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Corona: Ein Gewinner und ein Verlierer der Krise unterhalten sich über die Folgen und Ängste
Die Corona-Krise hat die Lebenspläne etlicher Menschen umgeschmissen, auch von Jüngeren, die noch im Studium oder auf der Suche nach einem Job sind. In der Intensivmedizin, bei Lieferdiensten und in den Gesundheitsämtern waren Arbeitskräfte auf einmal gefragter als zuvor. In der Gastronomie und im Tourismus brach die Arbeit hingegen zwischenzeitlich fast völlig weg. Wie geht man damit um, wenn sich die Karrierepläne von der einen Nacht auf die nächste ändern, ohne dass man dafür etwas kann? Ein Gespräch mit einem wirtschaftlichen Gewinner und einem wirtschaftlichen Verlierer der Krise.
jetzt: Durch die Corona-Krise haben viele Studierende ihre Jobs und ihren Optimismus verloren. Siavosh, du hingegen arbeitest seit April in Vollzeit für das Robert-Koch-Institut in Münster und verfolgst Infektionsketten. Dabei bist du erst 24 und stehst kurz vor dem Abschluss deines Pharmaziestudiums. Es dürften gute letzte Monate für dich gewesen sein.
Siavosh: Wenn ich mich mit anderen Studenten vergleiche, habe ich gewonnen, das stimmt. Einige Freunde fallen durchs Raster, gerade was das Kurzarbeitergeld angeht. Für viele ist das Semester ausgefallen, manche haben sogar ihr Studium abgebrochen und Sozialhilfe beantragt. Ich habe mit dem Job ein Auskommen, kann sogar ein bisschen was zurücklegen, und später ganz normal mein Studium abschließen.
Siavosh hat wegen der Corona-Pandemie einen gut bezahlten Job.
Payam, du bist 28, lebst in Köln und bist Flugbegleiter. Deinen letzten Flug hast du Mitte März gehabt. Zwar bekommst du weiterhin Gehalt, musst aber nun jederzeit mit der Kündigung rechnen. Wenn du siehst, wie Gleichaltrige wie Siavosh von der Krise beruflich sogar profitieren – beneidest du ihn dann darum?
Payam: Neid ist nie gut. Ich freue mich, wenn Leute nicht, wie ich, von der Krise betroffen sind. Ich bereue allerdings nicht, meinen Job gewählt zu haben. Es ist ein Traumjob, den ich gern bis zur Rente machen würde, wenn es geht. Ich bin viel unterwegs, lerne tolle neue Orte und Menschen kennen.
Payam weiß nicht, wie es mit seinem Job als Flugbegleiter weitergehen wird.
Das geht nun nicht mehr.
Payam: Ja! Und deshalb arbeite ich nebenbei bei einem Herrenausstatter. Die Flugbranche war nie krisensicher. Das wusste ich auch schon vor Corona. Aber vor Corona habe ich auch kaum darauf geachtet, wie es weitergeht mit dem Leben. Ich habe getan, was ich wollte. Ich bin dorthin gereist, wohin ich wollte. Ich bin ein Hedonist. Nun betrachte ich viele Dinge anders.
Siavosh, hast du Mitleid mit Payam?
Siavosh: Ob ich Mitleid mit dir habe? Nein, ich bin mit dir gemeinsam sauer! Dass unsere Generation von der Krise so hart getroffen ist. Wir sind durch die Krise keine Gegner geworden. In meinem Job versuche ich, dass wir die Krise besser bewältigen. Und je besser ich meinen Job mache, desto schneller bist du, Payam, wieder zurück in deinem Job.
Payam: Fragt sich bloß: Wann? Die Unsicherheit beschäftigt mich. Was kommt nach der Pandemie? Meine Airline wird nicht mehr so existieren wie davor. Das Grundgehalt kommt immerhin noch auf mein Konto, deshalb habe ich finanziell keine zu großen Probleme. Aber der Dienstplan ist seit Monaten leer. Das ist ein komisches Gefühl.
Du hast dieses Gefühl vermutlich nicht, Siavosh.
Siavosh: Das mag sein. Gewinner der Krise sind für mich aber weder du noch ich. Gewinner sind für mich Pharmaunternehmen, die gerade ohne Zutun Milliarden verdienen, obwohl sie die Medikamente, die gerade nachgefragt werden, schon vor Jahren entwickelt haben. Das ist eine Kategorie von Gewinner, die weit weg ist von Payam und mir.
Trotzdem veränderte die Krise eure Leben in verschiedene Richtungen. Siavosh, du hast plötzlich einen Vollzeitjob. Payam, du hat plötzlich Angst um deine Existenz.
Siavosh: Ja. Und das finde ich unfair! Ein Job wie ein Flugbegleiter ist gesellschaftlich notwendig, genauso wie der Job der Kassiererin, der Ärztin oder des Lkw-Fahrers. Wenn man keine Sicherheitsnetze zur Verfügung stellt, ist das fatal für uns alle. Das sollten wir aus dieser Krise lernen.
Siavosh, welche Narbe wird bei dir durch die Corona-Krise bleiben?
Siavosh: Ich habe Leichtigkeit verloren und etwas von meiner Jugendlichkeit abgelegt. Selbst wenn es mir uneingeschränkt super gehen würde, würde ich ja auch nur in einem goldenen Käfig sitzen, während um mich herum alles brennt. Das kann auch nicht schön sein.
Payam: Das glaube ich dir. Meine Welt brennt zwar nicht. Aber ich schlafe schlechter. Ich dachte am Anfang, dass jeden Tag die Kündigung kommt. Mittlerweile habe ich mich fast dran gewöhnt, zumindest ein bisschen.
Siavosh: Mein Job mag sich wie eine glückliche Fügung anhören. Und es gab 11 000 Bewerber, von denen sie ein paar hundert genommen haben. Aber als ich die Zusage bekam, war ich mir erst nicht sicher, ob ich es wirklich machen soll. Mein Studium verzögert sich dadurch. Und wenn das Semester normal gelaufen wäre, hätte ich es nicht gemacht. Aber so hatte ich Angst, vor dem Nichts zu stehen. Also sagte ich zu.
Dafür dürftest du zumindest jetzt ganz gut schlafen können.
Siavosh: Ach was! Unsere ganze Generation besteht aus Stress-Beulen. Mein Vertrag läuft im Oktober aus, meine Kündigungsfrist beträgt zwei Wochen. Auch ich habe keine Sicherheit. Ich weiß nicht, wie das nächste Semester wird. Auch ich schlafe schlecht. Die Arbeit ist recht belastend, denn ich schränke die Leute ein für 14 Tage, wenn ich sie in Quarantäne schicken muss. Die wenigsten Menschen haben Verständnis dafür, wenn der Anruf mit meiner Ansage kommt.
Payam, du kennst die akute Unsicherheit seit Monaten. Gewöhnt man sich daran?
Payam: Es wäre traurig, wenn man sich an die Unsicherheit gewöhnen würde. Ich kann damit mittlerweile umgehen und leben. Aber es wird nicht normal. Aber ich habe aus der Krise gelernt: Lange fühlte ich mich sicher mit meinem Job. Jetzt sehe ich: Dem Virus sind unbefristete Verträge egal. Ich habe gelernt, Dinge wertzuschätzen. Dass ich gesund bin. Dass ich meine Eltern und meine Freunde sehen kann.
Wie soll es jetzt weitergehen?
Siavosh: Ich habe oft das Gefühl, dass Gleichaltrige kein besonderes Bewusstsein für das Kollektiv haben. Bei vielen meiner Bekannten habe ich das Gefühl: Die wollen, dass es wie vorher weitergeht. Ich sage: Das fällt uns auf dem Kopf. Ich würde mir wünschen, dass Solidarität konkret wird in unserer Generation. Dass wir uns Fragen stellen: Wenn die Krise vorbei ist, wie richten wir unsere Gesellschaft wieder auf? Wie können wir uns füreinander engagieren?
Payam: Ich habe mir überlegt: Was brauche ich denn? Brauche ich die vielen Reisen? Nicht unbedingt. Ich muss nicht 9000 Kilometer in die Karibik fliegen. Ich kann auch in Holland an den Strand. Wenn die größte Narbe dieser Krise die Tatsache ist, dass wir in unserer Gesellschaft nicht mehr so oft und weit weg in den Urlaub fliegen können, dann finde ich das verkraftbar. Und das sage ich als Flugbegleiter.