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Der Politikwissenschaftler und Halbbrite Alexander Spencer über den Brexit
Der Politikwissenschaftler Alexander Spencer, 35, ist Halbbrite. Er lebt in München, wo er am Geschwister-Scholl-Institut lehrt. Und versucht gerade, seine Landsleute zu verstehen, die gestern beim Brexit-Referendum für den Austritt Großbritanniens aus der EU gestimmt hat.
Alexander, wie war heute dein Morgen?
Durchaus schockierend, muss ich sagen. Ich hatte bis zum Ende gedacht, dass es klappen würde, dass die Brexit-Gegner gewinnen würden. Dass am Ende die Befürworter mit zwei Prozentpunkten führen, hätte ich nicht erwartet. Das schien jeder Logik zu widersprechen. Alle Experten, alle Wissenschaftler haben gesagt, dass der Brexit Irrsinn ist. Aber jedem logischen Argument wurden Emotionen entgegengestellt. Und mit diesen Gefühls- und Hass-Argumenten konnten die Gegner anscheinend besser mobilisieren. Die Brexit-Gegner konnten die positiven Aspekte des Verbleibs in der EU einfach nicht an den Mann bringen.
Warum?
Das Thema scheint einfach zu komplex für viele Menschen zu sein. Generell gibt es ja diesen Trend zum Populismus und zur Vereinfachung komplizierter Sachverhalte. Donald Trump macht das so ähnlich, indem er eine einfache Lösung („Wir bauen eine Mauer") für ein sehr, sehr komplexes Problem präsentiert.
Das würde erklären, warum viele Menschen erst nach der Wahl gegoogelt haben, was der Brexit für sie bedeuten könnte.
Mich hat in diesem Wahlkampf besonders erschreckt, dass auf einmal jede Art von Expertenmeinung als nicht mehr legitim galt. Dass Argumente von Wissenschaftlern von Brexit-Befürwortern als pure Angstmache dargestellt wurden, dass Leute gesagt haben: Wir haben die Schnauze voll von Experten. Wenn die Meinung von Leuten, die von einer Materie durchaus Ahnung haben, als illegitim betrachtet wird, dann haben wir ein echtes Problem. Aber genau das sieht man ja auch in anderen Regionen der Welt. Siehe Trump, siehe die Leugner des Klimawandels. Da, wo Experten eindeutig einer Meinung sind, was selten genug vorkommt, werden ihre Aussagen als voreingenommen dargestellt.
Wie erklärst du dir das Ergebnis?
Letztendlich haben Angst und Elemente des Hasses schon die ganze Zeit den Wahlkampf dominiert. Und zwar auf beiden Seiten. Das Hauptthema der Brexit-Befürworter war ja Immigration und die Angst, die Kontrolle über die eigenen Grenzen zu verlieren. Das merkt man zum Beispiel auch daran, dass auf dem Land sehr viele für den Brexit gestimmt haben, und in der Stadt die große Mehrheit für den Verbleib. Wo verschiedene Kulturen einander begegnen, da versteht man den Wert einer Gemeinschaft. Aber wo man keine Fremden sieht, ist die Angst groß. Das ist ja bei den AfD-Wählern nicht anders. In Sachsen, wo es so gut wie keine Ausländer gibt, haben die viele Wähler, in Städten wie München oder Berlin, wo viele Ausländer leben, nicht.
Und die EU-Befürworter?
Auch deren Kampagne war hauptsächlich darauf aufgebaut, zu zeigen, wie schlecht es den Briten gehen würde, wenn sie aus der EU rausfallen. Und dabei haben sie vergessen zu betonen, was so großartig an der EU ist. Dass sie letztendlich Kriege verhindert, Kriege in Europa.
Was bedeutet die Tatsache, dass die unter 25-Jährigen sehr deutlich für den Verbleib, die über 50-jährigen sehr deutlich für den Brexit gestimmt haben?
Wahrscheinlich ist es wie in vielen anderen Ländern auch so, dass ältere Menschen tendenziell konservativer sind. Und die vielen Vorteile der EU werden ja auch eher von jungen Menschen genutzt: freies Reisen, das Erasmus-Jahr. Für die Alten waren diese kulturellen Aspekte der EU vielleicht nicht so wichtig. Aber ich glaube, der Bruch verläuft auch anhand des Bildungsniveaus. Angehörige der Mittelschicht und Akademiker haben ganz klar für den Verbleib gestimmt und Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad für den Brexit.
Warum haben die Briten mit der EU so ein massives Problem?
Ich glaube, das liegt durchaus an der kolonialen Vergangenheit Großbritanniens. Ein Land, das einmal faktisch die Welt regiert hat, hat große Angst, weiter in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Und das hat Auswirkungen darauf, ob man Teil etwas Anderen, Größeren sein will, oder die eigene Unabhängigkeit als extrem wichtig erachtet. Wobei diese Unabhängigkeit in einer globalisierten Welt natürlich eine totale Illusion ist. Das ehemalige britische Empire ist letztendlich immer noch Teil der britischen Identität. Daran klammern sich viele Menschen fest.