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Landtagswahl Thüringen 2019: Junge Wahlkämpfer sprechen über Drohungen und Übergriffe
Wenige Tage vor der Landtagswahl in Thüringen am Sonntag häufen sich die Drohungen und Übergriffe gegen Politikerinnen und Politiker aller Parteien. Mike Mohring, Spitzendenkandidat der CDU, erhielt Briefe, in denen unter anderem stand, man werde ihn „niederstechen“. Auch Politikerinnen und Poltiker der Grünen, der FDP und der Linken wurden bedroht, erst vor wenigen Tagen ging ein Wahlkampflaster der AfD in Flammen auf. Der Hass begegnet dem Spitzenpersonal – aber auch denen, die seit Wochen auf der Straße für ihre Partei werben: den oftmals jungen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern. Wir haben mit drei von ihnen gesprochen.
„Es ist keine neue Zuspitzung. Es ist normal“
Katja Maurer, 28, sitzt im Stadtrat von Erfurt und macht Wahlkampf für Die Linke. Sie ist Mitarbeiterin einer Landtagsabgeordneten.
„Erst vor ein paar Minuten wurden wir mit Champignons beworfen. Ein Mann kam zu uns, als wir gerade Flyer in Briefkästen gesteckt haben. Erst schimpfte er ein bisschen rum. Dann kippte er die Pilze über einem befreundeten Wahlkämpfer aus und fuhr uns später sogar noch nach. Solche Vorfälle und Drohungen heben bei uns niemanden mehr aus den Latschen. Das kennen wir alles von persönlichen Gesprächen und vorherigen Wahlkämpfen. Manche Abgeordnete bekommen täglich Drohanrufe und Drohmails. Es ist keine neue Zuspitzung. Es ist normal.
Was neu ist, ist dieser Kulturkampf. In Thüringen kämpfen wir als Linke an manchen Orten gegen die AfD um den ersten Platz. Auch deshalb polarisiert der Wahlkampf. Klingelt man bei den einen an der Tür, heißt es: ‚Bodo Ramelow, echt cooler Ministerpräsident.‘ Klingelt man beim nächsten, hört man: ‚Verpisst euch. Hängt euch auf.‘ Hinzu kommt bei mir, dass sich viele mittlerweile von der bloßen Präsenz junger Frauen angegriffen fühlen. Die Leute reden dann von Greta Thunberg und Carola Rackete, die sie verabscheuen, und werfen mir vor, ich sei arbeitsscheu und asozial.
Vor ein paar Wochen bin ich durch die Erfurter Innenstadt gelaufen, um ein Plakat an einer Laterne aufzuhängen. Das war am Theaterplatz, eine ziemlich bürgerliche Gegend. Auf einmal stürmten zwei Menschen, vielleicht um die 50 Jahre alt, aus einer Fleischerei auf mich zu. Er hatte noch die Fleischerschürze hat, sie war wohl die Inhaberin des Geschäfts. ‚Das hängt hier nicht‘, rief die Frau und zeigte auf das Plakat. Dann zogen sie mir das Plakat mit Gewalt aus den Händen und nahmen es mit in den Laden. Die Polizei kam zum Glück sehr schnell. Ich habe Anzeige erstattet. Was mich aber am meisten schockierte, war die Tatsache, dass mir keiner der Passantinnen und Passanten half. Seitdem bin ich im Wahlkampf nicht mehr allein auf der Straße unterwegs.“
„Kapitalistenschwein, scheiß Neoliberaler – diese Beleidigungen treffen mich nicht persönlich“
Florian Bayer, 20, ist Jura-Student in Jena und macht Wahlkampf für die FDP.
„Der Wahlkampf auf der Straße macht Spaß. Meistens jedenfalls. Außer man hat das große Pech, einen Stand der AfD neben sich zu haben. Ja, man kann sich seine Nachbarn nicht aussuchen. Aber das bringt meist großen Gegenprotest mit sich. Jena ist eine sehr linke Stadt, hier leben viele Studenten. Und wenn die AfD hier ihren Stand hat, dann kommen meist acht, neun Gegendemonstranten. Und dazu noch mal drei Mannschaftswagen der Polizei. Unser FDP-Stand ist dann auf einmal ziemlich egal. Es geht nur noch hin und her zwischen der AfD auf der einen Seite und dem Gegenprotest auf der anderen Seite.
Manchmal rückt unser Stand dabei doch in den Fokus. Da sind dann zum Beispiel Gegendemonstranten, die Schilder dabei haben, auf denen ‚Against Capitalsm‘ steht. Oder es werden Sprüche zu uns gebrüllt wie ‚Scheiß Neoliberaler‘ oder ‚Kapitalistenschwein‘.
Die Beleidigungen treffen mich nicht persönlich, aber die Stimmung ist aufgeheizter in diesem Wahlkampf als bei den letzten Wahlen. Es ist ein Wahlkampf der Extreme, mit der AfD und der Linken als stärksten Parteien. Wir als FDP und Partei der Mitte wollen uns von diesen Extremen abgrenzen. Aber manchmal ist das nicht leicht. Letztens habe ich eine ältere Dame auf der Straße angesprochen, sie sah sehr bürgerlich aus. Ich wollte ihr einen Flyer geben. Da winkte sie nur ab. Ich rief ihr zu ‚Schönen Tag noch!‘. Sie drehte sich um und schrie: ‚Fick dich ins Knie!‘. Das hat mich schon schockiert.
Wenn ich gegen neun oder zehn Uhr abends, nach den Vorlesungen und Seminaren, noch in den Wohnblöcken Flyer verteile, bin ich mittlerweile vorsichtiger geworden. Sehe ich andere Menschen vor den Briefkasten rumstehen, mache ich erst einmal einen größeren Bogen um den Block. Da gehe ich dann lieber auf dem Rückweg vorbei, wenn niemand mehr da ist und mich sieht. Wenn ich Plakate aufhängen gehe, ist es mir lieber, es gemeinsam mit anderen Wahlkämpfern zu machen. Die Drohungen und Beleidigungen finde ich ärgerlich. Aber ich versuche sie wegzuschieben. Die meisten Leute, die so aggressiv sind, tun nur so.“
„Mit diesen Leuten kann man nicht diskutieren“
Alex Neumüller, 29, macht Wahlkampf für die CDU im Saale-Orla-Kreis. Er ist Büroleiter eines Landtagsabgeordneten.
„Mir ist Anstand sehr wichtig, da bin ich kernkonservativ. Natürlich, auch am Stammtisch im Dorf bekommt man mal einen doofen Spruch an den Kopf geknallt. Das gehört dazu. Auch beim Haustürwahlkampf habe ich in den Gesprächen nur gute Erfahrungen gemacht. Aber was ich in diesem Wahlkampf auf der Straße erlebe und auch auf Facebook, das hat eine neue Qualität. Da wünschen Menschen anderen Menschen, dass sie ersaufen sollen. Man ist weg vom Reden und geht direkt über zur Drohung – und jetzt es trifft alle Parteien.
Früher war das anders. Seit fünf Jahren mache ich Politik bei der CDU. 2014 war Angela Merkel bei uns zu Besuch. Auch da gab es Gegenprotest, aber es war nicht so aufgeheizt. Vor kurzem war Jens Spahn da. Da kamen Impfgegner, die gegen ihn demonstriert haben, und ich war erstmal fassungslos. Ein Gesundheitsminister, der Personenschutz braucht, wenn er auf dem Land zu Besuch ist? Ich weiß nicht, ob das vor fünf Jahren schon notwendig gewesen wäre.
Zum Wahlkampf gehört es, Plakate zu kleben. In diesem Wahlkampf kam es schon drei oder vier Mal vor, dass man verbal angegangen wird. Die Leute rufen: ‚Das kannst du dir sonst wohin schieben.‘ Oder sie fordern direkt, dass wir das Plakat wieder abhängen sollen. Ich weiß, wer sowas sagt, hat manchmal schon fünf Bier getrunken und ist nicht mehr ganz zurechnungsfähig. Aber dahinter steckt eine ernsthafte diffuse Unzufriedenheit. Irgendetwas passt den Leuten nicht und dann behaupten sie: ‚Ihr von der CDU habt die Flüchtlinge ins Land gelassen!‘. Mit diesen Leuten kann man nicht diskutieren. Wer sich den Mut fasst, einem so was ins Gesicht zu brüllen, der ist festgelegt in seinen Ansichten. Ich sage dann einfach ganz ruhig: ‚Okay. Das ist Ihre Meinung. Aber das muss man ja nicht genauso sehen.‘ Bei uns in der Gegend habe ich keine Angst. Ich fühle mich sicher hier. Mit blöden Sprüchen kann ich umgehen.“