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Eine Psychologin wehrt sich gegen das österreichische Verhüllungsverbot
Nora Först war am 11. Oktober nachts auf dem Weg zur Straßenbahn, als zwei Polizisten sie anhielten. Die 28-jährige Psychologin, die an der Uni Wien forscht und lehrt, trug einen Schal. Weil sie aufs Handy und daher nach unten schaute, verdeckte dieser Schal zur Hälfte ihr Gesicht. Seit kurzem reicht das, um in Österreich von Polizisten angehalten zu werden.
Denn das Gesichtsverhüllungsverbot, das seit 1. Oktober in Kraft ist, untersagt jegliche Maskierung in der Öffentlichkeit – mit Ausnahmen wie beruflichen Gründen oder traditionellen Festen à la Fasching. Schalverhüllung aus Kältegründen ist dabei wohl ein Grenzfall. Ein Sprecher der Wiener Polizei meinte diesbezüglich gegenüber dem Standard, dass ein Schal über dem Mund „wohl erst bei Frost und Minusgraden“ okay sei.
Das Verhüllungsverbot stiftete bislang Verwirrung und löste Protest aus. Und obwohl es dabei angeblich um Sicherheit gehen soll, deuten die Zahlen bislang auf etwas anderes hin: Die Amtshandlungen in den ersten zwei Wochen seit Bestehen des Gesetzes betrafen in Wien vier Frauen mit muslimischer Gesichtsverschleierung und 26 aus Protestzwecken Verhüllte oder unwissende Frierende und Touristen.
Das Angebot der Polizisten, sofort 50 Euro Strafe zahlen zu können, lehnte Nora ab. Stattdessen will sie jetzt mit ihrem Anwalt Georg Zanger vor Gericht ziehen. Was genau passiert ist und noch passieren wird, erzählt Nora uns im Interview.
jetzt: Nora, du wirst gerade zur Galionsfigur gegen das Anti-Verhüllungsgesetz gemacht. Wie kam das?
Nora Först: Ich war am Weg zur Straßenbahn, hatte einen Schal um und habe am Handy getippt. Plötzlich wollten zwei Polizisten meinen Ausweis sehen. Der eine Beamte war während des gesamten Gesprächs so unfreundlich, dass ich ihn immer wieder gebeten habe, respektvoll und ruhig mit mir zu sprechen. Als ich fragte, warum ich eigentlich kontrolliert werde, hieß es: Vermummungsverbot. Ich sehe schon ein, dass mein Mund im Schal verborgen war, als ich auf mein Handy schaute. Aber als ich aufsah, konnte man mein Gesicht komplett sehen. Es war ja nicht so, dass ich den Schal festgezogen oder um den Kopf gewickelt hatte – ich hatte ihn über eine Schulter geworfen. Ich hab’s also überhaupt nicht verstanden und immer wieder nachgefragt. Schließlich boten mir die Polizisten an, dass ich auf der Stelle 50 Euro Strafe zahlen kann. Da sie mir aber nicht genau erklärt hatten, warum ich überhaupt aufgehalten wurde, weigerte ich mich natürlich. Ich entschied mich für den offiziellen Weg über die Behörden. Also bekam ich eine Strafanzeige.
Wie ging es weiter?
Ich habe in einem langen Facebook-Post beschrieben, was passiert ist, weil ich mich der Polizei gegenüber total ausgeliefert gefühlt habe. Mein Wort steht gegen das der zwei Polizisten. Da fühlt man sich so machtlos. Darauf wollte ich eigentlich aufmerksam machen. Eine Boulevardzeitung griff das Thema auf. Wenig später schrieb mir eine Dame von respekt.net. Das ist ein Verein, der verschiedenste Projekte per Crowdfunding fördert. Sie hat mir angeboten, dass der Verein die Gerichtskosten übernimmt. Und die Leute dort haben mir auch meinen jetzigen Anwalt vorgeschlagen. Ich selbst hätte ja nicht die Mittel dafür.
Was werden die nächsten Schritte sein?
Von Anfang an war klar, dass wir Einspruch einlegen. Vorhin habe ich eine Mail von meinem Anwalt bekommen. Die Polizei schickte mir eine „Aufforderung zur Rechtfertigung“, die ich bis zum 11. 11. in schriftlicher Form oder persönlich ablegen muss. Am Ende dieses Schreibens steht die Beschreibung meiner sogenannten Verwaltungsübertretung: „Sie hat einen Wollschal getragen.“ Wäre das alles nicht unfassbar tragisch, könnte es richtig lustig sein.
Das Anti-Verhüllungsgesetz sorgte sowohl in Österreich als auch in Deutschland für viel Kritik. Was hältst du persönlich davon?
Ich muss zugeben, dass ich in letzter Zeit so eingebunden in meine Arbeit an der Uni war, dass ich das Verhüllungsverbot zunächst kaum auf dem Schirm hatte. Das ist mir schon unangenehm, weil ich mich sonst als politisch interessierten Menschen sehe. Nachdem ich selbst am eigenen Leib erfahren habe, was es mit diesem Gesetz auf sich hat, bin ich absolut motiviert, dagegen anzugehen und es hoffentlich zu Fall zu bringen. Das liegt mir wahnsinnig am Herzen.
Warum?
Es ist durch und durch absurd und widersprüchlich. Ich finde, es hat drei Facetten: Die eine ist die Religionsfrage. Es ist offensichtlich, dass das Gesetz extra so schwammig formuliert ist, weil es eigentlich nur auf muslimisch-religiöse Verhüllung abzielt. Das könnte man aber zum Glück nie als Gesetz erlassen, weil es gegen die freie Religionsausübung verstößt.
Die zweite ist der Sexismus, der da drinsteckt. Angeblich soll es ja auch dem Schutz der Frauen dienen. Wie absurd: Männer denken sich ein Gesetz zum Schutz der Frauen aus, das aber bedeutet, dass oft männliche Polizisten Frauen bitten, sich zu enthüllen.
Die dritte betrifft die Bevölkerung selbst: Ich finde es wahnsinnig tragisch, dass sich die Leute nur mehr darüber aufregen, dass nicht-religiöse Vermummte betroffen sind. Als wäre es in Ordnung, wenn nur muslimische Frauen betroffen sind. Es ist doch wurscht, ob mich das Gesetz betrifft oder eine Frau, die sich mit ihrem Kopftuch verhüllt.
Musstest du viel Kritik für dein Engagement einstecken?
Ich kriege wirklich schlimme Mails und Kommentare. Eine Person habe ich durch meinen Anwalt anzeigen lassen, weil sie arge rechtsextreme Sachen auf meine Facebook-Seite gepostet hat. Es gibt bei den Reaktionen alles, was man sich an Menschenverachtung vorstellen kann: Sexismus, Rassismus, Rechtsextremismus, aber auch Hass gegen die Polizei.
Erhältst du auch Rückendeckung?
Ich bekomme täglich Nachrichten, die mir Mut machen. Erst heute habe ich eine Mail von einem Mädel bekommen, das mich gebeten hat, dass ich das Ganze durchziehe. Dass sie sich vorstellen kann, wie schwer das alles ist. Aber dass sie mich als Vorbild sieht für Frauenrechte und Religionsfreiheit. Das ist die schöne Seite an diesem ganzen Schal-Eklat. Ich werde auf jeden Fall durchhalten und hoffe, dass es sich am Ende gelohnt hat und wir dieses Gesetz wieder loswerden.
Hältst du es überhaupt für möglich, das Gesetz zu kippen?
Mein Anwalt hält das definitiv für möglich. Ich habe den Eindruck, dass alle nur darauf gewartet haben, dass es einen Präzedenzfall gibt. Denn damit kann man vor Gericht gehen. So wird endlich mal die offizielle Entscheidung getroffen, ob das Gesetz überhaupt rechtmäßig ist oder nicht. Wir hoffen sehr, dass wir an höhere Gerichte kommen, zum Beispiel an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.