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„Die Moderatorinnen, die es gibt, könnte man viel, viel größer machen“

Eva Schulz und Carolin Kebekus sind Moderatorinnen. Dem Ard-Programmdirektor fielen sie aber nicht ein, wenn es um geeignete Moderatorinnen für eine Samstagabend-Show ginge.
Foto: Paula Winkler, Oliver Berg /dpa

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Die ARD ist alt. So alt, dass sie gerade eine Debatte führt, die eher an die 50er Jahre erinnert. Es geht nämlich um Frauen im Fernsehen. Genauer: Frauen als Moderatorinnen von Samstagabend-Unterhaltungsshows. Volker Herres, Programmdirektor der ARD, hat nämlich der Bild am Sonntag in einem Interview mit dem Titel „Hat die ARD ein Frauenproblem?“ zum 70. Geburtstag des Senders erklärt, dass er zwar ein Defizit bei Moderatorinnen im Showbereich sehe, ihm aber aktuell auch kein weibliches Pendant zu einem Kai Pflaume einfalle. Falls er jemanden übersehen hätten, dürfe man sich gerne bei ihm melden. Das Interview hat Herres dann bei Twitter geteilt, gemeldet hat sich Eva Schulz. 

Eva Schulz, 30, ist eine Frau und sie moderiert – nicht am Samstagabend, sondern on demand, nicht im linearen Fernsehen, sondern im Internet. Sie ist Teil des Online-Content-Netzwerkes Funk von ARD und ZDF und hat nicht nur sich selbst als weibliches Kai-Pflaume-Pendant vorgeschlagen, sondern auch noch dreißig andere Frauen, von denen Volker Herres offenbar keine einzige eingefallen ist. Dazu haben sich dann auch noch viele andere wütend auf Twitter geäußert und beim Durchscrollen der Debatte fragt man sich natürlich: Was passiert hier eigentlich gerade? Wie kann es immer noch ein Geschlechterungleichgewicht im Fernsehen geben und wieso übernimmt ein Verantwortlicher keine Verantwortung?

Deutsches Fernsehen ist immer noch männerdominiert

„Wenn Volker Herres eine Lücke im eigenen Programm entdeckt, ist es doch seine Aufgabe als Programmdirektor, genau das zu ändern“, sagt Eva Schulz gegenüber jetzt am Telefon und auch, dass sie das Interview wirklich empört und enttäuscht habe. Außerdem sei das bei der Lücke „weibliche Unterhaltungsmoderatorin“ ja nun auch nicht schwer, weil es ja ganz viele gebe, sagt Eva Schulz. Und überhaupt: Warum müsse eine Frau erst so sein wie ein Kai Pflaume, damit sie als Samstagabend-Showmoderatorin taugt? „Anstatt zu fragen ‚Gibt es nicht das Gleiche auch in weiblich?‘ sollte man die Chance sehen, dass weiblich auch etwas Neues, Zusätzliches sein kann“, sagt Eva Schulz.  

Frauen als etwas „Neues“ ist noch immer Realität in den deutschen Medien. Zwei Medienforscherinnen der Universität Rostock haben 2017 in einer Studie über die Geschlechterdarstellung im deutschen Film und Fernsehen belegt, dass nur ein Drittel der Hauptakteur*innen in Unterhaltungs- oder Realityformaten Frauen sind. In einer aktuelleren Studie der Universität Rostock und der MaLisa Stiftung über die Rollen von Frauen und Männern in der Corona-Berichterstattung heißt es, dass insgesamt doppelt so viele Männer wie Frauen zu Wort kommen und dass auf eine Expertin vier Experten kommen.

Und nicht nur von außen ist das Fernsehen so männlich, sondern auch im Inneren: Laut einer Studie des gemeinnützigen Vereins ProQuote Medien von 2018 sind in keinem der 13 öffentlich-rechtlichen Sender mehr Frauen als Männer in den zwei obersten programmrelevanten Ebenen verantwortlich. In sechs Sendern sogar keine einzige. So auch in der ARD: Seit ihrer Gründung gab es keine einzige Programmdirektorin und nur zwei der insgesamt 41 Vorsitzenden waren Frauen. Es geht also um Sichtbarkeit und Repräsentanz und darum, dass die Hälfte aller Beitragszahler*innen der öffentlich-rechtlichen Sender Frauen sind, die dann aber wiederum im Programm nicht stattfinden. Was noch immer mehrheitlich abgebildet wird, sind weiße Männer. 

„Programmmacher müssen es Moderatorinnen ermöglichen, sich eine Community aufzubauen“

Aber andersherum funktioniert das mit der Sichtbarkeit auch: Volker Herres spricht als Programmdirektor für die ARD und jetzt glauben alle, die ARD hätte ganz grundsätzlich ein „Frauenproblem“. Eva Schulz sagt: „Nur weil Volker Herres meint, es gäbe keine Frauen, heißt das nicht, dass Frauen nicht die Chance haben, in diesem Programm stattzufinden.“ Es gebe auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern genug Förderer, die neue Formate mit Moderatorinnen ausprobieren, aber das brauche Mut und Ausdauer. Denn viel zu oft würden nur Moderatoren engagiert, weil die dem Publikum bekannt sind und sicher ist, dass sie Quote bringen. „Programmmacher müssen es auch Moderatorinnen ermöglichen, sich überhaupt erst einmal eine Community aufzubauen“, sagt Eva Schulz. Dafür brauche es Budget und Sendeplätze.

Carolin Kebekus hat seit vier Wochen einen neuen Sendeplatz in der ARD – Donnerstagabend, nicht Samstagabend. Comedy, aber keine Unterhaltungsshow. Als Reaktion auf Herres Interview hat Kebekus in ihrer Show am 11. Juni zusammen mit Janin Ullmann – die übrigens seit Jahren auch Samstagabend-Unterhaltungsshows moderiert – einen Werbespot für mehr Frauen im Fernsehen gedreht. „Versuchen Sie es mal mit Frauen, denn Frauen können heute einfach alles werden!“, sagt Ullmann in dem Spot und präsentiert eine Hotline, über die sich Verantwortliche die Moderatorinnen vermitteln lassen können, die es angeblich gar nicht gibt. 

Carolin Kebekus kritisiert das System aus dem System heraus

„Die Moderatorinnen, die es gibt, könnte man viel, viel größer machen, indem man ihnen einfach den Platz gibt, den oft nur Männer haben”, sagt Carolin Kebekus am Telefon. Aber ihrer Erfahrung nach gebe es dann immer Tausend Ausreden, warum das nicht möglich sei. „Für mich ist das größte Rätsel der Menschheit, wie man als ARD Katrin Bauerfeind zu Joyn gehen lassen kann. Warum hat man sich nicht diese Frau gesichert? Oder Jeannine Michaelsen? Warum versauert die zwischen Joko und Klaas bei Prosieben? Die kann Livesendungen moderieren, als wäre gar nichts!”, sagt Kebekus. Sie habe mit vielen Kolleginnen über das Interview von Herres gesprochen und die seien entsetzt. „Die Kritik richtet sich ja auch an uns Moderatorinnen der ARD”, sagt Carolin Kebekus. Das sei ein Signal von oben gewesen: ‚Schade, dass es euch nicht gibt!’ und damit ja quasi auch eine Aufforderung, etwas dagegen zu sagen. Und so kritisiert Carolin Kebekus das System aus dem System heraus – weil sie es wegen ihres Sendeplatzes kann.

Bei der ganzen Diskussion stellt sich aber auch die Frage, warum sich eigentlich die Frauen melden müssen und warum sie das dann auch tatsächlich tun? Warum machen sie auf sich aufmerksam, schreiben Listen mit fähigen Moderatorinnen und machen die Care-Arbeit für Programmdirektor Herres?

Frauen müssen für ihre eigene Sichtbarkeit sorgen

Tijen Onaran ist Moderatorin, Speakerin, Gründerin von „Global Digital Women“ und berät Unternehmen, wie sie diverser werden können. Auch sie hat sich auf Twitter zu dem Interview und dem Beitrag von Carolin Kebekus geäußert. Wenn man sie fragt, warum sich viele Unternehmen so schwer tun, Menschen zuzulassen, die nicht weiß und männlich sind, sagt sie, es seien die Strukturen, das sei einfach so gelernt. „Jemand, der seit Jahren in den gleichen Männerzirkeln unterwegs ist, setzt sich nicht damit auseinander, dass es andere gibt, die nicht in das eigene Raster fallen“, sagt Onaran. 

Frauen müssten verstehen, dass sie nicht gesehen werden und dass sie für ihre eigene Sichtbarkeit sorgen müssen. „Wir müssen dahin kommen, dass das eine Selbstverständlichkeit ist, aber so weit ist es noch nicht. Deswegen finde ich es dann auch in Ordnung für Herrn Herres eine Liste zu machen, damit es plakativ ist“, sagt Tijen Onaran. Eva Schulz sagt: „Es ist nervig, dass wir das mitmachen müssen, aber wenn ich das jetzt nicht gemacht hätte, wäre halt auch gar nichts passiert.“ Carolin Kebekus sagt: „Naja, wenn man es nicht machen würde, dann wäre das ja auch noch eine Bestätigung.“ 

„Ich glaube, dass eine Quote ein guter Motivator sein könnte“

Volker Herres hat sich zu den Vorwürfen geäußert – nicht gegenüber Eva Schulz, oder bei Carolin Kebekus, aber in den Medien. Sein Sprecher hat Watson erklärt, dass er Frauen selbstverständlich für geeignet halte, eine Unterhaltungsshow zu präsentieren. Voraussetzung sei, dass der Sendeplatz, Format und Moderation perfekt zusammenpassen. Das hat es nicht wirklich besser gemacht und deswegen sprach Herres dann noch einmal mit der Bild am Sonntag. Dort sagte er, er habe selbstkritisch über die männliche Dominanz bei den großen Samstagabendshows gesprochen, betonte dann noch die „Spitzenfrauen“ im Programm und dass er, wenn es ein neues Showkonzept gebe, er sich „selbstverständlich für eine Moderatorin“ stark machen würde. 

Volker Herres Interview hat eine Diskussion um Gleichberechtigung und Frauen im Fernsehen ausgelöst, in der „Diversität“ bisher allerdings nur als „ein anderes als das männliche Geschlecht“ gedacht wird. Das Thema habe viel mehr Facetten, sagt Eva Schulz. „Ich glaube, dass eine Quote ein guter Motivator sein könnte, da mehr Druck auszuüben, aber eigentlich würde ich mir wünschen, dass Diversität einfach intern mehr zum Ziel gemacht wird.“

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