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Corona-Krise: Der Staat vergisst die Jungen
Dieser Artikel gehört zur Werkstatt Demokratie, ein Diskurs-Projekt der SZ, der Nemetschek Stiftung und der Akademie für Politische Bildung. Alle Beiträge der Themenwoche „Gutes Regieren“ und noch mehr zum Projekt finden Sie hier.
Als die Krise begann, war der Staat schnell zur Stelle. Kredite, Kurzarbeitergeld, Soforthilfen – all das war im Frühjahr so gut wie beschlossene Sache, da stand der Zähler bei kaum mehr als 10 000 bestätigten Covid-19-Fällen. Die Koalition aus Union und SPD, die in den gemeinsamen Regierungsjahren oft genug behäbig wirkte, war plötzlich so wendig wie ein 20-Jähriger, der gerade vom Work and Travel in Australien zurückgekehrt ist. Der 62-jährige Finanzminister Olaf Scholz nahm nun Wörter wie „Wumms“ in den Mund, und die neue Beweglichkeit schien zu wirken: Die Existenz von etlichen Betrieben und von Millionen Arbeitnehmer*innen war zunächst gesichert. Wohl auch deshalb wuchs die deutsche Wirtschaft – nach einem Absturz im Frühjahr – im dritten Quartal wieder deutlich.
Bei aller Kritik haben die Hilfeleistungen also offenbar geholfen. Und zwar vor allem denen, die schon etwas haben. Den Firmen, den Angestellten, dem Fundament des deutschen Wohlstands. Denen, die dazu noch nicht unmittelbar beitragen, den 19-Jährigen, die noch nach Australien wollen, oder wenigstens an die Uni ins Nachbarland, half es eher wenig.
Junge Menschen waren vor allem dann Thema, wenn sie selbst zum Problem wurden
Es dauerte bis Mitte Juni, bis das Portal für die Überbrückungshilfe für Studierende online ging. Über Kredite für in Not geratene Studierende sprach man erst so richtig im April. Statt über ihre Probleme zu debattieren, die Betroffenen mit einzubeziehen, waren junge Menschen vor allem dann Thema, wenn sie selbst zum Problem wurden. Zum Beispiel weil man in ihnen wegen ihres Sozialverhaltens die Hauptverbreiter*innen des Virus sah.
Natürlich war etwa die Versorgung Schwerkranker ein drängenderes Thema als die Sorgen der Jugend. Aber auch an den unter 30-Jährigen sind die vergangenen Monate nicht folgenlos vorbeigegangen. Lebensläufe wurden nicht mehr automatisch länger und beeindruckender; sie bekamen Lücken. Zehntausende Minijobs, von denen viele Studierende abhängig sind, wurden von einem auf den nächsten Tag gestrichen. Praktika fanden – wenn überhaupt – im Homeoffice statt, wenn sie nicht direkt abgesagt wurden. Und das hatte Folgen: Von der Corona-Krise fühlen sich laut einer Langzeitstudie der Universität Erfurt die Jüngeren stärker belastet als die Älteren. Beinahe jede*r zweite 15- bis 30-Jährige hat den Eindruck, seine Sorgen würden „nicht“ oder „eher nicht“ gehört.
In der Corona-Krise haben die Regierenden gezeigt, wie kreativ sie Probleme lösen können. Umso erstaunlicher ist, dass der Erfindungsreichtum ausgerechnet bei den Erfinder*innen von morgen zu enden scheint. Kredite und Nothilfen gibt es, das schon. Aber wo waren die Ideen, die langfristig Mut machen und die Jugend sogar direkt beteiligen? Prämien für die jungen Nothelfer*innen in der Krise, staatliches Geld für strauchelnde Firmen, die weiterhin Praktika anbieten, Konzepte für Partys, die nicht illegal und trotzdem Corona-sicher sind: Kann man alles wieder verwerfen. Aber es wurde nicht mal laut nachgedacht über solche Ideen.
Dass die Jüngeren in dieser Krise selbst so leise wirkten, dürfte auch daran liegen, dass ihre Stimme in den politischen Institutionen unterrepräsentiert ist. Im Bundestag sitzen doppelt so viele Menschen im Rentenalter wie unter 30-Jährige. Die Jungen haben kaum Spitzenposten in Gewerkschaften und Verbänden. Dazu kommt, dass es nicht gerade leicht ist, diese Altersgruppe zu bemitleiden. Sie haben seltener Verantwortung für andere, schützenswerte Gruppen. Sie ernähren meist noch keine Familien, sie müssen sich seltener um ältere Verwandte kümmern oder verschnupfte Kinder ins Bett bringen. Gleichzeitig sind sie schon recht unabhängig, man muss nicht mehr für sie sorgen wie für ein minderjähriges Kind. Sie wohnen in eigenen WGs, arbeiten als Auszubildende, erhalten Stipendien. Geht es um 20-Jährige, die ihr Leben für ein paar Monate umschmeißen müssen, ist das erste Gefühl nicht gleich Mitleid, sondern eher so etwas wie: Erwachsenwerden ist nie leicht. Und sowieso: Hat der Staat nicht Wichtigeres zu tun, als ein paar Erstsemestern Nudeln mit dem guten Pesto von Rewe zu finanzieren?
Ausgerechnet von den Jüngeren würden dieser Aussage wohl viele zustimmen. Ihnen geht es ja in Deutschland auch insgesamt recht gut. Die meisten unter 30-Jährigen können optimistisch durchs Leben gehen. Sie sind bestens ausgebildet (etwa 50 Prozent haben Abitur). Der Großteil wird im Studium von den Eltern finanziell unterstützt (mehr als 86 Prozent). Und der Arbeitsmarkt fängt sie sanft auf (nur sechs Prozent Jugendarbeitslosigkeit).
Dazu kommt, dass einige offenbar vom Staat nicht viel erwarten. „Junge Leute kommen nicht auf die Idee, staatliche Eingriffe und Umverteilung zu fordern, obwohl sie selbst davon am meisten profitieren würden“, sagte der Soziologe Patrick Sachweh 2017. Für die Jüngeren von heute gehörte es zu den Gewissheiten, dass die Arbeitslosigkeit sinkt, die Steuereinnahmen steigen und Krisen an diesem Land mehr oder weniger spurlos vorbeigehen. Bis jetzt.
Hilft man den Jüngeren also am besten, indem man die Älteren stützt?
Auch den Regierenden dürfte bewusst sein, wie gut es einem großen Teil der Jungen geht. Nicht nur, weil sie gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Sollten sie fallen, fallen viele von ihnen weich. Zumindest in Westdeutschland haben die Eltern und Großeltern eine Menge zu vererben. Hilft man den Jüngeren also am besten, indem man die Älteren stützt, die sich ohnehin weiter um ihre Kinder und Enkel*innen kümmern?
Darauf sollte man sich nicht verlassen: Längst nicht alle können von ihrer guten Ausbildung und dem Wohlstand der Eltern zehren. Und: Diese Krise könnte die Jüngeren auch langfristig treffen. Hier wächst eine Generation heran, die im Krisenmodus groß wird. Studien, die lange vor der Pandemie durchgeführt wurden, belegen, dass es gerade die Jüngeren sind, die unter zurückliegenden Krisen finanziell langfristig leiden. Noch Jahrzehnte später werden sie weniger verdienen als die Generationen vor und nach ihnen. Die Lücken im Lebenslauf, die jetzt entstehen, mögen sich nachvollziehbar begründen lassen („Da war Pandemie!“). Das ändert aber wenig daran, dass die Generationen danach und davor diese Lücken nicht haben werden. Auf dem Arbeitsmarkt ist das ein Wettbewerbsnachteil.
Schon vor der Corona-Krise stand – belegt durch eine umfassende Studie – fest, dass die unter 30-Jährigen von heute nicht so wohlhabend sind wie die unter 30-Jährigen von vor 40 Jahren. Der seit Generationen weitergegebene Glaube, dass man es einmal besser haben wird als die eigenen Eltern, ist zumindest in westlichen Gesellschaften längst nicht mehr zeitgemäß.
In Südeuropa hat man in Folge der Eurokrise gesehen, wohin es führt, wenn man die Jungen vernachlässigt und vor allem darauf setzt, dass die Hilfe für die Älteren schon auch irgendwie den Jüngeren helfen wird. Die Jugendarbeitslosigkeit ist noch jetzt, mehr als zehn Jahre später, in Spanien und Griechenland bei etwa 40 Prozent. Von solch niederschmetternden Zahlen ist die Jugend in Deutschland weit entfernt. Aber noch weiß niemand, welche langfristigen Effekte diese Krise haben wird. Umso wichtiger wäre deshalb eine Politik, die sich mit Kreativität, mit sprachlichem „Wumms“ für Auszubildende, Studierende und Berufseinsteiger*innen einsetzt, die nicht darauf setzen können, dass die Älteren sie in Zukunft retten.