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„Die AfD befindet sich in einem Radikalisierungsprozess“

Foto: Europa Verlag

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Franziska Schreiber ist 27 Jahre alt und war vier Jahre lang Mitglied der AfD, eine Zeit lang auch stellvertretende Vorsitzende der JA Sachsen. Doch eine Woche vor der Bundestagswahl 2017 trat sie aus, weil ihr die Partei zu weit nach rechts gerückt und zu radikal geworden ist (bei jetzt erschien damals ein kurzes Porträt über sie und ihre Positionen). Über ihre Zeit in der AfD und als Warnung an die Wähler hat sie nun ein Buch geschrieben: „Inside AfD – Der Bericht einer Aussteigerin“ ist am 3. August im Europa-Verlag erschienen. Im Interview spricht Franziska darüber, warum sie radikale Aussagen von Parteikollegen mitgetragen oder sogar verteidigt hat.

jetzt: Franziska, du bist im vergangenen Jahr nach Frauke Petrys Niederlage beim Bundesparteitag in Köln aus der AfD ausgetreten. Die neuen Köpfe der Partei sind Alice Weidel, Jörg Meuthen und Alexander Gauland. Wie schätzt du die gegenwärtige AfD ein?

Franziska Schreiber: Die überzeugten Liberalen sind mit Petry ausgetreten. Heute gibt es nur noch wenige Gemäßigte in der AfD, aber die sind schlecht vernetzt und haben kein Konzept. Im Vergleich dazu hat der nationalistische Flügel ein hoch professionelles Marketing, mit betont völkischen Botschaften an die Anhänger. Die AfD befindet sich in einem Radikalisierungsprozess, von dem nicht abzusehen ist, wo er endet.

   

Als du 2013 in die AfD eingetreten bist, hast du sie noch als „bessere FDP“ bezeichnet. Warum?

In den Anfängen der Partei wurden wirtschaftliche Themen rein rational betrachtet. Es ging nicht darum, auf Wählerfang zu gehen, dagegen wirkte die FDP geradezu beliebig. Mit all den Wirtschaftsprofessoren in ihren Reihen hat die AfD eine sehr strikte Wirtschaftspolitik vertreten, das hat mich beeindruckt. Aber das ist inzwischen vorbei.

Wann hast du gemerkt, dass sich etwas ändert?

Als Frauke Petry Vorsitzende wurde und der rechte Flügel angefangen hat, gegen sie zu schießen, ist mir klar geworden, dass die mit dem gemäßigten Bild nicht zufrieden sind. Die wollen einen Höcke, einen Poggenburg an der Spitze. Die wurden dann zu meinen innerparteilichen Gegnern. Ich habe zwei Jahre lang versucht, gegen sie zu kämpfen. Dass das gescheitert ist, wurde mir in Köln klar, als Frauke Petry mit ihrem Zukunftsantrag abgestraft wurde und diejenigen Recht bekommen haben, die eine reine Protestpartei sein und mit der Identitären Bewegung und Pegida gemeinsame Sache machen wollen.

„Es müssen auch idiotische und böse Dinge sagbar sein“

Rhetorische Ausreißer von Parteikollegen und eigene Aussagen hast du in deiner Zeit bei der AfD mit der Meinungsfreiheit gerechtfertigt. Findest du weiterhin, dass alles sagbar sein sollte? 

Mir ist zu spät klar geworden, dass man da eine ganz klare Unterscheidung machen muss: Innerhalb einer Partei ist das Argument der Meinungsfreiheit Unsinn, weil sie ein Programm hat. Es ist also völlig okay zu sagen, dass eine Position zwar nicht illegal sein mag, aber dennoch nicht zur Partei passt – das hätte ich sehr viel öfter machen sollen. Andererseits: Hätte ich das getan, wäre ich sehr schnell nicht mehr Vorsitzende der JA gewesen. Ich glaube aber immer noch, dass es gesamtgesellschaftlich besser ist, die Meinungsfreiheit weit zu fassen. Es müssen auch idiotische und böse Dinge sagbar sein. Denn nur dann kann man darauf eingehen und dagegen argumentieren. Wenn Menschen so etwas nur im Geheimen sagen, hat man diese Möglichkeit nicht.

Wo würdest du die Grenzen ziehen?

Ganz klar da, wo Aussagen nur darauf abzielen, Stimmung gegen bestimmt Personengruppen zu machen: Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und Hetze gegen Ausländer. Das darf man nicht stehen lassen und da muss der Rechtsstaat wehrhaft sein, um Minderheiten zu schützen. Und zwar nicht erst, wenn jemand mit dem Baseball-Schläger zuschlägt, sondern auch, wenn jemand indirekt zu solchen Taten aufruft.

Du beschreibst in deinem Buch, wie du langsam in das AfD-Milieu hineingeraten bist, wie die Partei erst motivierend und dann einschüchternd auf dich eingewirkt hat.

Es fing damit an, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl in der AfD sehr groß war. Ich hatte das Gefühl, endlich echte Meinungsfreiheit zu erleben, ich fühlte mich verstanden und dachte: Es gibt nur uns. Es wurde ein „Wir gegen die anderen“ zelebriert und das war ein gutes Gefühl. Die Partei wirkte dadurch auf mich wie eine Art Wohlfühl-Oase. Aber dann stellte sich nach und nach raus: Sobald man Kritik an Positionen oder Funktionären übt, wird man als Verräterin verleumdet und aufgefordert, „zu den Linken zu gehen“. Man isoliert sich auch von Freunden, die eine andere Position vertreten, weil die AfD-Leute diese Freundschaften kritisieren. Und dann hat man gar kein Korrektiv mehr, niemand widerspricht einem und man ist nur noch von Menschen umgeben, die das Gleiche denken. Dadurch bekommt man ein extrem verzerrtes Bild der Realität. Das habe ich besonders an meiner Facebook-Timeline gemerkt: Zu meinen AfD-Zeiten hätte man denken können, das Land stehe kurz vor dem Kollaps. Aus dieser Filterblase wieder rauszukommen, ist extrem schwer.

„Ich bekomme hin und wieder Nachrichten, in denen mir gewünscht wird, von Flüchtlingen vergewaltigt zu werden“

Das klingt wie bei einer Sekte.

Ich habe nicht umsonst in den Titel geschrieben „Bericht einer Aussteigerin“. Es sind Familien zerbrochen, Ehen wurden zerrüttet, weil ein Ehepartner AfD-konform war und der andere nicht. Sobald Kritik geäußert wird, erntet man Paranoia und Beschimpfungen.

Wurdest du nach deinem Austritt bedroht?

Ich bekomme hin und wieder Nachrichten, in denen mir gewünscht wird, von Flüchtlingen vergewaltigt zu werden, damit ich endlich kapiere, wie falsch ich liege. Jemand anders schrieb mir, ich solle gut aufpassen, man wisse ja, was mit Verrätern passiere. Es existiert auch ein Gif, auf dem ich zu sehen bin und im Hintergrund baumelt eine Frau am Galgen – darauf steht: „Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen“.

Was macht das mit dir?

Ich versuche, mich so wenig wie möglich damit zu beschäftigen. Wenn mir jemand was antun will, kann ich nichts dagegen machen. Aber ich glaube nicht, dass das passiert, denn damit würden sie alles bestätigen, was ich schreibe.

„Man sollte nicht den Kontakt zu jemandem abbrechen, wenn man erfährt, dass er AfD gewählt hat“

Dein Buch hat schon im Vorfeld für Aufsehen gesorgt, weil du darin geschrieben hast, der Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen habe Frauke Petry beraten, welche Maßnahmen die Partei ergreifen müsse, um nicht vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden. Hattest du mit diesen heftigen Reaktion gerechnet?

Überhaupt nicht! Die Brisanz dieser Episode hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Mir ging es nur darum, zu unterstreichen, wie engagiert Frau Petry versucht hat, das Abdriften der Partei nach rechts zu unterbinden. Ich habe darin gar nichts Schlimmes gesehen und wollte auch niemandem schaden. In der Hinsicht war ich wohl etwas naiv.

Bei der Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich sehr viel Material über dich gefunden – Artikel, Porträts, Interviews und Texte aus deiner aktiven AfD-Zeit. Wie ist es für dich, dass deine Vergangenheit im Netz so präsent ist?

Ich bin auf diese Zeit nicht besonders stolz und wenn ich mir manche Sachen anschaue, denke ich schon: Besser wäre es, ich hätte das nicht getan. Aber deshalb habe ich ja das Buch geschrieben: Es ist der Versuch, aus meiner Sicht zu erklären, wie das alles passieren konnte. Ich bereue nicht, in die AfD eingetreten zu sein, denn dabei habe ich unheimlich viel gelernt, mich selbst reflektiert und stehe jetzt gefestigter da als vorher.

Du schreibst in deinem Buch, dass es einen gelassenen Umgang mit der AfD nicht geben kann. Was ist deine Empfehlung, wie soll die Gesellschaft mit der Partei umgehen?

Zum einen müssen die Medien sich klarmachen, dass viele Aussagen der AfD darauf ausgerichtet sind, dass die Presse sich darauf stürzt. Die Partei lebt vom Skandal und vom Shitstorm. Zum anderen sollte man nicht den Kontakt zu jemandem abbrechen, wenn man erfährt, dass er AfD gewählt hat, sondern auf ihn einwirken. Ihm aufzeigen, dass es eine schlechte Idee ist, seiner Unzufriedenheit auf diesem Wege Ausdruck zu verleihen. Aussagen, die fremden- oder frauenfeindlich sind, muss man korrigieren – aber diesen Menschen nur mit Hohn und Spott zu begegnen, treibt sie nur tiefer in ihre AfD-Blase. Wenn sie sehen, dass es Leute außerhalb der Partei gibt, die gewillt sind, zu diskutieren, kann das helfen. Die Mühe lohnt sich: Auch bei mir haben einige Menschen nicht aufgegeben und immer wieder versucht, rational an mich heranzukommen. Und damit hatten sie letzten Endes Erfolg.

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