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Arbeit wird weiblicher

Illustration: Lucia Götz

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 „Frauen werden es zukünftig leichter auf dem Arbeitsmarkt haben“, meint Christiane Funken. Nicht, weil sich die Männer ihnen plötzlich beugen und vom Arbeitsmarkt zurückziehen. Oder weil sie auf einmal Gefallen daran finden, mit einem Swiffer durch die Gegend zu feudeln. Funken möchte sich erst gar nicht in Geschlechterklischees verirren. Könne sie auch nicht. Denn als Soziologin beobachte sie anerzogenes Verhalten. Ihre zunächst reißerisch-klingende These belegt sie in ihrem Buch „Sheconomy“ mit fundierter Wissenschaft: „Frauen werden traditionellerweise auf Fähigkeiten hin erzogen, die der Arbeitsmarkt dringend braucht.“ Und seien deswegen auf das, was da kommt, besser vorbereitet. In der Welt eines Mädchens gehöre Empathie von Anfang an dazu. Frauen spüren sehr schnell, wann ein Mensch traurig oder gekränkt ist. Damit ein Mann es bemerkt, muss er es erleben. Der überspitzte Klassiker: Erst wenn seine Freundin schluchzend in Tränen ausbricht, einen Wutanfall bekommt oder ihm eine Ohrfeige verpasst, weiß er, „okay, hier stimmt irgendwas nicht“. Dann folgt der uns allen bekannte Satz: Er kann ja keine Gedanken lesen.

In den Arbeitsstunden der Zukunft sollen wir nicht mehr täglich am Rechner dieselben stupiden Aufgaben erledigen. Arbeit verändere sich in ihrem Fundament. Sie ist projektbasiert und oft kommen dafür wildfremde Menschen an einen Tisch. Spezialisten unterschiedlicher Fachkultur, die zum Beispiel ein neues Auto entwickeln sollen. „Die Herausforderung dabei: Sie denken und sprechen anders“, sagt Funken. Während der Ingenieur also noch dabei ist, die Technik zu entwickeln, veredelt der Designer bereits die Karosserie. Damit die Planung nicht im völligen Chaos versinke, brauche es Empathie und Einfühlungsvermögen. „Eigenschaften, die Frauen schon in ihrer Kindheit erlernen“, sagt Funken.

Was Mädchen aus dem Klassenzimmer mitnehmen: ruhig und aufmerksam zuzuhören. Verhält sich ein Mädchen aufmüpfig und wird vom Lehrer des Raumes verwiesen, ist sie seltsam. Hat ein Junge keine lustige Anekdote von seinen freien Strafstunden auf dem Schulflur parat, ist er seltsam. Frauen sind ruhig und aufmerksam; Sie verspüren den inneren Drang, Harmonie zu verbreiten. Selbst für toxische Persönlichkeiten haben sie oft noch ein Lächeln übrig. „Ein traditionelles Kommunikationsmodell, das wir leider noch nicht überwunden haben“, sagt Funken. Lächeln Frauen nicht, kann das für Irritation sorgen, erzeugt falsche Assoziationen und sie erhalten auf einmal den Stempel „arrogante Kuh“.

Frauen fällt es also leichter sich in den Ingenieur und den Designer hineinzuversetzen. Womöglich weil sie aufmerksamer zuhören. Außerdem sorgen sie dafür, dass es harmonisch zwischen den Experten bleibt. Dass sie sich nicht direkt an die Gurgel springen, wenn ihre Vorstellungen mal auseinanderklaffen. Wenn der Designer also von pompösen Flügeltüren träumt und der Ingenieur diese für absolut unpraktisch hält.

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Die Soziologin Christiane Funken, Autorin des Buches "Sheconomy"

Foto: privat

In der Rolle einer berufstätigen Mutter erlernen sie schließlich die Kunst der Improvisation – eine weitere gern gesehene Eigenschaft vom Chef der Zukunft. Ihre Lebensumstände würden sie regelrecht dazu zwingen, flexibel und kreativ zu sein.  Wenn der über Wochen ausgeklügelte Zeitplan plötzlich zusammenbricht, nur weil Oma zum Arzt muss und die Kinder erst zwei Stunden später von der Schule abholen kann. „Dann müssen Mütter schnell eine Alternative finden. Und das möglichst stressfrei, weil sie ja im Job funktionieren müssen“, sagt Funken. Aus täglichen Gewohnheiten ausbrechen und diese umdenken, ist also ihr Ding. Und wenn das Budget – um auf das Beispiel zurückzukommen – für das neue Auto dann plötzlich schrumpft, brechen sie nicht in Panik aus und knallen ihrem Chef am nächsten Tag die Kündigung auf den Tisch. Sie atmen tief durch und gehen die Herstellungskosten noch mal durch.

So ganz auf geht die These von Christina Funken noch nicht.  Die neue Arbeitswelt brauche noch Zeit. So viele topausgebildete Frauen wie heute gab es noch nie. In den Chefetagen ist von dieser Entwicklung allerdings noch nichts zusehen. Frauen stoßen weiterhin an die berühmte gläserne Decke. Und müssen wie die fleißigen Bienchen auf ihrem Weg in die Unternehmensspitze viele Steine aus dem Weg räumen. Ein besonders großer Stein: die Begegnung mit mächtigeren Männern. Ihr größter Klotz ist aber die Frage: Wohin mit dem Kind? Obwohl sie motiviert mit Baby auf dem Arm in den Karrierestartlöchern stehen, können sie nicht loslegen. Sie wissen nicht, wer auf ihre Kinder aufpasst. Auf lange Sicht müssen sie sich entscheiden: Karriere oder Kind. Und einen wirklich freien Willen haben sie dabei nicht. Laut der Hans-Böckler-Stiftung, die Mitbestimmung in unserer Gesellschaft erforscht und fördern will, sind auch immer noch mehr Frauen von der Doppelbelastung betroffen. Wenn beide Partner arbeiten, managen weiterhin sie den Haushalt und die Kinderbetreuung. Die Männer seien schließlich auf ihre Karriere fokussiert.

Als Zeitzeugin kennt Nora-Vanessa Wohlert, 32, diesen Gewissenskonflikt zu gut. Anstatt aber den vermeintlich karrieregeilen Männern die Schuld in die Schuhe zu schieben, ärgert sie sich über die Unternehmen. Sie wollen ihre Traditionen nicht überwinden und neue Potenziale nutzen. „In Zeiten der Digitalisierung muss man nicht mehr nur im Büro arbeiten“, sagt Nora. Für sie sei es zur absoluten Gewohnheit geworden, dass ihre Mütter-Kolleginnen gegen 13 Uhr ihre Klamotten zusammenpacken, um ihre Kinder von der Schule abzuholen. „Die Stunden holen sie dann, wenn die Kids schlafen nach“, sagt Nora. Ihre Online-Plattform „Edition F“, die sie 2014 gemeinsam mit Susanne Hoffmann, 37, gründete, bezeichnet sie selber als „digitales Zuhause für Frauen“. 

„Ich hoffe sehr, in 15 Jahren gibt es keine Gehaltsunterschiede mehr“

Neben einem Blog über den weiblichen Berufsalltag veranstalten sie Workshops. In denen erfahrene Start-up-Gründer von ihrem Werdegang, ihren Problemen und Erfolgen, erzählen. Leider seien die meisten Referenten immer noch Männer. „Es ist erschreckend, dass gerade einmal zwölf Prozent Frauen Start-ups gründen“, sagt Nora. 

Trotz aller Widerrede: Funken bleibt optimistisch. Trotz der Gegenargumente gäbe es schließlich genug Indizien, die diese rasante Entwicklung befürworten. „Ich hoffe sehr, in 15 Jahren gibt es keine Gehaltsunterschiede mehr“, sagt die Soziologin.  Die Chefs der Zukunft müssten ihre Arbeitnehmer schließlich an das Unternehmen binden. „Die hohe Fluktuation am Arbeitsmarkt zeigt, dass immer mehr mit einem Bein draußen stehen“, sagt Funken. 

Fürchten vor der neuen Arbeitswelt müssen sich die Männer nicht. Denn auch für sie gibt es Chancen, sich mal von den Männerklischees zu befreien. Worum es Funken nämlich eigentlich ginge sei, dass genau diese Geschlechterklischees sich zunehmend auflösen. Männer müssen nicht länger den harten Macker spielen, die alle Emotionen am Arbeitsplatz wegrationalisiert. Oder schnell und möglichst gut durch die Berufsausbildung rutscht, um seine Familie zu ernähren. Denn das ist in Zukunft nicht mehr nur seine Aufgabe. „Viele Studien zeigen auch, dass mehr Männer weniger arbeiten möchten“, sagt Funken. Der Mann kann das Ganze in Zukunft also etwas entspannter angehen lassen – wenn er will!

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