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Grüne und FDP: Politiker erklärt Erfolg bei jungen Wähler:innen
Hätten nur Menschen unter 30 Jahren gewählt, sähen die Mehrheiten im nächsten Bundestag ganz anders aus: Dann wären die Grünen mit 22 Prozent stärkste Kraft, knapp gefolgt von der FDP mit 20 Prozent. Welche Rückschlüsse lassen sich aus diesem Wahlverhalten ziehen? Das erklärt Andreas Klee, Politikwissenschaftler an der Uni Bremen.
jetzt: Die Grünen und die FDP haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam, dennoch sind sie bei den Jungen mit Abstand am beliebtesten. Sind die unter 30-Jährigen in zwei Lager gespalten?
Andreas Klee: Gespalten ist ein starker Begriff, so würde ich es nicht nennen. Aber deutlich wird, dass die jungen Leute ganz unterschiedliche Perspektiven haben. Vereint sind sie darin, dass sie keine große Koalition mehr wollen, und dass sie Union und SPD keinen Aufbruch zutrauen. Sie wollen Veränderung sehen. Wer diese Veränderung durch mehr Klimaschutz will, wählt die Grünen. Die FDP dagegen vertritt zum Beispiel das Thema Digitalisierung glaubwürdig. Die Liberalen glauben an die Technik, sie wollen versuchen, auch den Klimawandel über Innovation lösen. Das ist jugendnah. FDP und Grüne haben am besten vermittelt, dass sie für Aufbruch stehen.
Dann hat Sie das Ergebnis der unter 30-Jährigen nicht überrascht?
Doch, die starke FDP hat mich schon überrascht, obwohl sich da bereits ein Trend abgezeichnet hatte bei den vergangenen Wahlen. Dass die Grünen bei den Jungen stark sind, war erwartbar, da die Partei den Schwung von „Fridays For Future“ und anderen Klimaaktivist:innen mitnehmen und davon profitieren konnte.
„Vielen Jungen ist eine starke Wirtschaft wichtig“
Mit welchen Themen, außer Digitalisierung, überzeugt die FDP die unter 30-Jährigen?
Die FDP hat sehr glaubwürdig die Themen Fortschritt und Zukunft an sich gebunden – aus einer ganz anderen Perspektive heraus als die Grünen. Die Liberalen stehen für eine starke Wirtschaft, IT, Digitalisierung, sichere Arbeitsplätze. Das sind augenscheinlich Themen, die für junge Menschen abseits des Klimaschutzes sehr wichtig sind.
Andreas Klee war über den Erfolg der FDP bei den Jungen erstaunt – obwohl er sich bei den letzten Wahlen schon abgezeichnet hat.
Inwieweit haben die Pandemie und die Corona-Politik eine Rolle gespielt? Eines der Schlagworte der FDP war das Wort „Freiheit“, viele Junge haben während der Pandemie sehr gelitten.
Die Pandemie hat sicherlich eine Rolle gespielt, aber eher bei der Frage der grundsätzlichen Stimmung. Es gibt noch immer eine Depression, eine Unsicherheit im Land. Die Menschen fragen sich, wie wir jetzt aus dieser Krise wieder herauskommen. Das spiegelt sich dann auch auf dem Arbeitsmarkt wider. Und vielen Jungen ist dann eine starke Wirtschaft wichtig.
Welchen Auftrag sollten Union und SPD aus dem Wahlverhalten der Jungen ableiten?
Die Jungen haben die Stillstand-Koalition ganz klar abgewählt – und auch einen bestimmten Politikstil. Wir brauchen neue Repräsentationsformen, neue Begegnungsformen mit den Menschen, einen weniger traditionellen Politikstil und weniger Politiker:innen, die sich sehr staatsmännisch oder -frauisch präsentieren, als über den Dingen schwebend. Wenn Laschet und Scholz sich inszenieren, schwingt fast noch ein bisschen Bonner Republik mit. Das ist nicht mehr so angesagt. Politiker:innen müssen volksnaher agieren und sich entsprechend verhalten.
„Die Erwartungshaltung an Grüne und FDP ist immens groß“
Haben Sie da spontan Beispiele aus dem Wahlkampf, wo das FDP und Grünen gut gelungen ist?
Ja, Beispiel mediale Inszenierung: Annalena Baerbock pflegt einen ganz anderen Sprachstil, sie spricht alltagsnaher, sie argumentiert mit ihrem Privatleben, zeigt sich als Mensch und nicht nur als jemand, der oder die eine Funktion oder ein Amt ausfüllt. Die FDP hat zum Beispiel viel klarer Nischenthemen angesprochen, zum Beispiel Hochschulpolitik oder mentale Gesundheit. Das ist aus der Opposition heraus natürlich auch leichter.
Inwieweit ist diese Wahl richtungsweisend?
Diese Wahl war eine Richtungswahl, vor allem was die Koalitionen angeht: Es wird zum ersten Mal mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Dreierbündnis auf Bundesebene geben. Die Tür ist geöffnet für mehrere gleichstarke Parteien im Bundestag. Volksparteien haben ausgedient. Und wenn es den Grünen gelingt, einer Koalition ihren Stempel aufzudrücken, die sehr viel für den Klimaschutz und den ökologischen Wandel tut, dann kann sich das fortschreiben in der nächsten Wahl.
Haben Wahlkampf damit gemacht, Veränderung zu wollen: Grüne und FDP.
Am Ende machen die Menschen unter 30 nur acht Prozent der Wahlberechtigten aus, die SPD und die Union sind im Gesamtdurchschnitt die stärksten Parteien. Inwieweit ist das Wahlverhalten der 18 bis 29-Jährigen dennoch wichtig?
FDP und Grüne wissen, dass die Jungen sie gewählt haben. Es wäre ein großer Erfolg, wenn die beiden Parteien die Interessen der Jungen in die Regierung mit einbringen würden. Die Erwartungshaltung an Grüne und FDP ist auch deshalb immens groß. In den jungen Stimmen für sie steckt viel Vertrauensvorschuss drin, den sie hoffentlich nicht versaubeuteln.
Auffällig ist auch, dass viele unter 30 Kleinstparteien gewählt haben. Wieso? Junge Menschen interessieren sich oft sehr themenspezifisch für Politik. Daher liegt es dann nahe, Kleinstparteien zu wählen, da diese sehr zentriert auf bestimmte Themen sind. Für diese Parteien ist es leichter, eine Identifikation mit jungen Menschen herzustellen. Der Gegenentwurf der Kleinstpartei ist die frühere Volkspartei, die alle Menschen erreichen will, von der Erstwählerin bis zu den Menschen im hohen Alter. Der Spagat wird immer schwieriger.
Werden also immer mehr Menschen Kleinstparteien wählen?
Das kann man so nicht sagen. Die sogenannte Rational Choice Theorie besagt, dass viele in jungen Jahren Kleinstparteien wählen, das aber ändern, wenn sie von ihrem Kreuz auch wirklich was haben wollen, also eine Repräsentanz im Parlament. Dann entscheidet man sich oft für eine Partei, die eine Chance hat, in den Bundestag einzuziehen und dennoch nah an den eigenen Inhalten ist.
Die Linke hätte Stimmen dazu gewonnen, hätten nur 18 bis 29-Jährige gewählt, die AfD verloren. Was lässt das für Rückschlüsse zu?
Die Themen, die die Linke stark machen, sind Themen, die Jungen oft wichtig sind. Das sind staatskritische Themen, aber auch der Wunsch nach einer ganz anderen Außenpolitik. Die Linke hat einen hohen Zuspruch als Protestpartei. Bei der AfD ist es anders, ihre Verluste sind nicht so stark, wie viele gehofft hatten. Da scheint sich ein gewisses Wählerklientel zu verfestigen, das sich auch bei den Jungen abbildet.