Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Die Aufregung zeigt schon, dass Sprache nicht egal ist“

Corinna hat ihre Dissertation im generischen Femininum geschrieben – das war nicht einfach.
Foto: Privat

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

 „Geschäftsführerin“ statt „Geschäftsführer“, „Verbraucherin“ statt „Verbraucher“, „Schuldnerin“ statt „Schuldner“ – das Justizministerium hat zu Beginn der Woche einen Gesetzentwurf im generischen Femininum eingebracht. Und für Aufregung gesorgt. Bundesinnenminister Seehofer stoppte den Entwurf sofort und forderte, ihn ins generische Maskulinum umzuschreiben – sonst sei nicht sichergestellt, dass wirklich alle Menschen mitgemeint sind. Auf Twitter entbrannte daraufhin einmal mehr eine Debatte über geschlechtersensible Sprache und die Norm des generischen Maskulinums.

Wir haben darüber mit Corinna Ujkasevic gesprochen. Die 31-Jährige ist Juristin und hat ihre komplette Promotion im generischen Femininum geschrieben. Der Titel: „Die Kompensation von Verfahrensrechtsverstößen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte“. 

Heute arbeitet sie in einer NGO in Berlin. Sie erzählt, wie ein Verlag ihre Arbeit nur im generischen Maskulinum drucken wollte, wieso Sprache wichtig ist und was sie von der aktuellen Debatte hält. 

jetzt: Du hast deine Dissertation im generischen Femininum geschrieben – wieso?  

Corinna: Ich hatte mich schon während der Promotionszeit mit gegenderter Sprache auseinandergesetzt und auch Forschung dazu gelesen, inwiefern Sprache wirklichkeitsbildend sein kann. Deswegen wollte ich gerne auch meine Dissertation in geschlechtergerechter Sprache verfassen. In der benoteten Version für die Uni habe ich das aber noch nicht gemacht.  

Wieso nicht?  

Ich hatte Angst, dass meine Bewertung dadurch negativ beeinflusst werden könnte. Für die Veröffentlichung im Verlag wollte ich aber gendern. Ich holte mir das Einverständnis von meinem Doktorvater – der war da sehr offen. Die Herausgeber der Schriftenreihe, die mir eine Veröffentlichung eigentlich schon zugesichert hatten, waren allerdings von der Idee nicht so begeistert. Ich wollte eigentlich mit Sternchen oder Doppelpunkt gendern, ursprünglich nicht im generischen Femininum.  

„Mir persönlich geht es um Sichtbarkeit“

Konntest du sie dann überreden?  

Tatsächlich nicht. Als Kompromiss haben sie mir nur angeboten, dass ich am Anfang ein Sternchen machen und schreiben könnte, dass Frauen im generischen Maskulinum mitgemeint sind. Ich schlug im Gegenzug vor, dass ich die weibliche Form verwenden will und umgekehrt ein Sternchen machen möchte, dass Männer mitgemeint sind. Das fanden sie auch nicht gut. Das offenbart, wie nichtssagend so eine kleine Fußnote ist. Am Ende stellten sie mich vor die Wahl, das generische Maskulinum zu verwenden oder die Arbeit nicht zu veröffentlichen.  

Fühlst du dich mitgemeint vom generischen Maskulinum?

 Wenn ich in meinem Alltag in einer Gruppe im generischen Maskulinum angesprochen werde, weiß ich schon, dass ich mitgemeint bin. Mir persönlich geht es aber eher um Sichtbarkeit, also beispielsweise darum, welches Bild ich vor Augen habe, wenn ich in einem Text auf der Arbeit die Begriffe „der Richter“ oder „der Rechtsanwalt“ lese. Ich denke dann an Männer.

Was waren die Argumente des Verlags gegen das generische Femininum?  

Richtige Argumente kamen da nicht. Man hielt mir vor, dass dies ohne speziellen Bezug zu meiner Arbeit aufgesetzt und unnötig sei. Es wurde quasi gesagt, alles, was nicht das generische Maskulinum sei, verschlechtere die Lesbarkeit. Und dass es zu grammatikalischen Fehlern kommen könnte. Es war absurd. Ich wurde zum Beispiel gefragt, ob ich denn dann „das Opferin“ schreiben würde statt „das Opfer" – dabei ist Opfer ja ein Neutrum-Wort. Warum sollte ich das gendern?  

War es schwer, einen neuen Verlag zu finden? 

Nein, überhaupt nicht. Der Verlag, in dem ich meine Arbeit dann veröffentlicht habe, war da total offen.

Ist denn das generische Femininum gerechter als das generische Maskulinum?

Natürlich steht man vor dem Problem, auch mit dem generischen Femininum nicht alle Personengruppen, einschließlich der Männer, ansprechen zu können. Stattdessen aber weiter nur das generische Maskulinum zu benutzen, wäre sicher nicht gerechter.

Wie waren die Reaktionen anderer Menschen, als du dann bei einem anderen Verlag veröffentlicht hattest?  

Also meine Freundinnen und Freunde fanden es cool. Andere Reaktionen kamen eigentlich kaum. Und das sagt ja schon total viel – es ist echt kein Problem.  

 

„Sprache ist ein Zeugnis ihrer Zeit“

Wie findest du es, dass es jetzt einen Gesetzentwurf aus dem Justizministerium gibt, der im generischen Femininum verfasst wurde?  

Ich finde das gut. Warum denn nicht? Allein die Aufregung zeigt schon, dass Sprache nicht egal ist. Offensichtlich fühlen Menschen sich bedroht oder angegriffen. Was soll denn die Problematik sein? Ich habe den Eindruck, dass viele der Menschen, die sich daran stören, Angst davor haben, ihre Privilegien zu verlieren. Sie glauben, dass im Anschluss an das generische Maskulinum noch ganz andere Sachen in Frage gestellt werden, die auch mit ihren Privilegien zusammenhängen.  

 

In einem Leitfaden für die Formulierung von Rechtsvorschriften heißt es: „Herkömmlich wird die grammatisch maskuline Form verallgemeinernd verwendet (generisches Maskulinum)“. 

Ja, aber wieso sollte sich das nicht ändern? Sprache ist ja immer im Fluss gewesen. Wir reden ja nicht mehr, wie die Menschen vor 100 Jahren gesprochen haben. Sprache ist ein Zeugnis ihrer Zeit. Und deswegen können sich solche Leitfäden dann eben auch verändern.  

Hast du mit deiner Promotion andere Menschen in deinem Umkreis inspiriert?   

Ein Bekannter von mir hat seine Doktorarbeit auch gegendert – allerdings schon vor mir, er hätte also eher mich inspiriert. Er ist Politikwissenschaftler und Soziologe. In den Geisteswissenschaften ist ja vieles insgesamt etwas progressiver als bei den Rechtswissenschaften.  

Ist Jura ein Sonderfall, was geschlechtersensible Sprache angeht?  

Ich würde Juristinnen und Juristen, was das angeht, tendenziell auf jeden Fall als konservativer eingestellt bezeichnen. Ich hatte schon auch Professoren, die sich ganz klar gegen gegenderte Sprache ausgesprochen haben. Also, da geht vieles schon noch langsamer voran als in anderen Fachbereichen, denke ich.  

Schreibst du bei deiner neuen Arbeit die Texte auch im generischen Femininum?  

Ich kann da auf jeden Fall immer gendern, auf unterschiedliche Art und Weise. Niemand verlangt von mir das generische Maskulinum.

  • teilen
  • schließen