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Diskussion um Wurststraße in Issigeac, Frankreich
In der kleinen, südwestfranzösischen Gemeinde Issigeac gibt es eine Gasse, die übersetzt den Namen „Wurststraße“ trägt. Das soll sich ändern – zumindest, wenn es nach der Tierschutzorganisation Peta geht. Die fordert eine Umbenennung. Wir haben bei Jean-Claude Castagner angerufen, der 66-Jährige ist pensionierter Schuldirektor und seit 2008 Bürgermeister von Issigeac.
jetzt: Monsieur Castagner, Sie sind Bürgermeister eines kleinen Örtchens namens Issigeac – und das ist plötzlich Thema in allen französischen Zeitungen. Es geht um die „Rue de la saucisse“, also die Wurststraße. Was ist denn da los?
Tja, das ist wirklich eine ungewöhnliche Sache. Vor etwa zwei Wochen erhielt ich eine E-Mail der Tierrechts-Organisation „Peta“, die mich aufforderte, die Rue de la Saucisse bei uns im Ort umzubenennen – in „Rue de la Soycisse“, in Anlehnung an das englische Wort für Soja. Sollte ich zustimmen, wollten sie den Bewohnern der genannten Straße eine Auswahl an „leckeren veganen Würsten“ anbieten. Ich habe erst gedacht, da erlaubt sich jemand einen Scherz mit mir.
Und wie denken Sie jetzt darüber?
Ich finde, die sollten ihre Würste lieber einem wohltätigen Zweck spenden. Das Ganze erscheint mir eher eine Publicity-Aktion zu sein als ein ernsthaftes Anliegen. Tierrechte sind ja etwas Schützenswertes, aber diese Organisation ignoriert hier vor lauter Übereifer schlicht die Fakten. Unsere Rue de la Saucisse hat nämlich mit Tieren, Würsten oder Fleisch überhaupt nichts zu tun. Übrigens ist es keine richtige Straße, eher eine Gasse. Sie hat bloß drei Häuser, von denen auch nur eines permanent bewohnt wird.
Weshalb heißt sie dann so, wenn es gar nicht um die Wurst geht?
„La Saucisse“ war der Spitzname einer Frau, die früher in dieser Straße gelebt hat. Sie hieß Suzanne Tessier und war ein Unikum im Dorf, jeder kannte sie, aber eben nur als „die Wurst“. Den Spitznamen bekam sie mutmaßlich wegen ihres Erscheinungsbildes. In den 60er Jahren ist sie gestorben, und heute erinnert uns dieses Straßenschild an sie und ihr Schicksal. Sie führte ein Leben in Armut, zusammen mit ihrer Mutter, ohne nennenswertes Sozialleben. Stattdessen wohnten die Ziegen mit im Haus.
Ist aber auch kein sehr charmanter Spitzname für eine Frau, „Die Wurst“.
Sehen Sie, das finde ich auch. Das Komische an der Sache ist: Ungefähr eine Woche, bevor das Schreiben von Peta kam, haben wir im Gemeinderat tatsächlich darüber diskutiert, die Straße umzubenennen: In den richtigen Namen ihrer Kultfigur, also in etwa „Rue Suzanne Tessier“.
Und, bekommen Sie dafür eine Mehrheit? Oder gibt es auch Einwohner, die gerne die vegane Variante hätten?
Nicht dass ich wüsste. Aber das mit dem Soja ist ja auch Unsinn, da sind wir uns hier alle einig, denke ich. In der jetzigen Form finde ich den Namen der Straße aber einfach unangemessen, um an eine Frau zu erinnern, die es wirklich nicht leicht gehabt hat im Leben und doch ein Teil dieser Gemeinde war. Deshalb habe ich schon vor längerem angeregt, den Namen auf dem Schild zumindest zu ergänzen. Man muss ja das „Saucisse“ nicht komplett entfernen.
„Bevor Sie fragen: Natürlich sind auch Veganer willkommen“
Das heißt, die Rue de la Saucisse ist unter diesem Namen ohnehin bald Geschichte?
Ja. Aber in dieser Frage sind die Bürgerinnen und Bürger hier tatsächlich ziemlich gespalten. Die einen sehen es ähnlich kritisch wie ich. Aber viele sagen auch: Der Name soll bleiben, wie er ist, denn er ist Teil unserer Geschichte. Die einzige Bewohnerin der Rue de la Saucisse findet das übrigens auch. Sie wohnt in dem Haus, in dem Suzanne Tessier lebte, und weil diese keine Kinder hatte, hält nun eben sie die Erinnerung an das Leben dieser Frau wach.
Zurück zum Thema Wurst. Die isst man bei Ihnen aber schon auch, oder?
Eigentlich sind wir als Genussregion vor allem berühmt für Confit de canard und Foie gras, also Enten- und Gänseleberpastete. Aber wir waren ja längst nicht die einzigen, die Peta angeschrieben hat! Caen in der Normandie hat auch Post bekommen. Die sollten ihre „Rue aux Fromages“ in „Rue aux Fauxmages“ umbenennen.
Ein Gutes könnte das Ganze ja haben: Über einen Schwung Touristen würden Sie sich doch bestimmt freuen.
Oh, wir haben schon jetzt viele Besucher, schließlich ist Issigeac ein sehr hübsches Städtchen mit einer bedeutenden mittelalterlichen Geschichte. Außerdem haben wir den schönsten Wochenmarkt in ganz Aquitanien! Aber klar, ein paar mehr schaden nicht. Und bevor Sie fragen: Natürlich sind auch Veganer willkommen.