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Die Hoffnung der CDU trägt Baseball-Cap

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Das Basecap sitzt. Auch an diesem Abend, in Berlin Friedrichshain, beim Stammtisch des Ortsverbands der CDU, hat Diana Kinnert es auf dem Kopf. „Ich zieh' die Mütze selten ab, ich hab' mich an sie gewöhnt”, sagt die Frau mit den Grübchen. Für sie ist das Cap das, was für Franz Müntefering der rote Schal war, für Gregor Gysi die kleine runde Brille und für Wolfgang Thierse der Rauschebart: ein Markenzeichen. Und auch ein politisches Signal? Die Sonnenblende des Caps zeigt fast immer nach rechts.

Zum sechsten Mal in diesem Jahr hat die CDU Diana Kinnert, 26, eingeladen, um über die Zukunft ihrer Partei zu sprechen – dieses Mal in Friedrichshain, dem womöglich linkspolitischsten aller Hauptstadtbezirke. Hier gelten die Christdemokraten als Minderheit. Diana passt eigentlich ganz gut in den jungen Kiez, mit ihrer lässigen Kleidung - grauer Rollkragenpulli und schwarzes Cap - dem grafischen Tattoo auf dem Unterarm und ihrem lockeren Gang, mit dem sie in das indische Restaurant spaziert, in dem das Treffen stattfindet. Das heißt natürlich auch: In die CDU passt sie – rein optisch – eher nicht.

Im Séparée des Lokals sitzen die 20 Teilnehmer in L-förmiger Tischformation im gedimmten Licht. Aus der gegenüberliegenden Raumecke lächelt ihnen eine große Buddha-Figur friedlich entgegen. Sie hat tief hängende Ohrläppchen, die der Legende nach ein langes Leben symbolisieren. Die Statue wirkt fast wie eine Metapher in Anwesenheit einer Partei, deren Wähler laut Bundeszentrale für politische Bildung überdurchschnittlich alt sind: über 60 Jahre. Der hier tagende Ortsverband ist um einiges jünger und insgesamt vielfältiger als der Durchschnitt. Diana Kinnert ist immerhin eine von sechs anwesenden Frauen, die alle etwa zwischen 20 und 35 Jahre alt sind. Zudem bedient sie, die Tochter einer Philippinin und eines Schlesiers, die Migrantenquote, gemeinsam mit einem jungen Asiaten. 

Diana Kinnert ist nicht bei der Berliner CDU. Obwohl sie seit zweieinhalb Jahren hier wohnt, ist sie noch als Mitglied in Wuppertal gemeldet, wo sie ursprünglich herkommt und wo sie ihre politische Karriere vor zehn Jahren begann. Ortsverbunden kann man das nennen und dem Gewohnten treu. Oder konservativ. Man muss das vielleicht betonen, weil es sonst an ihr nicht viel gibt, das besonders konservativ wirkt.

Und das ist nicht nur ein optischer Eindruck. Auch viele ihrer politischen Ansichten stimmen nicht mit dem überein, was man sich unter „konservativ“ so vorstellt – über diesen Begriff wird momentan, ach was, eigentlich seit Beginn der Kanzlerschaft von Angela Merkel, immer wieder diskutiert: Was bedeutet der heute, in einer Zeit, in der die Kanzlerin Flüchtlinge willkommen heißt, mit der SPD koaliert und die AfD ihr von rechts die Wähler abgräbt? Vielleicht hilft einem Diana Kinnert, die derzeit in der Union ziemlich gehypt wird, bei dieser Frage weiter.

Sie sei zwar eine Feministin, allerdings eine, die nicht an die Frauenquote glaubt. Eine Art Merkel-Feministin also

Für ihre Rede stellt sich Diana mittig zur Runde, vor einen großen Wandspiegel. Sie fängt an zu erzählen, wie sie mit 16 zur Partei fand: Sie las Grundsatzprogramme und fand das der CDU am überzeugendsten. Aber ihr begegneten auch Hindernisse: Auf Parteitreffen ignorierte man sie, bei einer Veranstaltung hielt sie ein Vereinsvorsitzender ganz selbstverständlich für die Kellnerin und bestellte ein Bier bei ihr, weil sie als junge Frau mit dunklem Haar so gar nicht ins Bild passte. Und sie thematisiert, wohin es mit den Christdemokraten von nun an gehen soll, dafür ist sie ja an diesem Abend hier. Ihr Vortrag besteht aus anspruchsvollen Begriffen und komplexen Satzgefügen. Sie füllt ihre Sätze zwar mit unzähligen „Ähms” und sagt zwischendurch mal „fucking“ oder „cool”, redet insgesamt aber so, wie Philosophen schreiben: verschachtelt und ein wenig theatralisch. Neben Politikwissenschaften hat sie auch Philosophie studiert. Sie muss da bloß noch ihre Masterarbeit schreiben.

Sie kann das ganz gut: jugendlich mitreißend, intellektuell ehrgeizig und fachlich kompetent wirken. Das hat ihr einen besonderen Status innerhalb der Partei beschert. Bis Ende letzten Jahres hat sie das Büro des Bundestagsvizepräsidenten Peter Hintze geleitet, bis dieser verstarb. Und sie kennt die Kanzlerin, es gibt ein berühmtes gemeinsames Bild von den beiden Frauen. Außerdem wird sie ständig zu Veranstaltungen wie der heutigen eingeladen. Trotz ihrer Besonderheit, als junge Frau mit Migrationshintergrund, ist sie zum Aushängeschild ihrer Partei geworden. Oder gerade deswegen.

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Dass sie Migrantin ist, stellt sie selbst gerne in den Vordergrund. An diesem Abend erwähnt sie es vier Mal. Wenn sie über sich spricht, nutzt sie immer die männliche Form, nennt sich Migrant, Exot und sagt sogar: „ich bin einer, der …”. Das mache sie unbewusst, sagt sie. Sie sei zwar eine Feministin, allerdings eine, die nicht an die Frauenquote glaubt. Eine Art Merkel-Feministin also.

In dem Artikel für die Ehe für alle erwähnt Diana nicht, dass es für sie auch um was Persönliches geht, dass sie selbst Frauen liebt 

 

Dass sie sexuelle Vielfalt lebt –  sie hatte zwar schon Beziehungen zu Männern, kann jetzt aber eher was mit Frauen anfangen – kommuniziert sie kaum nach außen. Kürzlich schrieb sie ein Meinungsstück in einem Magazin für lesbische Leserinnen: ein Plädoyer für die Ehe für alle. Darin appellierte sie an das christliche Weltbild der eigenen Partei. Es stünde ein Umdenken beim Thema Homo-Ehe an, aus Toleranz. In dem Artikel erwähnt Diana nicht, dass es für sie auch um was Persönliches geht, dass sie selbst Frauen liebt und vielleicht irgendwann gerne eine heiraten würde.

 

Beim Stammtisch in Friedrichshain, aber auch für die Wähler da draußen, geht es viel darum, wofür die CDU eigentlich mittlerweile so steht. Und was sie genau von der SPD unterscheidet. Bei Themen wie der Flüchtlingspolitik oder dem Konflikt zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftsliberalismus ist eine konservative Kante nämlich kaum noch vorzufinden. Was die Partei allerdings von der Homo-Ehe hält, das ist eindeutig. Möglicherweise steht genau deshalb Dianas Sexualität nicht so im Fokus, wie alles andere, was sie als Christdemokratin besonders macht.

 

Wenn es um gesellschaftliche Grundhaltungen geht, nehmen die Konservativen am liebsten eine ungefährliche Position ein. Eine Frau? Das kann die CDU ganz gut. Eine Migrantin? Das lässt sich irgendwie akzeptieren. Eine Lesbe? Da wird’s schwierig.

 

Diana sagt, sie könne die Haltung ihrer Partei mit ihrem Leben vereinbaren, möchte sich aber weiterhin intern für die Öffnung der Ehe stark machen. Schließlich würde sich eine Gesellschaft verändern, das müsse auch die CDU verstehen, um den Zugang nicht zu verlieren und sich Wählerstimmen zu sichern. Eine sehr nüchterne Haltung. Als habe sie jegliche persönliche Anliegen von ihrer politischen Arbeit entkoppelt.

 

Anderen Widersprüchlichkeiten, zum Beispiel, dass sie als CDUlerin sogar das bedingungslose Grundeinkommen für richtig hält, setzt sie durchdachte Argumente entgegen. Dass die Digitalisierung bald den Arbeitsmarkt so verändern werde, dass es gar nicht anders ginge, als Menschen universell zu versorgen, sagt sie. Wenn das ihren Parteimitgliedern als Rechtfertigung nicht genüge, könnten die sie gerne kritisieren. Sie will schließlich ein Typ sein, an dem man sich reiben kann. Vielleicht zeigt das besonders, dass es ihr ernst ist mit dem Konservativ-Sein: Sie wendet sich nicht von vornherein von der Union ab, weil manches dort ihr nicht passt. Sie will das, was sie stört, verändern. Und so die Partei stärken.  

 

Auf ein politisches Mandat hätte sie eigentlich Lust, allerdings ist sie nun auch unternehmerisch aktiv, hat in zwei grüne Start-ups investiert und einen Verlag gegründet. Und ein Sachbuch bringt sie bald raus, in dem sie ihre politischen Positionen genau erklärt und den „modernen Konservatismus” erläutert. Jung und ambitioniert ist sie – eine Kombination, die sich in einer Welt, in der Menschen zwar immer älter werden, der Wettbewerb aber immer jüngere Gewinnertypen will, ideal vermarkten lässt. Das versteht auch die CDU.

 

Im Anschluss zum Stammtisch will Diana nach Kreuzberg, auf eine Veranstaltung, auf der Texte des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel vorgelesen werden. Zuvor nahm sie schon beim Protest-Auto-Korso, der auf Social Media unter #FreeDeniz verbreitet wurde, mit ihrem lilafarbenen Minivan teil. Sie hatte rechtzeitig für die Aktion ihren Führerschein vom Verkehrsamt zurückerhalten. Der war einkassiert worden, weil sie über eine rote Ampel gefahren war, auf einer Dorfkreuzung, auf der sie allein stand, mitten in der Nacht. Das gab einen Punkt in Flensburg und der Lappen war einen Monat lang weg. Am Ende ist sie auch bloß eine typische Mittzwanzigerin. Ein wenig nachlässig mit den Regeln. Und definitiv nicht konfliktscheu.

 

„Erika Steinbach ist ein Weichei,” sagt sie über die ehemalige Parteikollegin

 

Vor Kurzem hatte sie einen kleinen Beef auf Facebook mit Erika Steinbach, jener Abgeordneten, die die CDU aus Protest zur liberalen Flüchtlingspolitik verließ. Steinbach hatte einen Artikel über Diana auf ihrer Seite verlinkt und mit dem schnippischen Kommentar versehen: „Na, das lockt doch tausende neue Wähler und Mitglieder in die CDU” - gefolgt von drei tränen-lachenden Emojis. Auf den Affront Steinbachs antwortete Diana mit einem Zitat von Michelle Obama: „Stil hat man oder nicht. When they go low, we go high. Danke fürs Verlinken!“

 

"Erika Steinbach ist ein Weichei", sagt sie über die ehemalige Parteikollegin, „wegen Ihrer weinerlichen Klage, es müsse eine Garantie geben, ihr zuzustimmen. Das Rechtskonservative in der CDU ist niemals stigmatisiert worden. Es setzt sich wegen schlechter Argumente schlicht nicht durch. So ist Demokratie.“ Dass sie, statt die Sache auszudiskutieren, die Partei verließ, findet Diana einfach nur feige. Diana Kinnert hingegen diskutiert. Sie streitet darüber, was "konservativ" in der CDU heute bedeuten soll. Und ist trotz Hindernissen und Kritik immer noch in der Partei. Für den eigenen Bekanntheitsgrad kann so ein bisschen Beef mit Erika Steinbach natürlich auch nicht schaden.

 

Dass sie sich ständig erklären muss, nach innen, der Partei gegenüber und nach außen, für die Medien, ist trotzdem auffällig. Als trojanisches Pferd wurde Diana sogar schon mal von Parteikollegen bezeichnet, das die CDU aushöhlen wolle, mit ihren progressiven Ansichten. Und dass die Journalisten ihr immer wieder die gleichen Fragen stellen, wie das denn zum Beispiel sein könne, dass sich eine Christdemokratin für eine liberale Drogenpolitik einsetzt, das hat auch seine Gründe. Diana Kinnert denkt, so funktioniert das halt mit den Medien, die arbeiten oberflächlich. "Auf meinen Top-100 steht die Cannabis-Legalisierung auf Platz 101", klärt sie auf und sagt, dass sie stattdessen eigentlich viel lieber über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik reden würde. Genau dort fände sie nämlich ihre Grundwerte wieder: „Die CDU vereint die vernünftigste Wirtschaftspolitik mit der gerechtesten Beschäftigungspolitik. Sie steht für die Liberalität des Einzelnen, sieht einen Menschen, den man nicht bemuttern und dem man nichts aufzwängen muss.” Die Linken seien ihr im Gegensatz dazu viel zu konformistisch.

 

Vielleicht hat Diana Kinnert die Grundwerte der CDU besser verstanden, als die ganzen alten weißen Männer, die die Partei bislang so anzog und die dabei so konform gingen. Viel naheliegender ist wohl, dass jemand wie sie eben nicht der Auswuchs eines traditionellen konservativen Leitbilds ist, egal wie klug sie es ausdrückt und wie oft sie es wiederholt.

 

Sie ist sehr erkennbar das Produkt der Ära Merkel: Sie versteht, dass sich eine Gesellschaft verändert, argumentiert pragmatisch, ist thematisch orientiert und inhaltlich flexibel. Neben legalem Cannabis und der Ehe für alle, möchte Diana nämlich auch, dass die Polizei mit Elektroschockern ausgestattet wird und befürwortet die Überwachung öffentlicher Räume. Außerdem findet sie, dass man eine erhöhte Kriminalität unter Migranten als „strukturelles” Problem ruhig ansprechen dürfe.

 

Auf den ideologischen Achsen ist sie im Zickzack unterwegs. So, wie man es Angela Merkel nicht selten vorgeworfen hat. In einer CDU, in der das Konservative eher bei Bedarf ausgepackt wird, wirkt jemand wie Diana Kinnert gar nicht mehr so widersprüchlich.

 

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