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„In meinem Büro wird es bald eine Spielecke geben“

Foto: michaelbloss.eu

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Mit einem Tweet gab Michael Bloss (Die Grünen) bekannt, dass sich die Prioritäten in seinem Leben verschoben haben. Sechs Wochen lang ist er nur noch Teilzeit-Abgeordneter im EU-Parlament  – weil er sich ab jetzt jeden Tag bis zum Nachmittag um seine fünf Monate alter Tochter kümmert. Die Reaktionen auf diese Bekanntmachung waren fast ausschließlich positiv. Trotzdem: Sein Schritt stößt eine Debatte über die Vereinbarkeit von Elternzeit und Politiker*innenberuf an.

jetzt: Michael Bloss, ist dieses Interview denn überhaupt mit Ihrer Elternzeit zu vereinbaren?

Michael Bloss: Ja, das ist noch im Rahmen. Ich bin in Elternteilzeit. Das heißt bis 15 Uhr habe ich meine Kleine und kümmere mich um sie, während meine Partnerin, eine Schauspielerin, arbeiten geht. Danach kümmere ich mich so gut es geht um die Sachen, die ich einfach machen muss.

Und das System funktioniert??

Nicht immer. Zum Beispiel hatten wir heute morgen Abstimmungen. An denen muss und will ich weiterhin teilnehmen. 

Wie lang sind Ihre Arbeitstage?

Gestern ging es bis 22 Uhr. Ich muss mich noch einfinden und eine Balance hinbekommen. Es kann ja nicht sein, dass ich jetzt in Elternteilzeit die gleiche Arbeit mache, wie wenn ich Vollzeit arbeite – nur jetzt eben ein bisschen später. Dafür würden die 24 Stunden, die es am Tag gibt, auch gar nicht ausreichen. 

Ich merke, dass ich durch diesen Schritt den Finger in eine Wunde gelegt habe

Wie sieht diese Balance aus? Was bleibt, was fällt weg?

Generell will ich weiterhin alles machen, wo ich die direkte Verantwortung gegenüber den Wählerinnen und Wählern trage. Die Abstimmungen. Oder, dass ich weiterhin an den Gesetzesentwürfen arbeite, für die ich zuständig bin. Auf der anderen Seite: Ein Frühstück mit Stakeholdern; die sind zwar auch wichtig, aber auf die verzichte ich jetzt für diese Zeit.

Können Sie denn von zuhause aus abstimmen, oder müssen Sie immer extra ins Parlament pendeln?

Durch die Pandemie gibt es im Europäischen Parlament die Möglichkeit, seine Stimme auch zuhause abzugeben. Das ist aber im Politikbetrieb selten, in anderen Parlamenten ist das nicht möglich. Es wäre aber sehr wichtig, dass wir das auch nach der Pandemie weiter so machen könnten, damit Politiker sein und Familie auch miteinander zu vereinbaren ist. 

Was würden Sie sich denn vom EU-Parlament wünschen, um Ihnen die Elternzeit zu erleichtern.

Bei mir ist das ja eine selbstverordnete Elternteilzeit. Denn es gibt im Europäischen Parlament gar nicht die Möglichkeit, Elternzeit zu beantragen. Ich merke, dass ich durch diesen Schritt den Finger in eine Wunde gelegt habe. Es ist nicht zeitgemäß, dass es im EU-Parlament unmöglich ist, Elternzeit zu nehmen. Ich überlege, eine Initiative im Parlament zu gründen, damit wir das verändern. In Schweden geht es, dass ein anderer Parlamentarier für diese Zeit nachrückt, die Aufgaben übernimmt und dann wieder den Platz frei macht. Auch in Baden-Württemberg gibt es die Möglichkeit, dass die Parlamentspräsidentin sagt, dass man für eine gewisse Zeit nicht mehr erscheinen muss und es keine Auswirkungen auf die politischen Abstimmungsverhältnisse hat.

In meinem Büro wird es bald eine Spielecke geben

War Ihnen vorher bewusst, dass es für Politiker*innen sehr schwer ist, den Beruf mit dem Elternsein zu vereinbaren ist?

Das war mir schon bewusst. Aber es ist trotzdem ein krasses Problem. Aber es ist natürlich in ganz vielen Bereichen so, dass Beruf und Familie nur sehr schwierig mit Kindern zu vereinbaren sind. Und selbst wenn – anders als im Europäischen Parlament – die rechtlichen Grundlagen da sind, um Elternzeit zu nehmen, wird teilweise trotzdem Druck vom Arbeitgeber ausgeübt, dass diese nur wenig oder gar nicht genommen wird.

Gibt es denn im EU-Parlament einen Wickelraum?

Es gibt Wickelmöglichkeiten. Aber das Problem ist, dass wegen der Corona-Regeln im Parlament keine Kinder erlaubt sind. Gerade für Frauen, die ihr Neugeborenes säugen wollen, ist das gerade ein fast unüberwindbares Hindernis. Eine Kollegin sollte neulich um 17 Uhr bei einer Debatte sprechen. Die hat sich aber derart verschoben, dass sie vor dem Parlament warten musste, als sie an der Reihe war, ihr Kind abgeben, reinrennen und die Rede halten musste.

Wird man Sie denn, wenn die Elternzeit vorbei ist, mit Babytrage im Parlament sitzen sehen?

Ich gehe davon aus. Mein Lebensmittelpunkt ist Stuttgart, aber es wird auch vorkommen, dass ich mit der Kleinen nach Brüssel pendeln muss. In meinem Büro wird es bald eine Spielecke geben.

„Es geht einfach nicht, dass Männer sich im Beruf dafür rechtfertigen müssen, wenn sie Elternzeit nehmen wollen“

2018 wurde die Abgeordnete Madeleine Henfling aus dem Thüringer Landtag geworfen, weil sie ihr Baby in einer der Trage dabei hatte. Haben Sie damals schon darüber nachgedacht, dass Ihnen so etwas passieren könnte?

Das ist ehrlich gesagt ein Trauerspiel und natürlich denkt man sich, so darf das nicht sein. Damals begann ich mich auf die Europawahl vorzubereiten und wollte ein starkes Ergebnis für die Klimawende in Brüssel schaffen. Mir war zu dem Zeitpunkt noch gar nicht klar, welche Regeln dazu in Brüssel gelten – als falsch empfunden habe ich es definitiv.

Die ersten fünf Monate, die ihre Tochter auf der Welt war, haben Sie noch in Vollzeit gearbeitet. Was hat Ihnen denn in dieser Zeit gefehlt?

Als Parlamentarier haben wir in Spitzenzeiten bis zu 75-Stunden-Wochen. Da ist einfach nicht mehr viel Zeit für meine Tochter geblieben. Ich habe dann immer wieder gesagt bekommen: „Schau mal, was sie jetzt schon kann.“ Diese Entwicklungsschritte mitzubekommen, ist etwas Wunderschönes, und macht Spaß. Darauf freue ich mich sehr und genieße dieses Privileg, näher dran sein zu können. Ich merke schon jetzt, dass ich eine viel bessere Bindung zu meiner Tochter bekomme. Das ist so eine wichtige Zeit.

In Deutschland ist die rechtliche Grundlage für eine Väter-Elternzeit eigentlich da. Dennoch gehen Frauen durchschnittlich 14,5 Monate in Elternzeit, Männer nur 3,7 Monate. Wie kriegt man denn mehr Männer dazu, in Elternzeit zu gehen?

Zum einen muss es auch für Männer zur Selbstverständlichkeit werden. Es geht einfach nicht, dass Männer sich im Beruf dafür rechtfertigen müssen, wenn sie Elternzeit nehmen wollen. Das sollte kein Problem für die Karriere sein – weder für Männer noch für Frauen. Man lernt neue Fähigkeiten, wie Achtsamkeit und weniger egozentrisch zu denken, die man – gerade als Führungskraft – auch im Beruf anwenden kann. Man sollte das jedem Mann gönnen, dass er sich diese Zeit nehmen kann.

Viele Männer berichten von Mobbing von Kollegen und Führungskräften am Arbeitsplatz, wenn sie Elternzeit nehmen. Kann die Politik Männer davor schützen?

Die gesetzlichen Grundlagen, dass man sich einfacher dagegen wehren kann, müssen verbessert werden. Dass der Chef dich zwar nicht rausschmeißt, aber dir andere Aufgaben gibt und dir Verantwortung nimmt, ist aber sehr schwer gesetzlich zu reglementieren und zu überprüfen. Viel mehr braucht es eine gesellschaftliche Debatte. Es muss normal sein, als Vater auch für seine Familie da zu sein. Die Chefs müssen sich verändern und sagen: Es ist cool, dass du das machst. Nimm die Erfahrung mit, komm zurück und verstärke dadurch unser Team. 

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