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Felix Kummer über Politik und Chemnitz
Er war einer von denen, die im Sommer 2018 das #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz organisiert haben. Felix Kummer, Sänger von Kraftklub und gebürtiger Chemnitzer, stellte sich klar gegen rechte Hetze. Ein knappes Jahr später bringt der 30-Jährige ein eigenes Album raus (KIOX erscheint am 11. Oktober und wird auf CD und Vinyl ausschließlich am kommenden Wochenende im Plattenladen „KIOX“ in Chemnitz zu kaufen sein). Die erste Single heißt „9010“, angelehnt an die alte Postleitzahl seiner Heimatstadt. Felix Kummer beschreibt darin, wie er als Jugendlicher von Nazis durch die Straßen gejagt wurde.
Ein Interview, das wir vor dem rechtsradikalen Terrorangriff in Halle geführt haben. Die Botschaft von Felix Kummer von Kraftklub aber könnte leider aktueller nicht sein.
jetzt: Du bist so viele Jahre alt wie die Wende. Hattest du, als du in den 2000ern aufgewachsen bist, das Gefühl dich entscheiden zu müssen: links oder rechts, weil es dazwischen nichts gibt?
Felix Kummer: Ganz ehrlich: Das wurde einem weitestgehend abgenommen. Alles, was nicht Fascho war, was nicht rechts war, das war alles Antifa. Ob Skateboarder, Hip Hopper, Punker. Die Entscheidung hat man selber nicht getroffen – außer natürlich, man hätte Nazi werden wollen. In der Zeit hat es schon gereicht hat, ein bisschen alternativ auszusehen und eine Kapuze zu tragen, um in Chemnitz auf die Fresse zu bekommen. Dafür musste man sich nicht mal besonders politisch positionieren.
„Das ist wohl gemeint, wenn von der Spaltung der Gesellschaft gesprochen wird“
Sind im vergangenen Jahr in Chemnitz die Menschen politischer geworden?
Auf jeden Fall. Die ganze Stadt hat sowas wie einen Knacks weg bekommen. Jedes WG-Gespräch, jedes Vor-dem-Club-Abhängen wurde politisch. Wir haben uns viel unterhalten über diese komische Stadt. Das war ein sehr seltsames Gefühl, dass die Weltpresse mit angeekeltem Interesse auf die Stadt schaut, in der man selbst lebt. Ich denke schon, dass da noch mehr Engagement entstanden ist. Aber man muss auch immer sagen: Die Rechten sind ja vor einem Jahr nicht plötzlich aus ihrem Loch gesprungen sind. Die gibt es schon immer in Chemnitz. Aber es gab schon eine Zeitlang ein Jetzt-erst-recht-Gefühl. Und das wollten wir auch unterstützen: Mit dem #wirsindmehr-Konzert wollten wir den Menschen, die keine Rechtsradikalen wählen, das Gefühl gehen: Ihr seid nicht allein.
Was, wenn man nicht die gleiche Meinung hat? Da gibt es eine Zeile im Song „Der Rest meines Lebens“: „Ihr redet nicht über Politik, weil dann streitet man sich nur“. Ist das so?
Ich kenne Menschen aus meinem Umfeld, deren Familien sind zerstritten. Da gibt es seit 2015 zwei Lager, da musste eine Hochzeit abgesagt werden. Ganz dramatische Geschichten. Das ist wohl gemeint, wenn von der Spaltung der Gesellschaft gesprochen wird.
Müssen Musik und Kunst sich da auch verstärkt politisch positionieren?
Ich finde nicht, dass man als politischer Mensch verpflichtet ist, politische Kunst zu machen. Ich habe mehr Respekt vor jemandem, der sich in seiner Betriebskantine hinstellt und seinem Arbeitskollegen sagt: „Jo, das war scheiße von dir, was du gesagt hast.“ Das finde ich mutiger, als wenn ich mich jetzt auf die Bühne stelle und eine Rede schwinge. Ich mag keine Zeigefinger-Musik, mit der Menschen mir die Welt erklären wollen. Ich mache keine Agitations-Musik. Das finde ich anmaßend. Ich hab ja als 30-Jähriger nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen.
„Rechtsextremismus wurde hier immer in erster Linie als Imageproblem gesehen“
Trotzdem haben du und deine Band das #wirsindmehr-Konzert organisiert. Das haben viele als sehr klares, politisches Zeichen gelesen.
Ja, und das ist ja auch irgendwie total kurios. Wir finden es nicht geil, wenn Leute Ausländer durch die Stadt jagen. Und damit gelten wir heute schon als politisch. Das ärgert mich auch. Denn daran ist vor allem die CDU schuld. Die ganze Situation, also der Erfolg der AfD, die Tatsache, dass Rechte wieder mutiger werden, hat viele Gründe. Einer davon ist, dass die CDU 30 Jahre lang sehr viel Wert darauf gelegt hat, die Gefahr immer links zu sehen. Da wurde gesagt: Man muss alternative junge Strukturen beobachten, die Antifa ist das große Böse. Die Antifa wurde so lange kriminalisiert, während rechtsradikale Strukturen verharmlost wurden.
Warum, glaubst du, ist das so?
Woher diese große Angst der CDU-Spießbürger vor linksalternativen Jugendlichen kommt, weiß ich nicht. Rechtsextremismus wurde hier immer in erster Linie als Imageproblem gesehen. Als schlecht für die Wirtschaft. Also hat man einfach gesagt: „Die Sachsen sind immun gegen den Rechtsradikalismus.“ Problem gelöst, einfach wegschauen, dann löst sich das vielleicht von selbst. Hat man dann ja gesehen, wie gut das funktioniert hat.
Vor der Wahl hast du gesagt: Wenn die AfD in die Regierung kommt, dann geh ich vielleicht weg aus Chemnitz. Noch gibt es keine Koalition, aber 27 Prozent der Menschen in Sachsen haben die AfD gewählt.
Natürlich denkt man manchmal, ich hau jetzt einfach ab. Am anderen Tag dann aber wieder: Jetzt ist es genau wichtig, da zu bleiben, die Menschen nicht im Stich zu lassen. Ich hab das Gefühl: Man muss jetzt gerade zeigen, dass man sich nicht verpisst. Es ist wichtig, dass man eine Gegenposition sieht. Und das ist für mich ein zentraler Punkt von Antifaschismus. Dass man die Menschen nicht alleine lässt.
„30 Jahre lang hat die CDU nichts gemacht“
Viele sagen, dass die AfD so beliebt sei, weil sie Menschen anspricht, die sich abgehängt fühlen. Ist dieses Gefühl auch bei Leuten unserer Generation real?
Ja, ich kenne diesen Minderwertigkeitskomplex schon auch. Das ist so ein kollektives Gefühl, dass man sich aus irgendeinem Grund fühlt wie ein Loser. Aber: Das ist doch kein Grund, Rassisten zu wählen. Das finde ich einfach scheiße und egoistisch. Und außerdem muss auch irgendwo mal Stopp sein: Alle sehen sich als Menschen zweiter Klasse und fühlen sich so vernachlässigt. Ich kapier nicht, wie man dieses Gefühl der Vernachlässigung als Erklärung für so ein Wahlverhalten sehen kann.
Was muss passieren, damit sich das ändert?
Keine Ahnung. Vielleicht fragt man sich ein bisschen zu oft, was man für die 27 Prozent tun kann, die Neonazis wählen. Vielleicht sollte man sich mehr fragen, was man für die tun kann, die ständig diese 27 Prozent um sich rum haben, die davon betroffen sind. Es gibt ellenlange Artikel über das Verschwinden der Kreissparkasse, aber wenn die Jugendclubs dicht machen, kräht kein Hahn. Vor allem in der Provinz. Aber die Lösung muss ich auch nicht liefern. Das muss die Politik. Ich nehme das der CDU und unserem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer echt übel. 30 Jahre lang hat die CDU nichts gemacht. Und wenn es dann richtig übel wird, wird auf einmal die Zivilgesellschaft in die Pflicht genommen. Jetzt müssten doch mal alle zeigen, aus welchem demokratischen Holz sie geschnitzt sind. Das ist eine unverschämte Rückgabe der Verantwortung, der die CDU einfach nicht gerecht geworden ist.