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Corona-Pandemie in Indien: Menschen erzählen, wie sie helfen
Die zweite Coronawelle in Indien ist zu einer Zerreißprobe für das Gesundheitssystem geworden. Mehr als 20 Millionen Corona-Infektionen wurden in dem Land mit etwa 1,4 Milliarden Einwohner*innen bisher registriert. 3,4 Millionen Menschen sollen in Indien gegenwärtig mit dem Coronavirus infiziert sein. Offiziell wurden mehr als 200 000 Todesfälle gemeldet, Expert*innen gehen aber von höheren tatsächlichen Zahl aus. Und auch wenn die Inzidenz in Indien aktuell tatsächlich niedriger sein sollte als in Deutschland, treffen die Erkrankten dort auf ein deutlich schlechter ausgestattetes Gesundheitssystem. Dazu kommt, dass der Subkontinent um Sauerstoff ringt. Das Gas ist – ebenso wie antivirale Medikamente, Krankenhausbetten und Impfdosen – aufgrund der vielen Erkrankten knapp geworden. Bisher sind etwa zwei Prozent der Menschen in Indien vollständig geimpft, es liegt noch ein langer Weg vor dem Land. 40 Staaten, darunter Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Singapur, Russland und die USA haben Hilfsgüter wie Sauerstoff, Medikamente und Schutzausrüstung geschickt oder bringen sie auf den Weg. Gleichzeitig haben viele Länder ein Einreiseverbot für Menschen verhängt, die sich in Indien aufhalten. Die Sorge vor der in Indien gefundenen und sich rasch verbreitenden Mutation B.1.617 ist groß. Doch nicht alle lassen sich von der kritischen Lage entmutigen. Wir haben mit Menschen vor Ort gesprochen, die ihren Beitrag dazu leisten, die Situation zu verbessern.
„Ich habe vom illegalen Handel mit Medikamenten und Sauerstoff gehört – was ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist“
Kanchan Suthar, 27, lebt in Mumbai und arbeitet dort als Ärztin auf einer Corona-Station.
„Sechs Monate lang gingen die Corona-Fälle zurück. Doch plötzlich stiegen sie wieder. Bis vor Kurzem war ich noch für das Corona-Impfprogramm eingeteilt. Mit dem Anstieg der Krankheitsfälle in Mumbai hat sich mein Aufgabenbereich geändert. Ich arbeite nun wieder mit Corona-Patient*innen. Das Virus macht mir Angst, aber ich bin motiviert, wenn ich zur Rettung meiner Leute gerufen werde. Den Corona-Patient*innen und ihren Familien versuche ich Mut zu machen, denn ich glaube, wenn die Willenskraft stark ist, können wir jede Schlacht gewinnen.
Bisher haben wir eine niedrige Sterblichkeitsrate in der jüngeren Bevölkerung, doch die Fälle werden auch hier mehr. Nun werden auch Kinder schwer krank. Viele haben das Virus nicht mehr ernstgenommen. Zu denken, Covid-19 sei wie eine Grippe, behindert den Kampf gegen das Virus. Seit Beginn der zweiten Welle sehe ich, wie der Bedarf an Sauerstoff und Beatmungsgeräten steigt und dass es einen Mangel bei der Versorgung gibt. Ich habe vom illegalen Handel mit Medikamenten und Sauerstoff gehört – was ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist. Als ich mehrere meiner Oberärzte an den Folgen einer Corona-Infektion verloren habe, war ich traurig und schockiert.
Ich mache mir auch Sorgen um meine Eltern und hoffe, dass ihnen nichts zustößt. Letztes Jahr habe ich neun Monate im Hostel gewohnt, damit ich meine Eltern nicht anstecke. Dieses Jahr habe ich mich entschieden, nach Hause zu kommen. Ich halte alle Vorsichtsmaßnahmen ein, nehme Vitamine und halte mich mit Yoga fit, aber ein Restrisiko bleibt. Doch Panik hilft nicht weiter.“
„Mein Vater macht sich Sorgen um mich wegen meines Engagements“
Amit Kumar, 28, aus Lucknow ist Unternehmer und liefert nun ehrenamtlich Essen an Corona-Patient*innen.
„Auf einmal gab es nicht einmal mehr Paracetamol zu kaufen. Menschen suchen vergebens nach Krankenhausbetten. Nach unserem Frühlingsfest Holi, das Ende März stattfand, wurde uns klar, wie ernst die Lage ist. Zwei Wochen später hatte gefühlt jede zweite Familie einen Corona-Fall in Lucknow. Langsam verbessert sich die Situation. Die Regierung übernimmt private Krankenhäuser und sorgt dafür, dass es mehr Betten für Corona-Patient*innen gibt. Doch viele Menschen haben bereits gelitten und sind gestorben. Zusammen mit Freunden haben wir uns dazu entschlossen, Essen zu kochen und an Menschen zu verteilen, die zuhause ihre Corona-Erkrankung auskurieren und sich gerade kein Essen leisten oder besorgen können. Wir verteilen an alle aus dem Einzugsgebiet, die sich bei uns melden – egal ob sie in einer Siedlung für Reiche oder Arme wohnen, zwei Mal am Tag.
Es gibt zwar Essenslieferdienste, doch oft ist das, was sie anbieten, zu scharf gewürzt. Wir haben uns beraten lassen und kochen so, dass es auch für Erkrankte eine gute Mahlzeit ist. Wir haben nebenbei noch unsere Jobs, doch diese Zeit nehmen wir uns. Zusätzlich haben wir einen Koch eingestellt, der uns unterstützt, und bekommen Spenden. Mein Vater macht sich Sorgen um mich wegen meines Engagements, aber wir müssen anderen in dieser Krise helfen.
Die Frustration in der Bevölkerung wächst. Die Zahlen, die im Zusammenhang mit Corona veröffentlicht werden, können nicht stimmen – Medien berichten beispielsweise von viel mehr Feuerbestattungen in Krematorien, als Tote registriert werden, und es ist schwierig, überhaupt einen Corona-Test zu machen. Viele meiner Bekannten sind schon erkrankt. Einen Lockdown wie 2020 hatten wir bisher in diesem Jahr nicht, auch wenn die Pandemie uns jetzt viel härter trifft. Einige Händler haben ihre Läden nun für zehn Tage geschlossen, in der Hoffnung, dass die Infektionen zurückgehen.“
„Wir erleben im Moment kollektiv eine Mischung aus Wut auf die Regierung, Hilflosigkeit und Trauer“
Künstlerin Smish, 33, aus Rajasthan leiht ihre Reichweite Bertoffenen in der Pandemie.
„Als Künstlerin nutze ich meine Plattform, um verzweifelte Nachrichten von Fremden im Netz zu teilen, die nach einer Sauerstoffflasche, einem Krankenhausbett, Medikamenten oder Beatmungsgeräten suchen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass jemand sterben könnte, wenn ich die Bitte nicht teile, und das ist ziemlich zermürbend. Es ist überwältigend, aber das Mindeste, was ich tun kann. Ich versuche zudem, jeden Tag politische Kunst zu machen. Damit will ich die Angst und die Wut der Menschen kanalisieren und ein Bewusstsein dafür schaffen, wie inkompetent die Regierung mit der zweiten Corona-Welle und der Krise im Land umgeht.
Ich arbeite auch mit einer NGO zusammen, die Spenden für Beatmungsgeräte sammelt und mache Grafiken für ihr Crowdfunding. Jeden Tag in den Medien von Todesfällen zu hören, ist sehr beunruhigend. Ich weiß oft nicht, wie ich damit umgehen soll und mir ist zum Weinen zumute. Wir erleben im Moment kollektiv eine Mischung aus Wut auf die Regierung, Hilflosigkeit und Trauer. Die Situation ist erschütternd, doch Menschen organisieren sich, um anderen zu helfen.
Ich selbst habe mich vergangenen Monat infiziert, hatte aber zum Glück keine Symptome. Eine meiner engsten Freundinnen, die schwanger ist, bekam Covid-19 und wurde ein paar Tage auf der Intensivstation beatmet. Das war traumatisierend für mich und meine Freunde. Ich verlor alle Hoffnung, wenn ich daran dachte, wie kritisch die Situation der Krankenhäuser in Indien derzeit ist. Erfreulicherweise konnte sie die Intensivstation heil verlassen. Ich habe kein Vertrauen in die Regierung, aber Hoffnung in die Menschen und erlebe sie hilfsbereit wie nie.“
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„Die Krise erschwert die Lage der bedürftigen Bevölkerung im Landesinneren“
Chinu Kwatra, 30, und Chris Chokar, 26, aus Thane und Mumbai liefern kostenlosen Sauerstoff.
„Seitdem wir bekanntgegeben haben, dass wir Sauerstoff an Privatpersonen und Einrichtungen aus dem Großraum Mumbai liefern, die ihn dringend benötigen, steht das Telefon nicht mehr still. Vor drei Wochen haben wir mit der ‚Oxygen Seva‘, einem kostenfreien Sauerstoff-Dienst, begonnen. Zu diesem Zeitpunkt war der Mangel sehr groß. Wir haben ein Team von Freiwilligen, das sich bei unserer NGO Khushiyaan Foundation engagiert, und mit Programmen wie „Roti Ghar“ (Brothaus) Essen an Kinder ausgibt. Dadurch hatten wir die nötigen Leute für den Lieferdienst und eine Krisentelefonzentrale.
Anfangs hatten wir gehofft, 100 Menschen mit Sauerstoff zu versorgen. Daraus sind täglich 150 bis 200 Menschen geworden. Ohne unser Team von fünfzehn Personen und die Spenden und Hinweise von vielen Menschen wäre das alles aber nicht möglich. Die Freiwilligen überprüfen Kontakte, die wir zugespielt bekommen, und rufen Händler an, um neue Sauerstoffflaschen und -konzentratoren aufzutreiben. Diese Sauerstoffkonzentratoren muss man nicht aufwendig alle paar Tage auffüllen, da sie den Sauerstoff aus der Luft anreichern, und sie sind einfach zu bedienen. Allerdings sind sie teurer als Sauerstoffflaschen, dafür eignen sie sich besser für Patienten, die zuhause bleiben oder frisch aus dem Krankenhaus entlassen wurden und noch schwach sind. Auf diese Gruppe schauen wir besonders.
Neben den Corona-Patienten dürfen wir die bedürftige Bevölkerung im Landesinneren nicht vergessen. Sie kämpft weiterhin um das Nötigste. Die Krise hat ihre Lage erschwert. Deshalb machen wir mit unserer eigentlichen Arbeit weiter. An Kinder verteilen wir gekochte Mahlzeiten und an Erwachsene Pakete mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln. Wir arbeiten schon ein paar Jahre im sozialen Bereich, doch so intensiv war es bisher noch nie.“
„Seit März stehen wir vor so großen Herausforderungen“
Pooja Bhadange, 30, aus Belgaum in Karnataka, schreibt eigentlich Gedichte. Jetzt koordiniert sie Hilfe für Corona-Patient*innen.
„Bis vor ein paar Jahren war mein Leben sehr ruhig. Ich wollte Grundschullehrerin werden, nun arbeite ich quasi als Sozialarbeiterin. Erst bei einer schweren Überschwemmung im Nachbarstaat Maharashtra, nun in der Coronakrise. Wir haben die Kampagne ‚Support for Covid Patients‘ gestartet. Mittlerweile sind wir 75 Freiwillige, die die Not im Land zusammengebracht hat, denn es mangelt an so vielem.
Ein großer Teil unserer Arbeit besteht darin, Informationen zu prüfen. Wer braucht wirklich Hilfe und wer kann helfen? Wir versuchen, Patientenbetten zu organisieren, nehmen Kontakt zu den Verwaltungen auf und versuchen, Plasmaspender und -spenderinnen aus unserem Bekanntenkreis zu gewinnen, die von Corona genesen sind. In Indien werden Corona-Patientinnen und -Patienten zum Teil mit solchem Blutplasma behandelt.
Wir unterstützen auch Menschen, die sich zuhause in Quarantäne befinden, mit Lebensmitteln. Zu einem wichtigen Teil unserer Arbeit gehört das Gespräch mit Betroffenen und ihren Familien. Seit März stehen wir vor so großen Herausforderungen, vor allem, was die medizinischen Ressourcen betrifft. Das setzt vielen Menschen zu, auch uns. Seitdem die Infektionen gestiegen sind, kommt es vor, dass wir keine Betten oder Medikamente besorgen können und Menschen die Wartezeit nicht überleben. Wenn so etwas passiert, halte ich kurz inne und mache dann weiter. Trotz dieser Rückschläge gebe ich nicht auf, ich habe die Hoffnung, dass wir Corona stoppen können.“