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Corona und häusliche Gewalt: Wenn das Zuhause kein sicherer Ort ist
Das eigene Heim gilt gerade mehr denn je als Ort des Schutzes. Denn wer zu Hause bleibt, senkt das Risiko, sich oder andere mit dem Coronavirus zu infizieren. Aber nicht für alle Menschen bedeutet das gleichzeitig, vor anderen Gefahren in Sicherheit zu sein. Im Gegenteil: Was das Risiko einer Infizierung senken mag, verschlimmert die Situation derjenigen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind.
Statistisch gesehen ist das Zuhause einer der gefährlichsten Orte für Frauen. Der Grund: Jede dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens körperliche oder sexualisierte Gewalt – etwa jede vierte durch den eigenen Partner. Im Jahr 2018 gab es laut Bundeskriminalamt 114 393 „versuchte oder vollendete Delikte“ der Partnerschaftsgewalt gegen Frauen in Deutschland. 122 Frauen wurden von Partnern oder Ex-Partnern umgebracht. Gefährdet von häuslicher Gewalt sind insbesondere Kinder und Frauen. Die Corona-Krise bedroht sie nicht nur insofern, dass sie sich infizieren könnten. Wenn soziale Kontakte eingeschränkt werden und Familien die meiste Zeit auf engstem Raum zusammenleben, kommt es oft zum Lagerkoller, besonders, wenn die Eltern dort auch die Kinder betreuen und arbeiten müssen. Noch dazu kann die Krise Stress, Überlastung und existenzielle Sorgen auslösen. Dann wird es noch häufiger zu Streit, Wutausbrüchen und Gewalt kommen.
Die Fälle häuslicher Gewalt werden steigen
Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) befürchtet jetzt „erhöhtes Konfliktpotential“. Man könne davon ausgehen: Die Fälle häuslicher Gewalt werden steigen. Laut Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) würden Zahlen aus China und Italien diese Entwicklung nahelegen. Auch dort gab es weitreichende Isolationsmaßnahmen und damit einhergehend einen Anstieg der Fälle häuslicher Gewalt.
Mit einem Anstieg von Gewalt gegen Frauen und Kinder rechnen auch Opferverbände. In der Konsequenz bedeutet das eine größere Belastung für Frauenhäuser. „Unsere Arbeit ist jetzt schon erschwert. Wir müssen jetzt schauen, dass wir den Betrieb aufrechterhalten – vor allem die Betreuung rund um die Uhr“, sagt Lydia Dietrich, Geschäftsführerin der Frauenhilfe München, gegenüber jetzt. Denn die Ausgangssperre mache den betreuten Frauen bereits psychisch zu schaffen – zum Beispiel, weil die Zimmer klein und der Spielplatz gesperrt ist. „Wir sind voll, aber wir waren auch vor Corona schon voll. Unsere durchschnittliche Auslastung liegt bei 98/99 Prozent. Wir könnten gerade niemanden neu aufnehmen.“ Zwar könne man zum aktuellen Zeitpunkt noch keinen Anstieg der Anfragen wegen häuslicher Gewalt feststellen. Dietrich geht aber davon aus, dass sich das bald ändern wird. Wenn man als Nachbar*in etwas mitbekommt, sollte man betroffenen Frauen „Hilfe anbieten oder im Notfall die Polizei rufen”. Die Beratung werde natürlich trotz der erschwerten Situation weiterhin stattfinden.
Frauenhäuser: Was fehlt, ist der nötige Raum
Ähnliches berichtet auch Patricia Szeiler, Leiterin vom Frauenobdach Karla 51 in München: „Unsere Anfrage-Situation ist genauso wie immer – sie ist immer hoch.“ Natürlich, das versichert sie, werde jede Frau beraten, die Hilfe sucht, aber: „Es wird aber vermutlich schwieriger, die Frauen schnell an Folgeeinrichtungen zu vermitteln.“ Das Problem sei dabei nicht unbedingt die personelle Ausstattung. Fast täglich bekomme sie Anrufe von Ehrenamtlichen, die Hilfe durch Fahrdienste oder Essenslieferungen anbieten.
Was derzeit vor allem fehlt, ist der nötige Raum. Den zu schaffen, ist gar nicht so leicht. Zwar investiert die Bundesregierung im Rahmen des Programms „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ bis 2023 in den Aus- und Neubau von Frauenhäusern und Fachberatungsstellen. Was für kurzfristige Notfalllösungen – wie im Falle eines Anstiegs häuslicher Gewalt durch die Pandemie – geplant ist, wurde bislang aber nicht kommuniziert.
Dabei bräuchte es jetzt kreative Ideen. Um vorübergehend leerstehenden Wohnraum (wie beispielsweise Hotels) zu nutzen, sollten auch bestimmte Kriterien erfüllt werden: „Ein Frauenhaus muss mit einer geheimen Adresse hinterlegt sein, es muss ein Schutzraum sein. Und man braucht dementsprechend geschultes Personal. Das sind die Grundvoraussetzungen. Wie das gewährleistet wird, muss dann auf politischer Ebene geregelt werden“, erklärt Lydia Dietrich von der Frauenhilfe München. Familienministerin Giffey verspricht zumindest, dass Frauenhäuser während der Corona-Pandemie geöffnet bleiben dürfen und das digitale Beratungsangebot ausgebaut werden soll. Sie beteuert auch: In akuter Not oder um Hilfe zu holen, dürfe man immer das Haus oder die Wohnung verlassen.
In der aktuellen Situation ist auch die Kontaktaufnahme schwieriger
In der aktuellen Situation ist aber auch die Kontaktaufnahme schwieriger. Denn die Momente, in denen die betroffenen Frauen und Kinder alleine sind und heimlich zum Telefon greifen könnten, ergeben sich in sozialer Quarantäne seltener. Der Täter ist schließlich immer da. Die Anwältin Asha Hedayati vertritt von Gewalt betroffene Frauen und twittert regelmäßig darüber. Vor Kurzem schreibt sie in einem Tweet: „(Es gibt) Frauen, die jetzt nicht telefonisch beraten werden können, weil ihr gewalttätiger Ehemann die Wohnung nicht mehr verlässt und ein längerer Spaziergang von ihr ‚zu sehr auffällt‘. Die Coronakrise wird mehr Opfer fordern, als die Statistiken darstellen.“ Umso wichtiger sei es, dass wir alle aufmerksam bleiben und Betroffene unterstützen.
Schließlich sind nicht nur von häuslicher Gewalt betroffene Familien jetzt mehr zu Hause als sonst, sondern auch deren Nachbar*innen – die damit hoffentlich auch besser mitbekommen, wenn es Streit gibt. Für den Fall, dass man etwas vermutet, kann man betroffene Personen direkt ansprechen, ihnen selbst Hilfe anbieten oder vorschlagen, sich an Beratungsstellen zu wenden. Alternativ kann man auch selbst beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (08000 116 016) anrufen und sich für den konkreten Fall beraten lassen. Und es ist sowieso immer eine gute Idee, sich regelmäßig bei Freundinnen und Bekannten, die sich gerade in einer belastenden Situation befinden, anzurufen oder Textnachrichten zu schreiben – und vielleicht auch mal den einen oder anderen Einkauf zu übernehmen. Auch wenn die großen Maßnahmen von der Politik getroffen werden müssen, sollten wir alle im Kleinen aufmerksam bleiben und uns gegenseitig unterstützen.
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