiert, bin ich als Parlamentarier ja in einer privilegierten Position. Man muss die Angriffe deutlich zurückweisen und darauf bauen, dass die Kolleginnen und Kollegen sich solidarisieren, auch über die Fraktionsgrenzen hinaus. Und man muss sich ganz aktiv wehren: Ich habe damals gerichtliche Schritte angestrebt und die Behauptungen wurden untersagt.
Inwiefern macht die AfD politische Arbeit im Landtag?
Es gibt Punkte, an denen sie Themen setzt, und wenn sie ein tatsächliches Problem anspricht, reicht es nicht zu sagen: „Der Vorschlag kommt von der AfD, darum ist er doof.“ Aber sie setzt auch dabei nahezu ausschließlich auf Skandalisierung. An einem Prozess des Austauschs, mit dem man sich einem Problem erstmal annähert, ist sie nicht interessiert.
Hast du auch da ein Beispiel?
Aktuell gibt es einen AfD-Antrag, dass Sexualstraftätern der Pass entzogen werden soll. Das ist ein ungeeignetes Mittel, um sexualisierte Gewalt zu verhindern. Doch der so genannte „Sextourismus“, aber auch sexualisierte Gewalt im Inland sind zweifellos ein großes Problem. Beides muss bearbeitet werden und wir müssen überlegen, wie wir es verhindern können. Über Prävention sprechen, Therapien, Beratungsangebote. Der Vorstoß „Passentzug“ ist reiner Populismus. Darum will ich erreichen, dass die Debatte im Landtag vielschichtiger geführt wird.
Gibt es einen „Aktionsplan“ der anderen Fraktionen, wie mit der AfD umzugehen ist?
Für uns Grüne ist klar: Die AfD ist demokratisch gewählt, aber das macht einen Großteil ihrer Forderungen, wie etwa die Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen, noch nicht politisch legitim. Wir setzen also sehr deutlich auf Abgrenzung. Das wird von der CDU durchaus anders gehandhabt. Zum Beispiel haben große Teile der CDU-Fraktion mit der AfD auf die Einsetzung einer Enquete-Kommission „Linksextremismus“ gestimmt. Sie haben auf diesen Triggerbegriff reagiert und gesagt: „Dagegen sind wir doch auch, da müssen wir doch zustimmen!“ Dabei war das nur der Versuch der AfD, einen Keil in die Koalition aus CDU, SPD und Grünen zu treiben. Von solch billigen Manövern sollte man sich nicht provozieren lassen.
Du hast eben schon die verbalen Provokationen im Landtag angesprochen. Wie lautet deine Antwort darauf?
Sie ins Leere laufen lassen. Die AfD betreibt Grenzüberschreitungen und Tabu-Brüche bis zum Exzess. Man muss so etwas markieren und ansprechen, aber das nicht permanent zum Thema machen und sich ritualisiert darüber aufregen. Denn das ist ja das Geschäftsmodell der AfD. Wenn das im Parlament passiert, reicht es, wenn einer darauf reagiert – und dann aber bitte wieder zurück zur Sache. Das wäre auch meine Bitte an die Medien: Zu erkennen, dass da eine Strategie dahintersteckt, die man ins Leere laufen lassen sollte.
„Die Jungs von der AfD irritiert es, wenn sie denken, sie haben was ganz Schlimmes gesagt, und dann kommen keine Zwischenrufe“
Aber manche Äußerungen kann man doch nicht so leicht übergehen?
Klar, man muss der AfD die Grenze aufzeigen – die sind ja in kompletter Hybris unterwegs und denken wirklich, dass sie „das Volk“ hinter sich haben. Aber wir müssen lernen, zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden. Es gibt Aktionen, auf die man mit aller Härte reagieren muss, aber auch solche, die erkennbar ein Stöckchen sind, und da kann man sich auch mal zurücklehnen und sagen: „Nö, ich reg’ mich jetzt nicht auf.“ Die Jungs von der AfD irritiert es total, wenn sie denken, sie haben jetzt was ganz Schlimmes gesagt, und dann kommen keine Zwischenrufe.
Viele AfD-Gegner hoffen jetzt darauf, dass sich die Partei im Bundestag selbst zerlegt. Ist das deiner Erfahrung nach eine realistische Hoffnung?
Wir haben an Frauke Petry gesehen, wie schnell das gehen kann, und auch in Sachsen-Anhalt haben von 25 Abgeordneten bereits drei die Fraktion verlassen. Und ja, wir müssen alles dafür tun, dass die AfD sich spaltet, indem wir als politischer Gegner die Widersprüche der Partei herausarbeiten. Aber wir sollten nicht darauf bauen, dass sich dadurch etwas Grundlegendes ändert. Denn die AfD ist Ausdruck gesellschaftlicher Konflikte, die auch weiter vorhanden bleiben und die wir gemeinsam aushalten und lösen müssen.
Wie soll das gehen?
Man muss erstmal einen Unterschied zwischen den rechtsextremen Kadern der AfD und ihren Wählerinnen und Wählern machen – die einen muss man bekämpfen, zu den anderen braucht es Kommunikation. Mir geht es dabei nicht darum, diesen Leuten nach dem Mund zu reden. Im Gegenteil: Dem Rassismus, der auch unter vielen AfD-Wählern anzutreffen ist, muss man entschieden widersprechen.
„Man muss, um das mal drastisch zu sagen, bei den Nazis die Hosen runterlassen“
Wie bekämpft man die Kader?
Wir müssen uns weniger mit der AfD beschäftigen, dafür aber tiefer. Uns detailliert die Netzwerke der Neuen Rechten anschauen, mit und in denen die Partei operiert: die Burschenschaftsszene, die Identitären, Götz Kubitschek, Jürgen Elsässer und „Compact“ – für sie alle ist die AfD ein wichtiger Akteur und Ressourcen-Geber. Diese Netzwerke gehören ausgeleuchtet. Man muss, um das mal drastisch zu sagen, bei den Nazis die Hosen runterlassen.
Und wie erreicht man die Wähler?
Mit ihnen muss man in den Dialog kommen, ohne dabei seine Überzeugungen und Werte zu verraten. Ich gehe als Abgeordneter auch dahin, wo es wehtut, in meinen Wahlkreis Merseburg-West, wo die AfD über 30 Prozent gelandet ist, und mache dort Bürgersprechstunde, und ich toure mit einem VW-Bus übers Land und mache Sprechstunde auf dem Marktplatz. Ich muss den Menschen dort etwas anbieten, das sie von der AfD abbringt, und sie damit zurück in den demokratischen Diskurs holen.
Welches Angebot machst du ihnen?
Wer nach der Bundestagswahl immer noch glaubt, die AfD bekämpfen zu können, indem er ihre Forderungen kopiert, der wird scheitern. Das zeigen ja die Wahlergebnisse der CSU in Bayern und der CDU in Sachsen. Wir brauchen einen Gegenentwurf zur AfD, der die Menschen mitnimmt, die sie gewählt haben. Wie erreichen wir Gerechtigkeit, ohne uns dabei auf den Nationalstaat zu beziehen? Ich will dafür werben, dass wir mehr europäische Integration brauchen, dass es weltweit gerechtere Handelsstrukturen braucht, durch die Menschen gar nicht mehr gezwungen sind, sich auf die Flucht zu begeben. Und wir müssen die Herausforderungen der jungen Generationen angehen, zum Beispiel den Klimawandel. Darum kümmert sich die AfD nicht, weil sie letztlich eine Partei der frustrierten, alten, weißen Männer ist, die sagen: „Alles muss mindestens so bleiben, wie es ist, und wird im besten Fall wieder so übersichtlich wie in den Fünfziger Jahren.“