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Flüchtlinge im Jugendgefängnis in Ebrach
Es ist nur ein kleiner Raum, kaum Möbel, wenig Licht. An dem kleinen Tisch in der Mitte sitzt ein junger Syrer, 21 ist er. Das lockige schwarze Haar hat er lässig nach hinten gekämmt, er trägt einen schwarzen Bart und manchmal blitzt ein Grinsen auf. Der junge Mann, der sich „Gano“ nennt, aber eigentlich anders heißt, floh im Jahr 2011 mit seinen Eltern nach Deutschland, ins Allgäu. Seit zwei Jahren sitzt er im Gefängnis. Gano habe nach seiner Flucht nach Deutschland „zu spät begriffen, wie es läuft“, gesteht er. „Ich kannte die Regeln nicht.“ Jetzt ist er inhaftiert, zwei weitere Jahre muss er noch absitzen, aber, das schiebt er gleich hinterher, eine vorzeitige Entlassung ist möglich. In fünf Monaten könnte er die Strafanstalt verlassen. Auch wenn seit seiner Ankunft einiges schief ging, ist er dankbar, in Deutschland zu sein. „Wenn ich in Syrien geblieben wäre, müsste ich jetzt gegen den IS kämpfen“, sagt er. Das sei auch nicht besser.
Seit 2016, also einige Monate nach Ankunft der ersten Geflüchteten in Deutschland, sitzen vermehrt Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak und auch aus afrikanischen Ländern in deutschen Gefängnissen. Das Gefängnis, in dem Gano inhaftiert ist, liegt in dem kleinen, verschlafenen Städtchen Ebrach, gelegen zwischen Würzburg und Bamberg. 1800 Einwohner leben hier, drei Gaststätten gibt es und am Ortsausgang einen kleinen Campingplatz. Die Bahnstrecke in die nächste Großstadt ist schon lange stillgelegt und abgebaut. Fränkisches Idyll.
270 Gefangene verbüßen derzeit ihre Strafe in Ebrach, ausschließlich Männer. Im Zentrum des beschaulichen Örtchens steht das Gefängnis, ein ehemaliges Zisterzienserkloster, ein schlossartiger Bau aus der Barockzeit, umgeben von alten Mischwäldern in denen noch der morgendliche Nebel hängt. Hinter den dicken alten Klostermauern sind junge Straftäter zwischen 17 und 24 Jahren inhaftiert. Räuber, Gewalttäter, Mörder. Die meisten Gefangenen sind erwachsen, waren aber jünger als 21, als sie zu Straftätern wurden. Deswegen wurden sie nach Jugendstrafrecht verurteilt und sind dann hier gelandet.
Draußen, außerhalb der Gefängnismauern wartet Ganos Verlobte auf seine Rückkehr. Er hat ihr gesagt, sie solle ihn nicht mehr besuchen im Gefängnis. Die Treffen waren aufwühlend, für ihn, aber vor allem für sie. Er will sie nicht leiden sehen, sich nicht mehr sehen, sei besser. Aus Selbstschutz. Gano denkt nach über seine Zeit in Gefangenschaft und schaut sich um in dem kleinen Raum, in dem das Gespräch stattfindet. Die Gefängnisleitung hat dieses Gespräch organisiert, ein Gefängnispsychologe sitzt beim Gespräch dabei. Es gibt klare Regeln. Gano darf nicht darüber reden, warum er im Gefängnis sitzt, um die Opfer zu schützen, aber seine Strafe ist vergleichsweise hoch.
Die größte Schwierigkeit ist die Kommunikation
Mehr als zwei Drittel der Insassen sind wegen Gewaltdelikten verurteilt. Der Anteil ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Etwa 40 Prozent der Gefangenen entstammen Einwandererfamilien, 27 Geflüchtete sind unter ihnen, überwiegend aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Und weil der Anteil der Religionslosen stetig steigt, sind die Muslime mit 31 Prozent inzwischen die größte Glaubensgemeinschaft im Gefängnis von Ebrach.
Gerhard Weigand ist 57 Jahre alt, dunkler Anzug, fränkischer Akzent, seit acht Jahren der Leiter der Anstalt. Er kennt Zahlen und Entwicklungen und nimmt Veränderungen wahr seit dem Spätsommer 2015, als immer mehr Schutzsuchende nach Deutschland kamen. Die Gefangenen aus dem arabischen Raum haben die Arbeit im Gefängnis verändert. „Bis 2015 hatten wir hauptsächlich Gefangene aus Europa. Die kulturellen Kenntnisse und Gewohnheiten der Gefangenen haben sich seitdem gewandelt. Die Angestellten sind mit neuen Problemen konfrontiert. Darauf müssen wir unsere Mitarbeiter vorbereiten“, sagt Weigand.
Die größte Schwierigkeit ist die Kommunikation. Die jungen Geflüchteten sprechen kaum Deutsch, sie kennen nicht das lateinische Alphabet und viele Gewohnheiten, die hierzulande selbstverständlich scheinen, sind ihnen fremd. Die interkulturelle Kompetenz ist inzwischen Teil der Ausbildung für die Mitarbeiter. Sie lernen, wie man mit Gefangenen aus dem arabischen Raum und Afrika umgehen muss, wie man Sprachbarrieren überwindet.
Die Mitarbeiter in Ebrach behelfen sich mit Bildwörterbüchern und Englisch, Dolmetscher gibt es höchstens im Aufnahmeverfahren. „Wir versuchen, die Gefangenen so schnell wie möglich sprachlich so fit zu machen, dass die grundlegende Verständigung im Vollzugsalltag funktioniert“, erklärt Weigand.
Maßgebend für den Umgang mit geflüchteten Gefangenen ist das Bayerische Integrationsgesetz. Der Auftrag: Mit Migranten besonders intensive Deutsch- und Integrationskurse durchführen. Aber weil weder im bayerischen Justizministerium noch im Sozialministerium jemand erklären konnte, wie ein Integrationskurs genau auszusehen hat, mussten die Mitarbeiter in der JVA Ebrach ein eigenes Konzept entwerfen.
Jetzt gibt es Alphabetisierungs- und Sprachkurse auf verschiedenen Niveaus und Kurse mit integrativen Inhalten. Also was typisch deutsches Essen ist, wie Mülltrennung funktioniert, die Rolle der Frau und deutsche Rechtsstaatlichkeit. All das ist mühsam – für die Gefangenen und für die Angestellten. Die Insassen müssen sich an klare Tagesabläufe gewöhnen, an Pünktlichkeit und an eine neue Sprache.
Anton Götz ist Ausbildungsberater im Gefängnis, zuständig für die berufliche Bildung der Gefangenen. Anders als früher setzt man heute im Jugendstrafvollzug vor allem auf Weiterbildung und Resozialisierung. 17 verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten gibt es in Ebrach. Die Gefangenen können eine Lehre machen zum Bäcker, zum KfZ-Mechaniker, zum Schreiner. Das Ziel: Bereit sein für ein Leben außerhalb des Gefängnisses. Deswegen wird im Strafvollzug möglichst viel getan, um die Häftlinge auf ein normales Leben vorzubereiten.
Die Arbeit mit den Geflüchteten sei „mühsam“, gibt Götz zu, die meisten sind mit Handwerksberufen vorher nie in Kontakt gekommen. Viele tun sich schwer mit Mathematik und mit Fachbegriffen, die sie in einer Ausbildung brauchen. Aber er wolle nicht jammern, er sehe inzwischen kleine Erfolge. Bei vielen gebe es eine hohe Motivation, deutsch zu lernen und einen Beruf zu erlernen. „Wir müssen die Leute da abholen, wo sie sind, wir dürfen sie nicht überfordern, das frustriert sie nur.“
Die Geflüchteten sind keine homogene Gruppe, Pauschalisierungen wären falsch und ungerecht. Manche sind traumatisiert von ihren Erlebnissen aus der Heimat oder von ihrer Flucht, andere hochmotiviert, sich zu integrieren, auch Verhaltensauffällige sind unter ihnen. Aber für die meisten gilt: Sobald sie einige Monate in der Ausbildung sind, erkennen sie den Wert von Arbeit, sie haben ein Ziel, dann „erkennt man richtig einen Reifeprozess“, freut sich Götz.
Erfolgserlebnisse sind wichtig. Für Mitarbeiter und Gefangene. Nach erfolgreichem Sprachkurs oder dem Ende eines Berufsvorbereitungsjahres – auch das wird in Ebrach angeboten – gibt es ein Zertifikat. Für viele das erste in ihrem Leben. Weil sie zum ersten Mal etwas durchgezogen haben.
Erst wenn klar ist, mit wem es die Behörden wirklich zu tun haben, können Geflüchtete auch Schul- und Ausbildungsabschlüsse erlangen
Gano konnte die zwei Jahre im Gefängnis nicht wirklich nutzen. Eine Ausbildung oder einen Schulabschluss hat er nicht, weil Papiere und Genehmigungen fehlten. Das häufigste Problem bei geflüchteten Gefangenen ist die ungeklärte Identität. Erst wenn klar ist, mit wem es die Behörden wirklich zu tun haben, können Geflüchtete auch Schul- und Ausbildungsabschlüsse erlangen. Aber auch dann gilt: Zunächst muss man die Sprache lernen.
Gano hat die Sprache nach seiner Ankunft in Deutschland auf der Straße gelernt, von und mit anderen Migranten. Weil er keine Ausbildung beginnen durfte, hat er Putzdienste im Gefängnis übernommen, war Hilfsarbeiter in der Küche und hat auf dem Gang den anderen Jungs die Haare geschnitten. „Am liebsten würde ich noch einen Hauptschulabschluss machen“, sagt er. Sollte er vorzeitig entlassen werden, dann würde er die dafür nötigen zwei Monate länger bleiben, um einen Hauptschulabschluss zu schaffen. Freiwillig.
Beim Gang durch die langen Zelltrakte erhascht man auch einen Blick auf den Gefängnishof. Ein paar Grünstreifen und Bänke gibt es dort. Vereinzelte Nebenschwaden wabern noch über den Steigerwald, der Ebrach umgibt. Das Laub ist noch grün, aber der Herbst scheint sich langsam seinen Weg zu bahnen. Das Licht der Sonne liegt dunstgrau auf dem kleinen Platz, auf dem die Insassen eine Stunde am Tag verbringen dürfen. Dass Häftlinge aus anderen Ländern in Ebrach inhaftiert sind, ist nichts Neues. „Früher gab es hier größere Gruppen von Russlanddeutschen oder Türken oder Albanern“, erklärt Weigand. Anders als bei diesen Häftlingen gibt es unter den Geflüchteten keine ausgeprägten Rivalitäten oder Subkulturen. Sie bilden keine Grüppchen im Hof, sie hegen keine Feindschaften, es gibt weniger Konflikte als noch mit früheren Inhaftierten aus anderen Ländern.
Die Rückfallquote liegt derzeit bei etwa 25 Prozent, für Direktor Weigand ein „grandioser Wert“
Gefängnispsychologen, Jobvermittler und die Meister in den Werkstätten versuchen, die Gefangenen auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Wichtig ist, dass die Gefangenen die Zeit nutzen. Es gibt die Pflicht zur Arbeit.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass häufig die Zeit im Gefängnis nicht ausreicht, um die Ausbildung oder einen Schulabschluss zu Ende führen zu können. Weil die Zeit in der Untersuchungshaft angerechnet wird und viele Gefangene auch vorzeitig ohne Abschluss entlassen werden. Wie viele freigelassene Geflüchtete rückfällig werden, wissen sie in Ebrach noch nicht, denn es gibt noch keine Langzeitstudien und viele kommen bei einer erneuten Haftstrafe ohnehin in den Erwachsenenvollzug. Zwischen 2012 und 2016 wurde lediglich für die gesamte JVA Ebrach erstmals eine Rückfallquote ermittelt. Die liegt derzeit bei etwa 25 Prozent, für Direktor Weigand ein „grandioser Wert“.
Er hängt auch mit dem Fachkräftemangel in Deutschland zusammen. Die Ausbildungsberufe, die die Gefangenen hier erlernen, sind gefragt, die meisten Handwerksbetriebe tun sich schwer, junge, gut ausgebildete Leute zu finden. Wenn ehemalige Häftlinge in einem Beruf unterkommen, Einkommen haben, einen Platz in der Gesellschaft finden, dann sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie nochmal eine Straftat begehen.
Gano würde am liebsten eine Ausbildung machen zum KfZ-Mechaniker. Er weiß, dass er es schwer haben wird. „Wenn ich darum kämpfe, vielleicht, kann ich es dann schaffen“, wünscht er sich. Er trägt einen grünen Kittel, wie all die anderen hier. Im Gefängnis seien alle gleich, sagt er, die Herkunft interessiere hier keinen, aber Knastfreundschaften gebe es nicht. „Das erste Jahr im Knast war sehr schwierig“, gesteht er. Das hat er lange hinter sich.
Sobald er draußen ist, will er seine Mutter und seine Verlobte besuchen. Er hat sie lange nicht gesehen. Und er will sich mit Freunden verabreden, den neuen Lebensabschnitt feiern. Wie gut er sich zurecht finden wird, wenn er das Gefängnis verlassen darf, ist ungewiss. Eine Nachbetreuung nach der Entlassung ist gesetzlich nur vorgesehen bei Gefangenen, die eine Sozialtherapie abschließen. Auf Gano trifft das nicht zu. Aber die Vorfreude, die spürt er jetzt schon. „Im Gefängnis kommt man zu sich", sagt er und lächelt kurz.
Gano blickt durch das vergitterte Fenster in die Freiheit. Über der alten Klosteranlage hat sich der Nebel endgültig verzogen. Über Ebrach scheint noch einmal die Sonne.