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„Menschen in Lager zu bringen, ist menschenrechtlich problematisch“

Foto: Haitham Moussawi / AFP Photo

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Bis in die Morgenstunden haben die Regierungschefs beim EU-Gipfel über die Flüchtlingsfrage und über Migration in Europa debattiert. Die Ergebnisse des Gipfels sind schwammig, doch immerhin: Am Ende steht ein Gipfelpapier, auf das sich alle Staatschefs einigen konnten.

Insgesamt haben sich die Mitgliedsstaaten auf eine Verschärfung der Asylpolitik verständigt. Die Grenzschutzagentur Frontex soll bis 2020 aufgestockt werden. Migranten, die aus dem Mittelmeer gerettet wurden, sollen in geschlossene Zentren innerhalb der EU gebracht und dort festgehalten werden, bis über ihre Schutzbedürftigkeit entschieden ist. Außerdem sind „Ausschiffungszentren“ außerhalb der EU angedacht. Wir haben mit Markus N. Beeko, dem Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, über das Gipfelpapier gesprochen.

jetzt: Herr Beeko, wie beurteilen Sie die Ergebnisse des EU-Gipfels?

Markus N. Beeko: Wichtig ist, dass wir auf europäischer Ebene überhaupt Bewegung in die aktuelle Situation bekommen. Eine Situation, in der die EU nicht geschlossen Verantwortung für den Flüchtlingsschutz übernommen hat. In der vorwiegend über Migrationskontrolle und über die Begrenzung von Schleusertum gesprochen wurde. Es steht nicht ausreichend das im Fokus, wozu alle Länder weltweit verpflichtet sind: Menschen Schutz zu gewähren vor andauernden Menschrechtsverletzungen, vor Gewalt und Verfolgung.

Bis 2020 soll Frontex gestärkt werden, außerdem ist von neuen Auffanglagern die Rede, sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU. Macht Europa zu?

Europa hat schon zugemacht. Es gibt kaum sichere und legale Zugangswege für schutzsuchende Menschen nach Europa. Wir sehen, dass Flüchtlinge durch Migrationskontrollen eher noch weiteren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Es bedarf einer klaren Betrachtung all dieser Aspekte. Jetzt bleibt zu sehen, ob das geäußerte Bekenntnis ernst gemeint ist, aus Seenot gerettete Menschen in Einrichtungen innerhalb der EU zu bringen und ihnen die Möglichkeit zu geben, unter rechtsstaatlichen und menschenwürdigen Bedingungen Asyl zu suchen. Die geplante intensivierte Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache und die katastrophale humanitäre Situation von Asylsuchenden in den Hotspots auf den griechischen Inseln jedenfalls beweisen das Gegenteil.

In den vergangenen Wochen war oft von einer „europäischen Lösung“ die Rede. Italien hat während der Verhandlungen mit einem Veto gedroht. Die Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn arbeiten vehement gegen eine EU-weite Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen. Ist eine europäische Lösung im eigentlichen Sinne überhaupt denkbar?

Nun, wir haben doch zumindest gesehen, dass es europäische Staaten gibt, die sich klar zu einer europäischen Lösung bekannt haben. Die auch klar gesagt haben: Wir müssen auf verantwortliche, solidarische Lösungen hinarbeiten. Der zweite Schritt ist nun, dass man allen Mitgliedsstaaten klarmacht, dass es dem europäischen Geist widerspricht, sich dieser Verantwortung zu entziehen. Das ist eine Frage, mit der sich die EU übergeordnet beschäftigen muss, und die viel mehr über die EU aussagt als über globale Entwicklungen. Wie steht die EU zu Menschenrechten? Wie steht sie zu ihrer Verantwortung gegenüber anderen Staaten? Da ist noch viel Luft nach oben.

„Staaten, die ihre Verpflichtung im Flüchtlingsschutz infrage stellen, stellen oftmals auch andere menschenrechtliche und völkerrechtliche Verpflichtungen infrage“

Sie sprechen von Solidarität. Was bedeutet das in diesem Fall konkret?

Innereuropäisch bedeutet das, dass man die gemeinsame Verantwortung auch gemeinsam schultert. Der Flüchtlingsschutz ist nicht nur als Belastung zu sehen, er ist auch Teil der internationalen Rechtsordnung. Er basiert auf der Erfahrung aus den beiden Weltkriegen. Staaten, die ihre Verpflichtung im Flüchtlingsschutz infrage stellen, stellen oftmals auch andere menschenrechtliche und völkerrechtliche Verpflichtungen infrage.

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Markus N. Beeko ist Generalsekretär von Amnesty International Deutschland.

Foto: AI

Haben Sie konkrete Staaten im Kopf?

Sie haben gerade die Visegrád-Staaten genannt. Wir sehen ja, dass in europäischen Ländern, die sich dem Flüchtlingsschutz bislang verwehren, auch Angriffe auf andere menschenrechtliche Normen vorgenommen werden. Sei es auf die Rechtsstaatlichkeit, die freie Meinungsäußerung, die Presse- und Versammlungsfreiheit. Wir sehen das beispielsweise in Ungarn, wo vor kurzem ein Gesetz verabschiedet wurde, das Menschenrechtsorganisationen kriminalisiert.

„Staaten, die ihre Verpflichtung im Flüchtlingsschutz infrage stellen, stellen oftmals auch andere menschenrechtliche und völkerrechtliche Verpflichtungen infrage“

Für Nordafrika sind „Ausschiffungsplattformen“ angedacht. Sie werden als Novum gelobt. Was halten Sie davon?

Menschen in Lager zu bringen ist menschenrechtlich problematisch. Wir sprechen hier von Freiheitsentzug, von Inhaftierung als Konzept. Und wir sprechen von Menschen, die sich auf freier See befinden und dann interniert werden sollen. Das ist grundsätzlich problematisch, selbst viele nordafrikanische Länder stellen solche Konzepte infrage. Es geht obendrein auch um Länder, in denen Menschenrechte eingeschränkt sind. Deren Bewohner also teilweise selbst die Möglichkeit haben müssen, Asyl zu suchen. Schutzsuchende gleichzeitig in diese Länder zu verbringen: Das ist menschenrechtlich untragbar.

Sie haben das Thema Seenotrettung bereits angesprochen. Was wird sich an der Situation von Schiffen wie der „Lifeline“ und der „Aquarius“ ändern?

Bislang sehen wir keine Signale, dass der Kriminalisierung derjenigen, die Menschen aus der Seenot retten, entgegengewirkt wird.  Donald Tusk hat in seiner Abschlusserklärung sogar explizit davor gewarnt, die menschenrechtlich problematischen Operationen der libyschen Küstenwache zu behindern.

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