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„Meine Behinderung ist ein positiver Teil von mir“

Foto: BSVH / Privat

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2015 erklärte der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio den Monat Juli offiziell zum „Dis

ablity Pride Month“ (DPM). Anlass war das 25-jährige Bestehen des Americans with Disablitiy Act (ADA) von 1990. Dabei handelt es sich um ein US-amerikanisches Bundesgesetz, das die Benachteiligung von Menschen mit Behinderung in Unternehmen und Institutionen verbietet. Seitdem tragen Menschen mit Behinderungen jedes Jahr ihre Forderungen auf die Straße und in die Öffentlichkeit. Sie weisen auf gesellschaftliche Missstände hin und wollen vor allem eins: ihrer Stimme Gehör verleihen. In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren nur in Berlin eine „Pride Parade“ mit Veranstaltungen und einer Demonstration, die nur einen halben Tag lang stattfand. Einen Disability Pride Month gibt es hingegen noch nicht. Wir haben mit drei Menschen gesprochen, die einen Disability Pride Month auch in Deutschland fordern.

„In Deutschland haben wir leider immer noch das Mindset, dass wir uns für unsere Behinderung schämen und verstecken müssen“

protokolle disability pride month galerie paula stuebs

Foto: Privat

Paula Stübs, 22, Studentin

„In den USA wird der Disability Pride Month bereits groß gefeiert. Dort ist die Behinderung Teil der Identität. In Deutschland haben wir leider immer noch das Mindset, dass wir uns für unsere Behinderung schämen und verstecken müssen. Behinderung ist bei uns kein Thema, über das man gerne redet. Es wird zwar akzeptiert, aber gilt nicht als etwas Gutes. Wir brauchen daher unbedingt einen neuen Ansatz – und den finden wir im Disability Pride Month. Dadurch können wir sichtbar sein und auch Menschen ohne Behinderung zeigen, dass wir stolz auf uns sind. Gleichzeitig ist es auch für unsere eigene Community wichtig, dass wir uns gegenseitig unsere positiven Seiten zeigen können und uns in unserer Identität stärken können.

Ich habe mich selbst in den letzten Jahren immer mehr mit meiner Behinderung identifiziert und das Interesse entwickelt, andere Menschen zu suchen, die auch mit einer Behinderung leben und mit denen ich mich austauschen kann. Mittlerweile bin ich Teil von inklusiven Gruppen und suche explizit den Kontakt. Viele Gruppen, wie auch die LGBTIQ*-Community, haben einen Pride Month. Zwischen diesen Gruppen gibt es aber auch Überschneidungen, zu denen ich ebenfalls gehöre. Momentan ist es aber vor allem wichtig, dass wir uns online zeigen, denn durch die Covid-19-Situation sind wir noch isolierter und es ist nötig, dass wir aktiv bleiben, um nicht vergessen zu werden.“

„Der Pride Month soll nicht zu einem Wohlfühlmonat werden“

protokolle disability pride month galerie

Foto: BSVH

 

Heiko Kunert, 43, Geschäftsführer des Blinden und Sehbehinderten Vereins in Hamburg

„Meine Behinderung ist ein positiver Teil von mir! Das ist die Botschaft der Pride Parade, die in den letzten Jahren in Berlin stattgefunden hat. Menschen sind mit Stolz und Lebensfreude auf die Straße gegangen. 

In Zeiten von Corona gibt es keine Parade, aber das Internet bietet eine gute Chance, unsere Botschaften trotzdem zu transportieren. Die sozialen Medien bieten auch einen Vorteil. Wenn ich auf Twitter mit einer Person schreibe, dann spielt meine Behinderung erst mal keine Rolle. Wir begegnen uns auf Augenhöhe. So komme ich mit vielen Menschen in Kontakt, die in ihrem Alltag keine blinden Menschen kennen. Die meisten stellen Fragen und wollen lernen und sind dann total dankbar, dass ich ihre Fragen beantworte.

Aber ich habe auf Twitter auch schon schlechte Erfahrungen gemacht. In einem Blogeintrag habe ich mich zum Beispiel mal über aufgedrängtes Mitleid in der Öffentlichkeit ausgekotzt. Ich war in der S-Bahn und eine Frau hat mir ungefragt ihr Mitleid ausgesprochen und ihre Hilfe angeboten. In dem Moment brauchte ich aber gar keine Hilfe. An den meisten Tagen ist das kein Problem, aber manchmal nervt das einfach. Deshalb habe ich meinem Ärger auf Twitter Luft gemacht. Von Leuten ohne Behinderung kam daraufhin viel Unverständnis und Trotz. Ich solle mich doch über Hilfe freuen und dankbar sein, hieß es.

Der Pride Month soll nicht zu einem Wohlfühlmonat werden. Klar, wir wollen uns feiern und stolz sein. Aber gleichzeitig wollen wir auch deutlich machen, dass wir im Alltag ständig behindert werden – durch Gesetze, durch die Infrastruktur, durch Diskriminierung. Es ist wichtig, das Leben zu feiern, aber genauso wichtig ist es, auf die Missstände aufmerksam zu machen.“

„Wir wollen das Recht haben, anders zu sein“ 

Mélina, 40, Aktivistin und Pressesprecherin des Berliner Bündnisses „Pride Parade“

„Wir organisieren in Berlin jedes Jahr die ‚Pride Parade‘, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzt. Dieses Jahr mussten wir sie durch Covid-19 absagen. Das ist schade, weil es für viele Menschen der Höhepunkt im ganzen Jahr ist. Auf der einen Seite ist das schön, auf der anderen aber auch ernüchternd, dass es nur diesen einen Tag gibt. Deshalb befürworten wir auf jeden Fall einen DPM. So richtig konnten wir darüber noch nicht diskutieren, weil wir seit Anfang März unsere Plena abgesagt haben. Aber ein DPM hat viele Chancen: Er wird uns eine öffentliche Bühne geben und wir können unsere eigenen Geschichten erzählen.

Wir in unserem Bündnis benutzen Begriffe wie ‚Freaks‘, ‚Krüppel‘ oder ‚Verrückte‘, weil wir uns die Begriffe aneignen wollen, durch die wir diskriminiert werden. Wir wollen damit zeigen, wie wir auch durch Sprache ausgegrenzt werden und dass dies ein gesellschaftspolitisches Problem ist. Schon der Begriff Inklusion bedeutet, dass wir eine Gesellschaft haben, die uns ausschließt. Wir fordern Selbstbestimmung und kämpfen gegen Normativität. Wir wollen das Recht haben, anders zu sein, und eine Gesellschaft, die sich an die Bedürfnisse jeder Person anpasst. Deswegen kämpfen wir.

Momentan wird eher über uns anstatt mit uns geredet. Wir werden weder in Filmen, Büchern oder TV-Shows repräsentiert. Und wenn doch, dann sind es oft falsche Erzählungen von bösen, hässlichen oder lügnerischen Figuren. Wir werden präsentiert als etwas, das wir nicht sind. Dabei möchten wir mit der Parade selber Vorbilder sein und dafür ist auch der DPM so wichtig, denn dabei können viel mehr Menschen uns wahrnehmen, wie wir sind, stolz, schön und vielfältig.“

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