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„Politiker*innen tun mitunter so, als ob es uns nicht gibt“

Foto: Séverine Lenglet

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Mit dem „Afrozensus“ sollen erstmals demografische Daten und Daten zur Lebenssituation der Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Bevölkerung Deutschlands erhoben werden. Das Projekt basiert auf freiwilliger Teilnahme und soll Mitte Juni starten. Schon vor Beginn haben sich bisher 3 500 Menschen für eine Teilnahme registriert.

Wir haben Daniel Gyamerah, 34, zu dem Projekt befragt. Er ist Vorsitzender von „Each One Teach One“ (EOTO), einer Organisation zum Empowerment Schwarzer Menschen in Deutschland. Den Afrozensus führt EOTO gemeinsam mit „Citizens For Europe“ und dem „Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung“ durch. Finanziert wird das Ganze von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

jetzt: Daniel, warum wollt ihr Daten über Schwarze Menschen in Deutschland sammeln?

Daniel Gyamerah: Es gibt über eine Million Menschen in Deutschland, die afrikanischer Herkunft sind und teilweise schon seit Generationen hier leben. Aber sie treten kaum ins öffentliche Bewusstsein. Kürzlich hat zum Beispiel Angela Merkel bei einer Pressekonferenz darauf hingewiesen, dass Schwarze Deutsche (Anm. d. Red.: „Schwarz“ ist in diesem Fall eine Eigenbezeichnung und deshalb groß geschrieben.) immer noch gefragt werden, wo sie denn herkommen. Sowas ist dann kurz interessant, es gibt einen Aufschrei und die Leute sagen: „Wow, Merkel hat benannt, dass es Schwarze Menschen in Deutschland gibt.“ Dann schläft das Interesse wieder ein. Das ist auch insofern dramatisch, als dass wir gerade die „UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft“ haben. Die Mitgliedsländer der UN haben beschlossen, sich zwischen 2014 und 2024 gezielt für die Anliegen von Menschen afrikanischer Herkunft zu engagieren. Da passiert aber viel zu wenig. Und ein wichtiger Grund dafür ist, dass es an grundlegenden quantitativen Forschungsdaten fehlt. Deshalb haben wir gesagt: Okay, dann machen wir jetzt einfach selbst die erste Online-Befragung unter Menschen afrikanischer Herkunft.

„Es geht darum, mit diesen Daten den Rechtfertigungsdruck für die Politiker*innen zu erhöhen“

Was genau bedeutet das „Afro“ in Afrozensus?

Afrozensus deshalb, weil sich die Studie an die Menschen richtet, die sich von der Bezeichnung „Schwarz“, „afrikanisch“ und/oder „afrodiasporisch“ angesprochen fühlen. Dabei geht es um Menschen mit einem Bezug zum afrikanischen Kontinent oder mit familiären Verbindungen in die unterschiedlichen, teils jahrhundertealten afrikanischen Diasporas weltweit. Wir sprechen mit der Umfrage gezielt diese Menschen an, weil sie einem spezifischen Rassismus begegnen, der sich vom Rassismus gegenüber anderen People of Color unterscheidet. Diese geteilte Erfahrung ist auch ein wichtiger Bezugspunkt für das UN-Jahrzehnt, dass sich eben an all die genannten Gruppen richtet. 

Was soll denn gefragt werden?

Erst einmal geht es um ganz grundlegende demografische Fragen: Alter, Geschlecht, Familiensituation und so weiter. Anders als beispielsweise in den USA gibt es bei uns schlichtweg keine solche Daten, die sich gezielt auf Gruppen beziehen, die von Rassismus betroffen sind. Und dann gibt es Fragen, die dazu dienen sollen, ein besseres Verständnis der Community zu bekommen. Wie geht es Schwarzen, afrikanischen und afrodeutschen Menschen? Was sind ihre Perspektiven? Was wünschen sie sich? Inwieweit vertrauen sie welchen gesellschaftlichen Institutionen? Wo sind sie selbst gesellschaftlich engagiert? In welchen Bereichen werden sie besonders diskriminiert? 

Und was ist das Ziel der Studie? Was wird mit den Daten gemacht?

Uns ist klar, dass wegen dieser Umfrage nicht auf einmal alle aufspringen und sämtliche Forderungen der Community umsetzen. Aber wir sind überzeugt, dass sie eine entscheidende Grundlage ist. Es geht darum, mit diesen Daten den Rechtfertigungsdruck für die Politiker*innen zu erhöhen. Die tun sich teilweise immer noch schwer damit, überhaupt von „Schwarzen Deutschen“ oder „Afrodeutschen“ zu sprechen und tun mitunter so, als ob es uns eigentlich gar nicht gibt. Die Hoffnung ist, dass man mit einem Forschungsbericht etwas an dieser Einstellung ändert. Wir wollen durch den Afrozensus endlich sichtbar werden. Und fast noch wichtiger: Die Ergebnisse dienen auch den Communities selbst. Sie machen unsere interne Diversität sichtbar und können von allen benutzt werden, um uns gezielter gegenseitig zu empowern und unsere Angebote noch passgenauer gestalten zu können.

„Leider gibt es in Deutschland ein relativ defensives Verhältnis zum Thema Rassismus“

In den USA beispielsweise wird ja relativ freizügig mit Daten zur ethnischen Identität der Bevölkerung umgegangen. Woran liegt es, dass in Deutschland solche Daten bisher nicht erhoben wurden?

Die Formulierung „ethnische identität“ wird zwar gerne verwendet, ist aber ein Vermeidungsbegriff: Denn in den allermeisten Fällen geht es gerade nicht um die ethnische Zugehörigkeit – wie etwa Schwaben aus Süddeutschland und Akyem aus dem südlichen Ghana. Leider gibt es in Deutschland ein relativ defensives Verhältnis zum Thema Rassismus. Es wird viel über Rassismus gesprochen aber wenig darauf eingegangen, was Rassismus eigentlich bedeutet. Rassismus ist nicht nur Rechtsextremismus, sondern vor allem auch strukturelle Diskriminierung. Aber sobald es darum und nicht mehr um Neonazis geht, hört man immer wieder Sätze wie: „Ach, ich mache keine Unterschiede, für mich sind alle Menschen gleich.“ Und da macht man es sich zu einfach. 

Warum?

Wenn ich eine bestimmte Gruppe nicht als solche anerkenne, kann ich auch nicht auf ihre Bedürfnisse und ihre Diskriminierungserfahrungen eingehen. In Deutschland wird gerne auf Begriffe wie „Migrationshintergrund“ ausgewichen. Aber dieser Begriff berücksichtigt nicht, dass es auch Schwarze Menschen ohne Migrationshintergrund gibt, die trotzdem aufgrund ihrer Hautfarbe massiver Diskriminierung ausgesetzt sind, während zum Beispiel ein weißer Mensch, der aus Schweden nach Deutschland gekommen ist, zwar einen Migrationshintergrund hat, aber keinen Rassismus erfährt.

Es gibt große Hemmungen, überhaupt zu benennen: Es gibt Schwarze und weiße Menschen, mit der Begründung, dass man mit so einer Unterscheidung Rassismus überhaupt erst produzieren würde. Dabei geht es einfach nur darum, unterschiedliche Erfahrungen und Privilegien anzuerkennen und sichtbar zu machen. Wenn man zum Beispiel sagt: Wir wollen, dass Frauen* weniger diskriminiert werden, dann hilft es nicht, so zu tun, als ob es keine Frauen* gibt, sondern nur Menschen. Stattdessen muss man ihnen gezielt zuhören.

Das klingt einleuchtend.

Aber beim Thema Rassismus kommen da in Deutschland ziemlich schnell Abwehrmechanismen. Bei allen Problemen, die es in den USA mit rassistischer Diskriminierung gibt – man tut sich dort immerhin leichter damit, darüber zu sprechen: Wenn dort von „Race“ die Rede ist, ist eigentlich klar, dass es nicht um ein biologisches Konzept von „Rasse“ geht, sondern um ein soziales Konstrukt. In Deutschland fehlt ein äquivalenter Ausdruck, was sicher auch mit der deutschen Geschichte des Nationalsozialismus zu tun hat.

„Man ist als nicht-weißer Mensch andauernd von einem Mückenschwarm umgeben“

Besteht die Sorge, dass am Ende nur Menschen, die hier aufgewachsen und entsprechend vernetzt sind, die Fragen beantworten und damit ein schiefes Bild entsteht, weil zum Beispiel Geflüchtete unterrepräsentiert sind?

Natürlich können wir nicht alle erreichen, die wir erreichen wollen. Das ist aber ein Problem, das eigentlich jede Umfrage hat. Wir versuchen, ein möglichst umfassendes Bild Schwarzer Communities zu bekommen, indem verschiedene Organisationen, wie zum Beispiel die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland bei der Verbreitung des Fragebogens unterstützen. Außerdem gibt es die Fragen außer auf Deutsch auch Englisch und Französisch, womit wir hoffen, auch viele Menschen zu erreichen, die diese Sprachen als Erstsprache haben.

Gibt es denn auch Kritik an dem Projekt aus der Community?

Die häufigste Frage, die wir hören ist, ob die erhobenen Daten denn sicher sind. Das kann ich voller Überzeugung mit Ja beantworten. Neben dem Datenschutz ist die Anonymität der Teilnehmer*innen das wichtigste für uns. Es geht hier nicht um individuelle Angaben, sondern um Durchschnittswerte, die einen Überblick verschaffen sollen. Die Fragen greifen darüber hinaus sehr unterschiedliche Lebenssituationen auf – darunter auch die von Geflüchteten, zum Beispiel in Bezug auf Unterbringung in Geflüchtetenunterkünften.

Welche Erfahrungen hast du persönlich mit strukturellem Rassismus gemacht?

Ein Beispiel: In meinem Studium in Politik- und Verwaltungswissenschaft gab es keine einzige Lehrveranstaltung zu struktureller Diskriminierung. Die Lehrinhalte waren außerdem extrem eurozentristisch. Aber es geht nicht nur um Lehrinhalte oder bestimmte einzelne Probleme, die einfach zu benennen wären. Schwarze Studierende sind im Vergleich zu weißen Studierenden auch insgesamt einer größeren Belastung ausgesetzt. Man ist andauernd von einem Mückenschwarm umgeben. Und diese Mücken stechen einen: Ein schiefer Blick, eine rassistische Werbung, Beleidigungen, offene Ablehnungen, besondere Leistungserwartungen, erschwerte Job- oder Wohnungssuche – jeder einzelne dieser Stiche ist nicht besonders schlimm, aber in der Summe können sie die individuelle Leistung massiv beeinträchtigen. Und das betrifft nicht nur Unis, sondern alle Lebensbereiche. 

Wie könnte der Afrozensus diesen grundlegenden Formen von Diskriminierung entgegenwirken?

Es ist für Einzelne sehr schwer, mit so etwas Gehör zu finden. Weil sich Menschen, die nicht von solchen Mikroaggressionen betroffen sind, kaum wirklich in diese Lage versetzen können. Deshalb ist es auch hier wichtig, schwarz auf weiß in Form von Studien die Lebensrealität Schwarzer Menschen einfacher sichtbar zu machen. Die Studie ermöglicht hier einen Einblick in die Realität und ansatzweise auch die Auswirkungen von strukturell verankerter Diskriminierung etwa im Bildungssystem oder auf dem Wohnungsmarkt. Wenn sich da Diskrepanzen zeigen, ist es an den Communities, hier von der Politik einzufordern, diese Diskriminierung zu vermindern. Und je mehr Teilnehmer*innen die Studie hat, desto aussagekräftiger sind ihre Ergebnisse.

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