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Die „Cop Map“ soll Polizeigewalt sichtbar machen

Bilder: Peng! Collective; Bearbeitung: jetzt

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„Heute ist mein letzter Tag in dieser Welt“, denkt Thabo. Auf der Rückbank des Polizeiautos, die Hände in Handschellen, versucht er, die Hausfassaden zuzuordnen, die am Fenster vorbeirasen. Berlin kommt ihm in seiner Panik plötzlich vor wie eine fremde Stadt. Immer wieder will er wissen, was er denn fasch gemacht habe. Dann sagt einer der Polizisten einen Satz, der Thabo bis heute verfolgt: „Wir bringen dich in den Wald.“ In diesem Moment hört Thabo, der sonst sehr geschickt mit Worten umgeht, auf zu diskutieren. Er fleht darum, nach Hause gebracht zu werden. 

Der Filmemacher und Fotograf erzählt diese Geschichte heute, ein Dreivierteljahr später in einem Video zur neuen Peng!-Aktion, die an diesem Montag startet: Die Cop Map. Zusammen mit der „Polizeiklasse“, einer Gruppe Münchner Künstler und Aktivisten, hat das Kollektiv die Webseite drohende-gefahr.de entwickelt, die auf Polizeigewalt aufmerksam machen und diejenigen schützen soll, die am meisten davon betroffen sind.

Gemeint sind Menschen, die aufgrund ihres Aussehens öfter in den Radar von Polizeikontrollen geraten, aber auch Journalisten, deren Arbeit behindert wird, oder Demonstranten, die auf Verdachtslogik am Demonstrieren gehindert werden. „Cop Map“ ist eine interaktive Karte, auf der Menschen polizeiliche Aktivitäten per Sofortlink eintragen können. Je nach Situation erscheint dann ein Symbol für Polizeikontrollen, Streifenwagen, Razzien oder berittene Polizei, das andere Nutzer der Seite sofort auf ihren Bildschirmen sehen.

Die Aktivisten von Peng! und Polizeiklasse sehen die wirkliche Gefahr in der Polizei selbst

Es ist kein Zufall, dass die Seite in München entwickelt wurde. Mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz (PAG), das seit dem 25. Mai 2018 in Bayern gilt, ist auch der Protest gegen die Ausweitung polizeilicher Befugnisse gewachsen. Bei der Großdemonstration am 10. Mai in München gingen 30.000 Menschen auf die Straße. „Der große Widerstand gegen das PAG ist ein historisches Moment und zeigt, dass die breite Masse bereit ist, der Institution gegenüber eine kritische Haltung einzunehmen“, schätzt eine Sprecherin von Peng!, die sich am Telefon mit „Nina Los“ vorstellt,  (was vermutlich, wie meist bei Peng!, ein Pseudonym ist), die Stimmung ein.

Mit der Aktion soll das Verständnis von Gefahr umgedreht werden: Während das PAG erlaubt, Menschen auf Verdachtsbasis festzuhalten, zu durchsuchen und in Gewahrsam zu nehmen, sehen die Aktivisten von Peng! und Polizeiklasse die wirkliche Gefahr in der Polizei selbst. Im Video erzählt ein Aktivist von rabiaten Hausdurchsuchungen, ein Journalist beklagt die Behinderung seiner Arbeit durch die Polizei und eine junge Frau berichtet von ihren Erfahrungen mit Racial Profiling und der Angst, die sie seitdem hat, wenn sie im öffentlichen Raum auf Polizei trifft.      

Bei Thabo war diese Angst früher eigentlich nicht da. Er war es zwar gewohnt, als schwarzer Mann in Berlin überdurchschnittlich oft nach seinem Ausweis gefragt zu werden, aber es wurde nie körperlich. Bis zu diesem Abend im Februar. Thabo läuft durch einen Kreuzberger Hinterhof, als ihn zwei Jugendliche anpöbeln. Was er hier wolle, warum er hier sei. „Geht euch nichts an, verpisst euch“, sagt Thabo in Berliner Manier, da zückt einer der Jungs sein Pfefferspray und sprüht ihm mitten ins Gesicht. Thabo taumelt, schafft es aber noch, die Polizei zu rufen. Die ist sofort zur Stelle. Doch anstatt die Verfolgung der Angreifer aufzunehmen, beginnt einer der Beamten, Thabo zu verhören. Er wird automatisch als Täter, nicht als Opfer eingestuft.

Als er merkt, dass die Polizisten ihn mit auf die Wache nehmen wollen, steigt Panik in ihm auf. Er versucht, wegzurennen. Die Beamten schmeißen sich auf ihn, drücken ihn zu Boden und legen ihm Handschellen an. „Was habe ich falsch gemacht?“, fragt Thabo immer wieder, doch niemand antwortet ihm. Als das Auto abrupt bremst, läuft Thabos Fantasie bereits auf Hochtouren. Einer der Polizisten schließt ihm die Handschellen auf, öffnet eine Tür des Wagens und sagt nur ein Wort: „Renn.“ Mit gesenktem Kopf rennt Thabo so schnell er kann. Um ihn herum ist es stockfinster. An den Weg kann er sich heute nicht mehr erinnern. Nur daran, dass irgendwann vor ihm das bekannte Logo einer Hotelkette in Mitte auftauchte. Da wusste er: „Jetzt bin ich in Sicherheit.“

Eine Ausnahme? Nina von Peng! glaubt, Thabos Geschichte stehe für viele Menschen in Deutschland. „Für diese Menschen stellt die Polizei eine Gefahr dar, aber auch für die demokratischen Grundrechte“, sagt sie. Deshalb habe das Kollektiv dieses Mal auch auf das gewohnte Pathos und den komödiantischen Stil verzichtet und echte Menschen statt Schauspielern angefragt. „Humor ist nicht immer die richtige Antwort auf Probleme, die so ernst sind. Das Tool ist genauso echt wie das Problem. Wir wollen, dass die Seite wirklich benutzt wird“, sagt Nina.

Die Frage ist, ob eine Aktion wie die „Cop Map“ hilft, die Kluft zwischen Polizei und Bürgern zu verkleinern

Dass die Polizei für die Mehrheit der Deutschen als „Freund und Helfer“ wahrgenommen wird, zeigt eine Umfrage von Beginn dieses Jahres: Nur zwölf Prozent von 1500 Befragten geben an, kein oder wenig Vertrauen in die Polizei zu haben. Und die Frage ist, ob eine Aktion wie die „Cop Map“ hilft, die Kluft zwischen Polizei und Bürgern, die das Vertrauen in sie verloren haben, zu schließen. Oder ob das nicht reine Provokation ist. 

Professor Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum glaubt zumindest nicht, dass sich durch die Aktion viel ändern wird. Der Kriminologe sieht das Tool wenig kritisch: „Zunächst gibt die Meldung einer Streife gar keine Auskunft über tatsächliche Polizeiarbeit. Die Beamten könnten auch nur auf dem Weg zum Imbiss sein. Bei Razzien oder Kontrollen ist das anders: Hier können genauere Informationen eine Sichtbarkeit schaffen, die nicht verwerflich ist, sondern dem Echtheitsprinzip entspricht.“ Der Polizeiwissenschaftler bezieht sich damit auf die USA, wo Handyvideos und Tonaufnahmen von Betroffenen besonders bei Übergriffen auf Afro-Amerikaner eine kritische Debatte über Polizeipraktiken ermöglichen. „Das Vertrauen in die Polizei wird dadurch nicht geschmälert“, glaubt er, „es sollte ja nichts bekannt werden, was nicht ohnehin schon bekannt ist.“

Auch Nina von Peng! reagiert auf die Frage nach dem destruktiven Charakter der Aktion gelassen. „Die Welt wird nicht gefährlicher, weil Menschen dieses Tool benutzen. Es wird nur sichtbarer, was für viele Menschen in Deutschland ohnehin schon zum Alltag gehört“, antwortet sie dann und verweist auf Geschichten wie die von Thabo. 

Der erstattete nach dieser Nacht im Februar Anzeige, doch bisher ohne Ergebnis. Nach dem Vorfall litt er immer wieder unter Panikattacken, wenn ihm auf der Straße zufällig ein Polizist entgegenkam. Erst durch eine Therapie und den Austausch mit anderen Betroffenen traute sich Thabo langsam wieder vor die Haustür. Dass er jetzt vor laufender Kamera über seine Erfahrungen sprechen kann, bedeutet ihm viel: „Copmap wird das Problem nicht von einem Tag auf den anderen lösen. Am Ende sind es aber kleine Schritte wie dieser, die das Bewusstsein auf Dauer verändern.“

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