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Bundestag stimmt über Regelung zum Familiennachzug ab
Seit März 2016 dürfen Menschen mit subsidiärem, also eingeschränktem Schutzstatus, keine Familienmitglieder mehr nach Deutschland nachholen, auch wenn diese sich noch in Kriegs- und Krisengebieten befinden. Das betrifft zum Beispiel viele Syrer, die nach Deutschland geflohen sind und hier Asyl bekommen haben. Heute hat der Bundestag dafür gestimmt, dass das bis zum 31. Juli 2018 so bleibt, anschließend soll eine neue Regelung gelten: Zukünftig sollen pro Monat maximal 1000 Personen berechtigt sein, zu Familienmigliedern nach Deutschland zu ziehen. Hinzu kommen Härtefälle. (Mehr dazu auf sz.de). Der Familiennachzugs war eines der umstrittensten Themen der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, CDU und CSU, die sich nun auf diesen Kompromiss geeinigt haben.
Was sagen diejenigen, die unmittelbar davon beroffen sind? Was erwarten sie für die Zukunft? Wie gehen sie mit der ständigen Sorge um ihre Liebsten um? Wie wirkt sie sich auf ihr Ankommen und ihre Integration in Deutschland aus? Wir haben mit Fadi und Khaled aus Syrien und Hussein aus dem Irak darüber gesprochen.
Fadi, 20, aus Syrien, lebt in Berlin und wartet auf seinen 17-jährigen Bruder und seinen Vater
„Seit einem Jahr warten meine Mutter und ich darauf, dass mein Vater und mein kleiner Bruder endlich ihr Ausreisevisum aus Syrien bewilligt bekommen. Sie leben in einem Dorf, ungefähr 60 Kilometer von Homs entfernt, wo alles zerstört wurde. Dort gibt es kein Wasser, keinen Strom und kein Gas zum Kochen mehr. Seit dem Krieg ist alles absurd teuer geworden, ohne meine Unterstützung würden sie nicht überleben. Ich mache gerade eine Ausbildung bei der Deutschen Bahn, da verdiene ich ein wenig Geld.
Als ich 2015 nach 26 Tagen auf der Flucht endlich in Berlin ankam, dachte ich, dass meine Familie auch bald nachkommen würde. Das ist jetzt bald drei Jahre her und die Zeit spielt gegen uns: Wenn mein Bruder erst mal 18 ist, wird es noch schwerer, ein Visum zu bekommen. Allein auf den Termin bei der syrischen Botschaft mussten wir zehn Monate warten. Es ist frustrierend, nicht zu wissen, wie der Prozess vorangeht, und es frisst an den Nerven.
„Die denken, wir kommen mit 15 Brüdern“
Meine Mutter und ich sind beide in psychologischer Betreuung, weil die Angst uns so fertig macht. Ich selbst habe schnell Deutsch gelernt, einen Ausbildungsplatz und Freunde gefunden, aber das ist nicht alles, was man für Integration braucht. Man muss auch mit dem Kopf da sein. Integration ist schwierig, wenn deine halbe Familie im Krieg festsitzt. Meine Mutter kann sich auf nichts konzentrieren, sie ist oft traurig und deprimiert und solange mein Vater und mein Bruder nicht hier sind, wird das auch so bleiben. Eigentlich hätten wir ein Recht auf Familiennachzug, aber so wie der gerade eingeschränkt ist, stagniert alles.
Dabei ist das Recht, mit seiner Familie zu sein, doch ein Grundrecht. Ich verstehe nicht, wieso immer alle von Integration reden und dann nichts für diesen einfachen Zusammenhang tun. In Lichtenberg, einem Berliner Stadtteil, wurde ich letztens auf der Straße einfach so als ‘Arschloch‘ beschimpft. Immer wieder begegnen mir Hass und Vorurteile in diesem Land. Die denken, wir kommen mit 15 Brüdern oder so. Das ist Quatsch. Wir möchten arbeiten, wir arbeiten ja sogar! Dieses Gefühl der Machtlosigkeit macht mich fertig. Wenn ich jetzt zurück nach Syrien gehen würde, müsste ich für sechs Jahre zum Militär. Da könnte ich mich auch gleich selbst umbringen. Aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, dass am Ende vielleicht doch alles gut wird.“
Hussein, 38, aus dem Irak, lebt in Freiburg und wartet seit vier Jahren auf seine drei Kinder und seine Frau
„Als ich meinen jüngsten Sohn zuletzt in den Armen gehalten habe, war er drei Monate alt. Heute ist er fünf. So lange ist es her, dass ich meine Familie zuletzt gesehen habe. Ich telefoniere fast jeden Tag mit meiner Frau, aber das macht mich eigentlich noch unglücklicher, weil es mich daran erinnert, wie weit sie weg ist. Mittlerweile ist sie mit unseren Kindern in eine andere Stadt im Irak geflohen und sitzt dort fest. Da ich als Flüchtling aus dem Irak keinen subsidiären Schutz genieße, darf ich Deutschland auch nicht verlassen und kann nicht einfach mal so zurückfliegen. Die Behörden halten uns getrennt.
Ich hätte nie gedacht, dass es so kompliziert wird. Ich dachte, der Schutz vor Krieg und Verfolgung sei ein Grundrecht. Als ich am 1. Juli 2014 nach Deutschland kam, habe ich gleich einen Sprachkurs gemacht, bin in einer Studenten-WG untergekommen und habe ein Jahr später einen Job in einer Sicherheitsfirma gefunden. Ich zahle Steuern, ich arbeite tagsüber und nachts und versuche, so viel wie möglich an meine Familie abzugeben. Als ich nach knapp zwei Jahren immer noch keinen Bescheid vom Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) über mein Verfahren bekommen hatte, reichte ich eine Tätigkeitsklage ein. Fünf Monate später bekam ich einen Ablehnungsbescheid. Bis heute bin ich nicht als Schutzbedürftiger anerkannt und habe lediglich eine Aufenthaltserlaubnis. Mit diesem Status kann ich meine Familie nicht nachholen und mir bleibt nichts übrig als warten, warten, warten.
„Das Warten und die Angst machen mich verrückt“
Mittlerweile, nach zehn verschiedenen Klagen, habe ich den Glauben an die deutschen Behörden verloren. Ich kenne hier in Freiburg, wo ich seit meiner Ankunft wohne, keinen Iraker, der so lange warten musste wie ich. Schlimmer als eine Absage ist dieses offene Warten. Dass man nie weiß, was als nächstes kommt. Das Warten und die Angst machen mich verrückt. Meine zwölfjährige Tochter und meine zehnjährige Tochter brauchen eine ordentliche Schulbildung. Im Irak sind sie nicht sicher. Gerade vor zwei Wochen gab es in einem Supermarkt, in dem meine Frau sonst immer einkauft, eine Explosion. Man muss nur die Nachrichten lesen um zu sehen, dass dieses Land nicht sicher ist.“
Khaled, 30, aus Syrien, lebt in München und wartet auf seine Frau, die in Griechenland festsitzt
„Im Sommer steht mein Examen für die Prüfung zum Elektroniker und Gebäudetechniker an, aber ich kann mich auf nichts konzentrieren. Ich denke die ganze Zeit an meine Frau, die in Griechenland festsitzt. Eigentlich sollte sie schon längst hier in München sein, sie hatte schon einen Ausreisebescheid, aber den haben in Griechenland gerade viele. Das Problem ist, dass momentan Menschen mit gesundheitlichen Problemen und andere Härtefälle Vorrang haben und nur eine limitierte Anzahl pro Monat ausgeflogen wird. Ihr Ausreisebescheid galt für sechs Monate und ist jetzt seit Januar abgelaufen. Sie hätte zwar das Recht auf Ausreise gehabt, aber momentan bearbeiten die Behörden noch die Anträge aus März 2017.
Weil sie keine Papiere mehr hat, kann sie sich auch nicht wegbewegen. In Aleppo, wo wir mit unseren Familien gelebt haben, ist alles zerstört. Unser Haus ist zerbombt, wir konnten keine persönlichen Gegenstände mehr mitnehmen. Ich habe meine Frau in einer lebensgefährlichen Aktion durch einen freien Korridor raus aus der Stadt gebracht. An Papiere hat da niemand gedacht. 2014, kurz nach unserer Hochzeit, bin ich dann Richtung Deutschland geflohen, der Plan war immer, dass sie hinterherkommt. Wir wussten nicht, dass es so kompliziert sein würde. Ihre Flucht verlief wesentlich schlimmer als meine. In Griechenland saß sie fast drei Wochen im Gefängnis, weil sie keine Papiere hatte, und wurde dann auf eine abgelegene Insel verteilt. Mittlerweile lebt sie aber wieder auf dem Festland.
„Sie ist meine zweite Hälfte, die fehlt. Wie soll man sich mit einem halben Leben integrieren?“
Ich versuche irgendwie, mich abzulenken: Ich dolmetsche für verschiedene Unterkünfte hier in der Gegend, habe einen Führerschein gemacht, gehe zum Judo. Aber das alles hilft nichts. Ich muss immerzu an meine Frau denken. Gerade war ihr Geburtstag, sie ist jetzt 24. Sie ist meine zweite Hälfte, die fehlt. Wie soll man sich mit einem halben Leben integrieren?
Im Oktober konnte ich sie für kurze Zeit in Griechenland besuchen, ich darf ja reisen, weil über meinen Asylantrag positiv entschieden wurde. Ich weiß jetzt, wie es da aussieht, wo sie gerade ist. Als alleinstehende Frau, die nur Arabisch spricht, hat sie es dort nicht leicht. Die Dolmetscher sind alle Männer und es gibt viele unangenehme Situation, vor denen sie Angst hat. Zum Beispiel, wenn sie zum Frauenarzt muss und ein fremder Mann dann alles übersetzt. Ich wäre so gerne für sie da.
Trotz allem versuchen wir, positiv zu bleiben und uns nicht runterziehen zu lassen. Bei meinem letzten Besuch habe ich meiner Frau ein Deutsch-Arabisches Wörterbuch mitgebracht. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass sie vor dem Sommer kommen und ich mich endlich auf meine Prüfung konzentrieren kann.“